Mutter flüchtet mit Sohn: Harter Abschied vom Mann an der Grenze

Odessa/Pr. Oldendorf. Es ist der 24. Februar 2022. Draußen ist es stockdunkel. Larisa Kuriazenko liegt im Bett und lauscht den Atemzügen ihres Mannes. Sie selbst kann nicht gut schlafen, fühlt sich aufgewühlt und ist unruhig. Um vier Uhr nachts schreckt sie von lauten, pfeifenden Geräuschen hoch. Am Nachthimmel sind Militärflugzeuge zu sehen. Russische Raketen fliegen auf ihre Heimatstadt Odessa im Süden der Ukraine nieder. Ihr Sohn weint, Larisa bekommt eine Panikattacke. Der Krieg ist da. Es ist die Folge von wochenlangen Provokationen seitens Wladimir Putin und dem russischen Militär. Ein möglicher Angriffskrieg ist Realität geworden. Während Larisas Mann nur von Machtdemonstrationen ausging, beschlich die junge Frau schon seit längerer Zeit eine Vorahnung, der Konflikt könne eskalieren. Sie hatte eine Vorahnung, der Konflikt könne eskalieren &bdquo;Nachdem wir eine Rede von Putin zu den Angriffen im Internet gefunden haben, hab ich eine Notfalltasche gepackt, falls wir fliehen müssen. Ich war überfordert, was ich einpacken soll“, sagt Larisa. Währenddessen ging der Bombenhagel weiter. Tagelang. Die Sirenen kündigten ihn an. Bunker gab es keine in der Nähe, auch Keller sollten laut der ukrainischen Regierung gemieden werden. Zu groß sei die Gefahr, von den Trümmern der Mehrfamilienhäuser bei einem Einsturz begraben zu werden. &bdquo;Wir haben uns im Flur versteckt, da uns gesagt wurde, wir sollten einen Platz zwischen zwei Wänden aufsuchen“, sagt die 34-Jährige. "Ich hatte das Gefühl, eine Hälfte von mir zu verlieren" Die Hoffnung, der Angriff könne so schnell beendet sein, wie er begonnen hat, verflog. Schließlich griff Larisa am 2. März zu ihrer Notfalltasche, setzte sich frühmorgens mit ihrer Schwester, deren Kindern, der gemeinsamen Mutter, ihrem 15-jährigen Sohn und Mann ins Auto. Das Ziel: die Republik Moldau. Vor den Grenzposten des Nachbarlandes bildeten sich kilometerlange Staus. Am Fahrbahnrand lagen Autos, deren Achsen durch Schlaglöcher gebrochen waren. Um zehn Uhr abends und nach einer 14-stündigen Fahrt erreichten sie die Grenze zu Moldau. Von dort ging es für die Frauen und Kinder zu Fuß weiter – denn keine besaß einen Führerschein. Der Abschied von ihrem Mann, der nicht ausreisen durfte, war für Larisa kaum auszuhalten: &bdquo;Die Männer und Frauen standen sich gegenüber. Wir haben uns umarmt und geweint. Mein Mann hatte das Gefühl, die Reise würde nicht kurz werden.“ Nur mit Winterkleidung, Fotos, persönlichen Dokumenten und Medikamenten ausgestattet, ließen die Frauen mitten in der Nacht bei Temperaturen um den Gefrierpunkt ihr Heimatland und ihre Familien hinter sich. Am Grenzposten gab es keine öffentlichen Verkehrsmittel. Auch freiwillige Helfer waren nicht vor Ort. Die Hotels restlos ausgebucht. &bdquo;Ein Mann aus der Kirchengemeinde hat uns seine Wohnung als Schlafplatz angeboten und uns etwas zu Essen gegeben. Wir hatten den ganzen Tag nichts gegessen“, sagt Larisa. Normalerweise kostet ein Ticket 200 Euro pro Person Eine Woche blieben sie in dem kleinen Ort, ehe sie mit dem Bus Richtung Deutschland fuhren. Wo sie später ankommen würden, wussten sie nicht. &bdquo;Wir hatten Glück und mussten nichts bezahlen, da der Bus von einer deutschen Kirchengemeinde gestellt wurde. Normalerweise kostet ein Ticket 200 Euro pro Person“, so die 34-Jährige. Für eine ukrainische Familie sei das viel Geld. Drei Tage verbrachten sie in dem Bus, als sie völlig erschöpft in Espelkamp, im Kreis Minden-Lübbecke, ankamen. Larisa und ihr Sohn wurden von einer Familie in Pr. Oldendorf aufgenommen, bei der sie zwei Monate wohnten. Auch ihre Schwester und deren Kinder erhielten eine Unterkunft. &bdquo;Die Familie war sehr nett und sie haben sich gekümmert, eine Wohnung für uns zu finden“, so Larisa. Die 34-Jährige erhielt schließlich die Zusage und Sozialleistungen vom Amt. In der Ukraine in der Stadtverwaltung gearbeitet Larisa besucht regelmäßig einen Sprachkurs, um Deutsch zu lernen. &bdquo;In der Ukraine habe ich eine Ausbildung gemacht und in der Stadtverwaltung gearbeitet. Außerdem habe ich auch Erfahrung als Rechtsanwaltsgehilfin.“ Doch ohne Sprachkenntnisse sei es unmöglich, in Deutschland in dem Beruf zu arbeiten, denn wegen der Bürokratie müsse man viel schreiben, lesen und mit den Menschen sprechen können. Eine ähnliche Situation gilt für ihren 15-jährigen Sohn. Er besucht die Sekundarschule in Pr. Oldendorf. Eine Integrationsklasse für ukrainische Flüchtlinge gebe es zwar nicht, allerdings habe er bereits neue Freunde gefunden, die ebenfalls aus der Ukraine geflüchtet sind. &bdquo;Die Kinder haben ihn gut aufgenommen und er nimmt an einem Deutsch-Förderkurs teil“, sagt seine Mutter. "Wenn morgen der Krieg vorbei sein sollte, kehre ich sofort zurück" Larisa sei zwar dankbar für so viel Hilfsbereitschaft, vermisst aber ihr Heimatland und ihren Mann. &bdquo;Wir telefonieren jeden Tag. Er ist zwar nicht beim Militär, kann aber jederzeit einberufen werden. Wir haben ständig Angst, es könnte etwas passieren.“ Dass die Ukraine den Krieg gegen Russland verlieren könnte, daran glaubt Larisa nicht. &bdquo;Wir haben von Anfang an geglaubt, dass die Ukraine siegen wird. Daran hat sich nichts geändert. Und dann kehren mein Sohn und ich nach Odessa zurück.“

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