Espelkamp

Was einen Deutschen genau ausmacht

Intelligent-witzige Komödie über eine typische Studenten-WG / Turbulent inszeniert vom "Theater am Kurfürstendamm"

Nachbar Friedhelm Schröder (Helmut Krauss) wundert sich, denn er erkennt die Studenten aus der WG kaum wieder. |

23.10.2012 | 23.10.2012, 00:00

Espelkamp. In einer typischen Studenten-WG mit Anti-Atomkraft-Aufklebern, Kinoplakaten, Sofas mit Deckenüberwürfen und einem Poster mit der Aufschrift "Reiche Eltern für alle" an der Wand ging es sehr turbulent zu, als der Hauptmieter und somit Verantwortlicher, Henrik Schlüter (Eric Bouwer), in den Ski-Urlaub fuhr.

Zu Beginn des Theaterstückes von Stefan Vögel, das die "Komödie am Kurfürstendamm" aus Berlin in einem Gastspiel am Sonntag im Neuen Theater Espelkamp inszenierte, hatte man zunächst Gelegenheit, die Mitbewohner kennenzulernen:

Tarik Al-Hassan, den Syrer und Studenten mittelhochdeutscher Lyrik, gespielt von Karim Cherif; die Französin Virginie (Lene Wink); deren italienischen Freund Enzo Danesi (Alessandro Calabrese)und den Wiener Rudi Scheibler(Oliver Dupont), der notorisch pleite ist.
Ein Brief von der Wohnungsbaugenossenschaft ließ die Fünf vermuten, dass ihr WG-Chef die Bewohner als deutsche Familie mit zwei Kindern angegeben hatte, um somit in den Genuss des unverdienten Kindergeldes zu kommen.

Um das Einbürgerungsverfahren von Tarik nicht zu gefährden, beschlossen alle, so zu tun als ob. Nur, was macht einen Deutschen genau aus?

Tarik, der als einziger der Truppe akzentfrei Deutsch spricht, nahm die Zügel in die Hand: "Ich bin der Boss, das sind die Regeln und ihr seid meine Deutschen".

In der Aufzählung der Regeln spiegelten sich sämtliche Klischees über die Deutschen wieder, aber auch die anderen Nationalitäten bekamen in rasanter Abfolge schlagfertiger Dialoge ihr Fett weg, Anspielungen auf das geistig noch nicht völlig verdrängte Dritte Reich, die alleinerziehenden Väter, die von deutschen Gerichten sowieso niemals das Sorgerecht bekommen und die Österreicher, die "immer dabei sind, wenn die Deutschen rufen", waren messerscharf spöttisch verpackt und die Lachmuskeln des Publikums kamen dabei kaum zur Ruhe.

In der Verwandlung dann strich die sonst so lebenslustige Französin Virginie ihr Dirndl glatt, Tarik plusterte sich in der Rolle des Vaters in Rippenunterhemd, fleckiger Hose und Bierflasche in der Hand auf und man dachte sofort an "Alfred Tetzlaff", so wie er Frau und Söhne mit harter und abgehackt wirkender Stimme herum kommandierte.

Fast lief alles perfekt, der Mitarbeiter der Wohnungsbaugenossenschaft, Jochen Reize, alias Siegfried Kadow, der alles kontrollieren sollte, war bereits fast überzeugt und Tarik, der gebürtige Syrer und Wunschdeutscher, verschmolz quasi mit seiner Rolle und mochte gar nicht mehr aufhören, den Deutschen zu spielen.

Da tauchte Nachbar Schröder, der von Helmut Krauss gespielt wurde, auf und drohte, alles auffliegen zu lassen. Aber auch dagegen gab es einen Plan, der von den findigen Studenten rasch umgesetzt wurde.

Als Urlauber Henrik wieder nach Hause kam, staunte der nicht schlecht ob der Veränderungen und verstand erst einmal gar nichts.
Nachdem seine Mitbewohner ihn zur Rede gestellt hatten, klärte er auf:

Er wollte nie betrügen – im Gegenteil, er hat immer brav das Kindergeld wieder zurück geschickt, aber das Amt hat nicht reagiert.

Gegen so viel bürokratische Ignoranz kommt man wohl nicht an, meinte dann auch Mitarbeiter Reize und ließ verschmitzt durchblicken: "Das Meldeamt hat immer Recht"
Der Autor von "Achtung Deutsch", Stefan Vögel, nimmt in diesem Stück nationale Klischees aufs Korn, was von Regisseur Martin Woelffer in brillanter Form umgesetzt wurde.

Die Inszenierung des Theaters am Kurfürstendamm war eine intelligent witzige und spritzige Komödie, die mit charismatischen Darstellern erster Güte besetzt war, die ihre Rollen bis ins Detail beherrschten.

Ein gelungener Abend für die Besucher des Espelkamper Theaters.