Minden (dpa). Stimmgewaltig donnert Wotans Bariton bei der Aufführung von Richards Wagners Oper „Die Walküre" durch das Stadttheater in Minden. Und der berühmte „Walkürenritt" lässt das Gebäude geradezu erbeben. Doch noch bemerkenswerter als das durchaus hohe Niveau der Wagner-Aufführung in der 80.000 Einwohner-Stadt in Ostwestfalen-Lippe ist, dass es sie überhaupt gibt.
„Ohne die Mithilfe der Bevölkerung wären die Wagner-Inszenierungen hier in Minden nicht möglich", betont Jutta Hering-Winckler, die Vorsitzende des Wagner-Verbandes in Minden. Denn viele Mindener sind aktiv an den Aufführungen beteiligt. Eine ältere Dame etwa erzählt am Rande der Aufführung, dass Brünnhilde und Wotan bei ihr daheim wohnen. Und der ein oder andere Hundebesitzer ist eigentlich nur gekommen, weil sein vierbeiniger Freund mitspielt: als Statist in einem Video, das als Teil des Bühnenbildes eindrucksvoll Sieglindes Fiebertraum von Hundings Meute unterstreicht, die den fliehenden Siegmund verfolgt.
Hering-Winckler ist der unermüdliche Motor hinter dem erstaunlichen Phänomen des Weser-Wagners. Als zum 90. Jubiläum des Verbandes die Idee aufkam, den Wagner-Kult an die Weser zu holen, setzte sie alles daran, hochkarätige Musiker an das Stadttheater zu holen. Dabei hat das Haus kein eigenes Ensemble und dient üblicherweise als Spielstätte für Gastauftritte.
"Das Wunder von Minden"
In dem Dirigenten Frank Beermann und der Nordwestdeutschen Philharmonie fand sie Verbündete, die bereit waren, das Wagnis einzugehen. Und was anfangs kaum jemand für möglich gehalten hatte: Als „Der Fliegende Holländer" 2002 Premiere feierte, waren Publikum und Kritiker gleichermaßen begeistert. 2005 folgte der „Tannhäuser", 2009 „Lohengrin" und 2012 „Tristan und Isolde". Danach wagte sich das Team um die engagierte Vorsitzende an den „Ring des Nibelungen": zunächst im einjährigen Abstand jede Opern einzeln, 2019 soll dann der komplette Zyklus erklingen. Die Inszenierungen stoßen bundesweit auf Anerkennung, und in Feuilletons und Opernzeitschriften tauchte schon das Schlagwort „Wunder von Minden" auf.
Doch hinter dem vermeintlichen Wunder steht die Begeisterung vieler Mindener. Sie nehmen die Musiker bei sich zuhause auf und helfen als Statisten oder bei der Organisation hinter der Bühne. Mit dabei sind nicht nur eingefleischte Wagner-Fans. Im Gegenteil. So berichtet etwa Imina Ibrügger: „Als ich Wagner das erste Mal hörte, dachte ich: Das ist doch nicht schön, oder? Die erste Produktion habe ich auch nicht angesehen. Aber dann haben meine Doppelkopf-Damen gesagt: Du musst da hin. Und dann bin ich in eine Aufführung gegangen. Und inzwischen habe ich wirklich einen Zugang zu Wagner gefunden. Und das macht mir viel Spaß." So viel Spaß, dass die Neu-Wagnerianerin in diesem Jahr auch zum ersten Mal einen Musiker beherbergt.
Die Künstler fühlen sich sichtlich wohl in dieser Atmosphäre. So erklärt Tijl Faveyts, der den Hunding singt: „Normal sind wir irgendwo in einem Business-Apartment oder in einem Hotel. Hier hingegen hat man wirklich Familienanschluss und erlebt einfach Menschen, die dieses ganze Wagner-Festival unterstützen. Das ist sehr erfüllend und bereichernd."
Für das ganze Ensemble scheint die spürbare Begeisterung der gesamten Stadt für „ihren" Wagner genau die richtige Basis zu sein, um ihr künstlerisches Potenzial zu entfalten. So überzeugten bei der Premiere Dara Hobbs als Brünnhilde und Renatus Mészár als Wotan, Magdalena Anna Hofmann als Sieglinde und Thomas Mohr als Siegmund, sowie Tijl Faveyts als Hunding und Kathrin Göring als Fricka mit großer gesanglicher wie schauspielerischer Leistung gleichermaßen. Unter der Regie von Gerd Heinz, der musikalischen Leitung von Frank Beermann und gemeinsam mit der Nordwestdeutschen Philharmonie gestalteten sie Musiktheater voller Gefühle.