Welche Rolle spielt der Kabelschacht? Spurensuche nach tödlichem Unfall

Minden. Ein Kreuz, Fotos, Blumen und Kerzen stehen an der Stelle, wo ein Auto einen 43-Jährigen Sonntagnacht tödlich überrollt hat. Angehörige des Petershägers drücken ihre Trauer aus. Nebenan auf der Straße erinnern Markierungen der Polizei an das tragische Unglück. &bdquo;Viele Schaulustige kommen hier vorbei", berichtet eine Anwohnerin. Sie habe den Aufprall gehört, sei nach draußen geeilt und nehme aufgrund des Gesehenen seitdem psychologische Hilfe in Anspruch. Sie hat den Eindruck, dass ein Kabelschacht, der zum Zeitpunkt des Unfalls auf der Straße gelegen hatte, etwas mit dem Unfall zu tun hat. Die Polizei verweist hingegen darauf, dass die Ermittlungen noch lange nicht beendet seien. Sie warte auf das Ergebnis eines Sachverständigen-Gutachtens. &bdquo;Wir erhoffen uns neue Erkenntnisse", sagt Polizeisprecher Ralf Steinmeyer. Zwar spreche die Spurenlage dafür, dass der Radfahrer über den Kabelschacht gefahren sei. Ob das allerdings der Grund des Sturzes gewesen ist, sei offen. Kabel für Veranstaltung verlegt Der Kabelschacht wurde aufgrund der &bdquo;Holi"-Veranstaltung verlegt. Der Veranstalter bezog über die Leitung von einem Hydranten, der sich auf dem Wago-Gelände befindet, Wasser für die Party. In den Jahren zuvor sei dies über den angrenzenden Ruder-Club geschehen, erklärt der Veranstalter. Vor der Veranstaltung 2019 habe das Umweltamt das jedoch nicht mehr genehmigt, weshalb eine Alternative gefunden werden musste. Die Stadt hatte bereits zu Beginn der Woche erklärt, dass sowohl die Verkehrszeichen als auch die Kabelüberführung im Kontext der Veranstaltung standen. &bdquo;Sie wurden anlassbezogen und unter Beachtung des eingereichten Verkehrsplans dort errichtet und nach Beendigung der Veranstaltung wieder entfernt", so Pressesprecherin Susann Lewerenz. Dass dieser Verkehrsplan inklusive der Verkehrszeichen und Kabelüberführung genehmigt wurde, sorgte bei vielen MT-Lesern für Unverständnis. Sie meldeten sich in Sozialen Netzwerken oder direkt in der Redaktion und berichteten von brenzligen Situationen. &bdquo;Ich bin am Samstag mit meinem Rennrad an der besagten Stelle gefahren. Das Hindernis war zwar erkennbar, jedoch sehr hoch und für Radfahrer nur befahrbar, wenn man herüberspringt", schreibt ein Leser. Er fügt an: &bdquo;Wenn mich nicht ein etwa 100 Meter vor mir fahrender PKW durch ein abruptes Bremsmanöver vor dem Hindernis mit quietschenden Reifen aufmerksam gemacht hätte, wäre ich mit Sicherheit ebenfalls gestürzt." Er bemängelt in dem Zusammenhang die seiner Meinung nach viel zu steile Aufkantung am Kabelschacht: &bdquo;Es waren nur äußerst unzureichende Rampen vorhanden." Wie der Veranstalter erklärt, sei eine Spezialfirma für die Genehmigung des Verkehrsplans sowie den Auf- und Abbau engagiert worden. Das Unternehmen sei zudem für die aktuelle Sperrung des Weserradweges in unmittelbarer Nähe zuständig und so habe man sich die Dienste der Firma aus Bad Salzuflen gesichert. Veranstalter spricht Beileid aus Die bestätigt, dass sie für den Veranstalter tätig gewesen ist. &bdquo;Zuallererst ist es schlimm, was dort passiert ist. Wir können der Familie nur unser Beileid aussprechen", sagt ein Sprecher der Firma. Sie sei ihren Pflichten nachgekommen. &bdquo;Es sind Pläne nach Angaben des Veranstalters erstellt und dann zur Genehmigung eingereicht worden", skizziert er. Nach der erfolgten Genehmigung sei alles nach Plan aufgebaut und geprüft worden. &bdquo;Aus Sicht aller Beteiligten war der Aufbau also in Ordnung." Nach Angaben des Firmensprechers sei die Verkehrssicherung am Freitag aufgebaut worden, allerdings erst einmal nur &bdquo;unscharf". Die Materialien wurden dort zunächst aufgestellt, ehe ein Mitarbeiter am Samstagmorgen vor Veranstaltungsbeginn alles so herrichtete, wie es auf den Unfallfotos zu sehen ist. Nach Beendigung der von der Polizei angeordneten Gutachtenaufnahme, sei abgebaut worden. Da das Unternehmen laut Aussage des Sprechers allerdings keine Schlauchbrücken lege (&bdquo;Das ist nicht unser Kernbereich") sei diese vom Veranstalter gestellt worden. &bdquo;Wir haben diese von einer Fachfirma ausgeliehen", bestätigt der Veranstalter. Ein Ordner, der am Samstag in der unmittelbaren Nähe eingesetzt war, habe sich bis zum Ende der Veranstaltung vor allem um die Parkplatzsituation gekümmert. Er sei nicht explizit an der späteren Unfallstelle platziert worden. Die Polizei teilte am Freitag mit, dass ein spezialisiertes Verkehrsunfallaufnahmeteam aus Münster sie unterstützt habe, ebenso sei ein Gutachter der Dekra vor Ort gewesen. &bdquo;Hierbei stand auch die Kabelbrücke im Fokus der Unfallaufnahme", sagt Polizeisprecher Thomas Bensch. Tempo 30 statt Schrittgeschwindigkeit? Recherchen haben unterdessen ergeben, dass nahezu alle auf dem Markt erhältlichen Kabelüberführungen mit einem Hinweis ausgestattet sind: &bdquo;Nur zum Überfahren mit Schrittgeschwindigkeit geeignet." Warum stand an der Werftstraße dagegen ein Tempo-30-Schild? Das MT hat bei der Stadt Minden, die den Verkehrsplan genehmigt hat, nachgefragt und einen detaillierten Fragenkatalog eingereicht. Antwort: &bdquo;Wir bitten um Verständnis, dass vor dem Hintergrund und mit Rücksicht auf die laufenden Ermittlungen der zuständigen Behörden derzeit keinerlei Erklärungen von unserer Seite zu dem Geschehen in der Werftstraße abgegeben werden können." Neben der Frage nach Tempo 30 wollte das MT wissen, ob die Kabelüberführung für Geschwindigkeiten bis 30 km/h zugelassen war und ob die Stadt den Aufbau überprüft habe. Außerdem, ob die Werftstraße aus Sicht der Behörde eine gering befahrene Nebenstraße sei? Hintergrund dieser Frage ist ein Zitat des Verkehrsexperten Uli Korsch: &bdquo;Kabel- und Schlauchbrücken kommen allenfalls für gering befahrene Nebenstraßen in Frage und sind keinesfalls auf Hauptverkehrsstraßen einzusetzen." Korsch ist seit 30 Jahren im Bereich der Verkehrstechnik aktiv. Er berät Behörden, Dienstleister und Industrie zu Themen rund um die fachgerechte Sicherung von Arbeitsstellen an Straßen und hat mit dem MT über die Gegebenheiten am Tag des Unfalls gesprochen. Ihm ist es wichtig, den polizeilichen Ermittlungen nicht vorauszugreifen, deshalb beschränkt Korsch seine Aussagen ausschließlich auf die &bdquo;Absicherung" der Kabelbrücke – unabhängig davon, ob diese unfallursächlich war oder nicht. Keine weiteren Einsätze an Unfallstelle &bdquo;Die Ankündigung mit Zeichen 112 und Zeichen 274-30 (Anm. d. Red.: Verkehrszeichen &bdquo;unebene Fahrbahn" und &bdquo;Tempo 30") wird der vorliegenden Gefahr nach meinem Dafürhalten nicht im Ansatz gerecht", erklärt Korsch. Es sei schon ein Unterschied, ob es sich um eine &bdquo;unebene Fahrbahn" im Sinne von &bdquo;Straßenschäden" handelt, oder um ein Hindernis auf der Fahrbahn. &bdquo;Sowohl mit dem Fahrrad, als auch mit einem Kraftfahrzeug, ist ein sicheres Überqueren allenfalls mit Schrittgeschwindigkeit möglich, aber keinesfalls mit 30 km/h", sagt der Experte. Zwar handele es sich um die zulässige Höchstgeschwindigkeit &bdquo;unter idealen Bedingungen", dennoch dürfe der Verkehrsteilnehmer darauf vertrauen, dass das angesetzte Limit auch &bdquo;fahrbar" sei. &bdquo;An dieser Stelle sind aber selbst 20 km/h zu viel." Das wesentliche Problem ist für ihn der viel zu geringe Abstand der Verkehrszeichen zur Gefahrstelle. Innerhalb geschlossener Ortschaften stehen Gefahrzeichen laut Straßenverkehrsordnung zwar &bdquo;im Allgemeinen kurz vor der Gefahrstelle". Damit sei aber nicht gemeint, dass sie unmittelbar an der Gefahrstelle stehen, denn dann sei keine erforderliche Vorwarnung gegeben. &bdquo;Eigentlich sind diese Kabelbrücken nur zum Schutz der Leitungen geeignet, aber nur bedingt für die sichere Benutzung von Verkehrswegen", sagt Korsch und verweist unter anderem auf Barrierefreiheit und Sturzgefahr. Ist ein Motorradfahrer vor dem Unfall ebenfalls gestürzt? Die eingangs genannte Anwohnerin an der Werftstraße sagt, sie habe bei der Polizei ausgesagt, dass bereits vor dem Unfall ein Motorradfahrer über das Hindernis gestürzt sei. Die Polizei kann das nicht bestätigen, auch habe es keine weiteren Einsätze an der späteren Unfallstelle gegeben. Rund sechs Tage nach dem tragischen Unfall sind also noch zahlreiche Fragen offen. Ein Blick auf die Unfallstelle offenbart weitere. Warum sind dort keine Bremsspuren zu sehen? Wie schnell fuhr der Autofahrer? Das und Weiteres soll das Gutachten klären. Es sind Fragen, die sich auch der Freundeskreis des Verstorbenen stellt – und auf detaillierte Aufklärung hofft. Die Obduktion am Donnerstag hat unterdessen ergeben, was zu vermuten war: Der Tod des 43-Jährigen sei nach derzeitigem Kenntnisstand als Folge des Unfallgeschehens eingetreten. Die Histologische Untersuchungen würden allerdings noch ausstehen.

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