„Ich war ein Rassist“: So blickt ein Portaner (70) auf sein Leben in Südafrikas Apartheid zurück

Porta Westfalica-Veltheim. Seine Visitenkarte ist klein und dennoch beeindruckend. Wer einen Scheren- oder Messerschleifer braucht, ist bei Rainald Meyer an der richtigen Adresse. Außerdem tischlert er; Meyer hat die Sitzbank mitgebaut, die seit ein paar Monaten am Veltheimer Fähranleger steht. In seinem Keller befindet sich eine alte Werkbank aus dem 17. Jahrhundert. Sie ist der einzige wichtige Gegenstand, den er aus seinem ersten Leben in Südafrika mit nach Deutschland gebracht hat. Tischlern ist Hobby, hauptberuflich war er viele Jahre Pfarrer und Missionar in der lutherischen Freikirche, auch das steht auf seiner Karte. Jetzt ist er im Ruhestand. &bdquo;Aber wenn man mich einlädt, predige ich gerne.“ Mit der Kirche tut sich der 70-Jährige bisweilen schwer. Etliche Auseinandersetzungen hat er mit Vertretern seiner Glaubensgemeinschaft geführt, sowohl in Südafrika als auch zuletzt in Deutschland. &bdquo;Kirchlich“, sagt Meyer, &bdquo;bin ich ziemlich ausgebrannt.“ Die permanente Konfrontation mit Schwarz-Weiß-Denken in Südafrika, insbesondere in seiner eigenen Familie, hat Spuren hinterlassen. Meyers Eltern hatten eine Farm in Afrika. Die Vorfahren waren Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem Missionsschiff Candace dort angekommen, samt der hölzernen Werkbank, die heute in Veltheim steht. Die Wildfarm in der Provinz Kwazulu-Natal an der Ostküste Südafrikas war mit 3.500 Hektar so groß, dass Europäer manchmal erstaunt nachfragen, ob die Flächenangabe stimmt. 📱News direkt aufs Smartphone: Kostenloser WhatsApp-Kanal der NW Kreis Minden-Lübbecke Rassentrennung und Unterdrückung waren Alltag Auf den Feldern wurde unter anderem Baumwolle angebaut. Dort arbeiteten vor allem dunkelhäutige Frauen, die mit Lastwagen abgeholt wurden, um für Hungerlöhne zu schuften. Rainald Meyer wuchs im Apartheid-System mit Rassentrennung und Unterdrückung auf, das war sein Alltag. &bdquo;Ich war ein Rassist“, sagt er ohne Umschweife. Schon mit 16 oder 17 Jahren trug er eine Heckler-&-Koch-Pistole bei sich, um sie notfalls gegen Schwarze einzusetzen. Dabei, sagt er heute, habe es während der Apartheid praktisch keine Kriminalität gegeben, vor der sich Weiße hätten schützen müssen. Auch weil für Schwarze nach Einbruch der Dunkelheit eine Ausgangssperre galt. &bdquo;Weiße waren das Herrenvolk, lebten praktisch im Paradies. Und ich hatte lange keinen Einblick, wie schlecht es der schwarzen Bevölkerung ging.“ Das änderte sich, als der gelernte Farmer über die Begeisterung für Kirchenmusik sich 1982 mit Theologie zu beschäftigen begann, um schließlich Pfarrer und Missionar in der lutherischen Freikirche zu werden. Der Weg dahin war so dornig wie das Gestrüpp auf der Farm. Meyer erinnert sich an einen Kirchenvorsteher in Johannesburg (&bdquo;ein Erzrassist“) und an dessen Bruder, einen Holocaust-Leugner. Beiden begegnete er in den ersten Jahren seiner Amtszeit. Recherche über südafrikanische Geschichte war Wendepunkt Auch er selbst habe anfangs seine ultra-rechte Herkunft nicht leugnen können. Noch im letzten Jahr seines Theologiestudiums in Oberursel im Taunus habe er in einem Referat über südafrikanische Geschichte die Zuhörer davon überzeugen wollen, dass Apartheid gut ist. Zur Vorbereitung schrieb Meyer an die UNO und den Weltrat der Kichen, die ihm eine Menge Material zukommen ließen, das in Südafrika nicht zugelassen war. Die Lektüre habe ihm die Augen geöffnet. &bdquo;Ich habe mein ganzes Leben falsch gedacht“, habe er damals zu einem Kommilitonen gesagt. Der habe nur geantwortet: &bdquo;Preis den Herrn.“ Seine Eltern hatten für die Wendung, die durch den persönlichen Kontakt zu vielen Schwarzen beschleunigt wurde, überhaupt kein Verständnis. Einmal haben sie ihn während seines Studiums in Pretoria besucht. Die Wohnung teilte sich Rainald Meyer mit einem dunkelhäutigen Studenten. Seine Mutter fragte, ob sie mit dem wirklich unter einem Dach schlafen müssten. Und bei der Morgenandacht, die der Mitbewohner hielt, sei sein Vater fast versteinert gewesen, erinnert sich Meyer. Ex-Pfarrer ist jetzt Messer- und Scherenschleifer Während Rainald Meyer als Pfarrer versuchte, die Versöhnungsarbeit zwischen Schwarzen und Weißen im Zuge der Initiative &bdquo;Healing of memories“ (Heilung der Erinnerungen) voranzubringen, ließen seine Eltern bis zu ihrem Tod vom Apartheidsdenken nicht ab. Und mit seinen Geschwistern und manchen früheren Freunden mag er über politische Themen längst nicht mehr sprechen. &bdquo;Wir streiten uns. Sobald wir über Schwarz-Weiß reden, gibt es Spannungen. Bis heute.“ Das Ehepaar Meyer hat Südafrika vor fünf Jahren mit Beginn des Rentenalters hinter sich gelassen und kam nach Deutschland zurück. Dort hatte der junge Rainald Meyer während eines Studienaufenthalts seine spätere Frau kennengelernt. Der Neu-Veltheimer hat in den vergangenen Jahren in der hiesigen Selbstständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) mitgearbeitet, zuletzt allerdings weniger. Als Grund nennt der 70-Jährige unterschiedliche theologische Ansichten, etwa in Sachen Frauenordination, die Meyer ausdrücklich befürwortet. Und so konzentriert er sich auf andere Aufgaben. Als Messer- und Scherenschleifer hat er bereits die Werkzeuge einiger Portaner geschärft. Wer auf einer Wildfarm in Südafrika aufwächst, lernt früh den Umgang mit dem Messer und wie man es bearbeitet. An der alten Werkbank fertigt er Möbel für die eigene Wohnung - und zuweilen Sitzbänke für die Öffentlichkeit wie an der Fährstelle. Portaner spricht Afrikaans, Zulu, Englisch und Deutsch Beinahe komisch wirken rückblickend Meyers Bedenken, überhaupt Pfarrer werden zu können, weil er sich nicht für ausreichend sprachbegabt hielt. Dann lernte er während des Studiums dennoch Griechisch und Hebräisch und beherrscht neben Afrikaans und Zulu auch Englisch und Deutsch. &bdquo;Und Plattdeutsch“, fügt er mit einem Lächeln hinzu. In seinem Keller befindet sich nicht nur die historische Werkbank, sondern auch ein Plakat, auf dem Nelson Mandela zu sehen ist. Gleich daneben hängen Handschellen, von denen eine geöffnet ist. Mandela habe es geschafft, Südafrika zu befreien, erklärt Meyer die Symbolik, aber eben nur halb. Das zeige sich auch daran, dass die kleine weiße Minderheit dort weiterhin mehr als 80 Prozent des Vermögens besitze. Reisende schwärmen oft von der Schönheit Südafrikas. Rainald Meyer zieht dorthin nichts zurück. &bdquo;Ich habe alles gesehen“, sagt er. Auch Studienreisen in die USA erweiterten seinen Horizont. Porta Westfalica und Umgebung findet er schön. Die Meyers haben sich neue Fahrräder angeschafft, um die Gegend weiter zu erkunden. Das Einzige, was er an Südafrika vermisse, sei der lange Sommer. &bdquo;Der Winter hier ist doch ziemlich lang.“

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