Bad Oeynhausen/Wien. Der Start war holprig. Als sich Hermann Dreyer vor fünf Jahren entschloss, seinen Wohnsitz ins schöne Wien zu verlagern, landete er in einem Stundenhotel. "Ich hatte per Internet gebucht", sagt der 42-Jährige schmunzelnd. Lange hielt es ihn dort nicht. Inzwischen wohnt der Dehmer mit Lebensgefährtin Barbara zentral in der Stadt: wenige Meter von Hofburg und Stephansdom entfernt. Mit Hermann Dreyer starten wir die Serie "Bad Oeynhausener in aller Welt".
Geboren in Bad Oeynhausen, aufgewachsen in Dehme, auf dem Poll, zog es den 42-Jährigen nach Ausbildung, Abitur am Westfalen-Kolleg und Biologie-Studium an das zoologische Institut der Universität Wien. "Ich bin auf einem kleinen landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetrieb aufgewachsen und konnte mich schon als Kind für Tiere und Pflanzen begeistern."
Heute ?" nach seiner Promotion an der Uni Bochum zur Verwandtschaftsanalyse von Krebsen, beziehungsweise Asseln ?" widmet sich der Hobbygärtner den Meerestieren. "Themen, die mich zu Forschungsaufenthalten zur Nordwestküste Spaniens und auf die Karibikinsel Curaçao brachten." Inzwischen hat er sich an der Wiener Zoologie auf die Mollusken, die Weichtiere, spezialisiert. "Schnecken, Muscheln, Tintenfische, aber auch unbekannte wurmförmige Tiere, nicht mal einen Millimeter lang, die in heißen Quellen der Tiefsee oder auf Korallen leben", zählt Dreyer auf.
Es gebe genetische Merkmale, zum Beispiel das Erbgut der Mitochondrien, die sich so stark ähnelten, das anhand der genetischen Ähnlichkeiten Aussagen darüber getroffen werden könnten, ob denn die Tintenfische und die Schnecken oder aber die Schnecken und die Muscheln näher miteinander verwandt seien. "Das ist vor allem deshalb erstaunlich, da der letzte gemeinsame Vorfahre vor mehr als 500 Millionen Jahre gelebt hat", erzählt Hermann Dreyer völlig fasziniert. "Auch wenn wir von Wien mit dem Auto fünf Stunden bis zum Mittelmeer brauchen ?" die Wiener Zoologie ist eines der europäischen Zentren für die Erforschung meeresbewohnender Lebewesen."
Fünf Jahre lebt Dreyer inzwischen in Wien. Genießt die freie Zeit beim Heurigen oder einem Spaziergang durch die Weinberge. "Wien wirbt damit, anders zu sein. Und ist es sicherlich auch." Das fange bei der gemeinsamen Sprache an: "Das erste Mal, als ich mit österreichischen Freunden essen war, war Einiges befremdlich." Zum Beispiel "Frankfurter im Saft". Oder der "Lungenbraten". "Da wusste ich nicht, dass es lediglich Filetspitzen sind", sagt er lachend. Essen und Trinken gehören zu den zentralsten Dingen im Leben der Wiener. Er kann nur jedem, der nach Wien kommt, empfehlen, die Vorteile der österreichischen Küche zu testen: "Nicht nur Wiener Schnitzel."
Auch sonst habe Wien mehr zu bieten als Sissi, die Hofburg und den Stephansdom. So empfiehlt der Neu-Wiener eine Führung durch den Abwasserkanal zu den original Drehorten von "Der dritte Mann", einen Besuch des Zentralfriedhofes, den Gang durch die Wiener Weinberge und einen Besuch beim Heurigen (Winzer schenken eigenen, frischen Wein aus): "Wer hier ein Bier bestellt, läuft Gefahr als Piefke ignoriert zu werden", warnt Dreyer lachend.
Auch wenn Wien für den Meeresbiologen eine der lebenswertesten Großstädte Europas ist ?" seine Heimat in Dehme mit Mutter und Freunden vermisst er. Deshalb versucht er, den Großteil seines Urlaubes in seiner alten Heimat zu verbringen. Und noch eines fehlt ihm in Österreich: "Die Möglichkeit, meinem Hobby, den Oldtimer-Traktoren, frönen zu können." Erst kürzlich hat sich Dreyer einen alten Weinbergschlepper gekauft und wird ihn demnächst in seiner alten Heimat restaurieren: "Ich bin und bleibe weiterhin durch und durch Dehmer." Auch im fernen Wien.