Müssen wir Frieren im Winter? "Verhalten der Öl-Konzerne ist asozial"

Lübbecker Land. Der russische Staatskonzern Gazprom hat seine Gas-Lieferung in mehrere westeuropäische Staaten eingestellt. Andere Staaten wie Deutschland erhalten derzeit deutlich weniger Gas als vereinbart. Deutschland reagiert darauf und dazu äußert sich Achim Post. Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag nimmt erstmals auch zum möglichen Klinik-Neubau im Lübbecker Land Stellung - und ist skeptisch. Herr Post, müssen wir im Winter frieren? ACHIM POST: Nein. Aber wir müssen Vorsorge treffen, damit wir nicht im Winter frieren müssen. Wir müssen aber genug Energie haben und realistisch sein und von weiter steigenden Energie-Preisen ausgehen. Im Bundestag müssen wir darauf achten, die Bürgerinnen und Bürger zielgerichtet zu entlasten, weil es nicht möglich sein wird, allen die Kosten zu erstatten, die sie zahlen müssen. Vorsorge treffen - was ist denn jetzt zu tun? Wir haben unsere Abhängigkeit von russischem Öl, Gas und russischer Kohle schon deutlich verringert und kaufen auf anderen Märkten ein. Die Gasspeicher sind relativ gut gefüllt. Ich nehme mal die vergangenen zwölf Monate: Wir haben im Mai mit 7,9 Prozent die höchste Inflationsrate seit 1974 gehabt. Die Haupttreiber sind die Energiepreise. Bei Kraftstoffen liegen die Preise derzeit um 41 Prozent über den Preisen im Mai vorigen Jahres. Bei Gas sind es mehr als 55 Prozent und bei Öl sind es gut 90 Prozent. Es ist nicht abzusehen, dass es günstiger wird beim Einkauf dieser Energieträger. Hinzu kommen die gestiegenen Lebensmittelpreise. Tanken, Wohnen, Essen - das sind Dinge, die kann man kaum verändern, aber es gibt die größten Preissteigerungen. Gut gefüllte Gasspeicher? Wirtschaftsminister Robert Habeck hat gesagt, dass wir mit 56 Prozent Gasspeicher-Füllstand nicht durch den Winter kommen. Wie soll denn einem Frieren im Winter vorgebeugt werden? Habeck macht es gerade und versucht, in vielen Ländern Öl und Kohle einzukaufen. Bei Gas ist das schwieriger, weil das vielfach an Pipelines gebunden ist. Und eine Pipeline baut man nicht in drei Monaten. Deshalb werden neue LNG-Terminals für Flüssiggas gebaut. Es gibt einen weiteren Punkt, den Habeck nennt und der richtig ist: Man muss mehr über Energie-Effizienz und Energie-Einsparungen reden. Trotzdem bleibt es sehr wahrscheinlich, dass die Energiepreise weiter steigen. Während der Corona-Pandemie waren die aber auch eine Zeit lang gesunken. Fällt uns jetzt nicht auf die Füße, dass die Große Koalition den Ausbau der erneuerbaren Energien nicht wirklich vorantrieb? Der Ausbau der Windkraft etwa ist doch deutlich ins Stocken geraten, nicht wahr? Es ging viel zu langsam. Aber das lag nun wirklich an der CDU/CSU-Fraktion. Der Bremsklotz war der schwarze Teil der Koalition. Nun hat die neue Koalition alle Möglichkeiten, das müssen wir machen. Da ist sich die Ampel einig. Der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) haben sich nicht daran gestört, dass der größte europäische Erdgasspeicher in Rehden an Gazprom verkauft wurde. Sie haben das geduldet. Aus heutiger Sicht ein Kardinalfehler? Ich war in die Entscheidungen nicht einbezogen und kann sie deshalb nicht beurteilen. Aber heute würde man das nicht noch einmal machen. Der Tankrabatt nutzt vor allen den Öl-Multis. Wann wird er gekippt? Er wird nicht gekippt. Aber wir müssen alles dafür tun, dass deutlich mehr an die Bürgerinnen und Bürger weitergegeben wird. Deshalb ist es richtig, dass Wirtschaftsminister Habeck das Kartellrecht deutlich anschärfen will. Das Kartellrecht in Deutschland wird in diesem Jahr 65 Jahre alt und wurde mehrfach novelliert. Aber zwei Grundsätze sind in dem Gesetz von vor 65 Jahren richtig: Das Kartellrecht soll einen fairen Wettbewerb gewährleisten und den Missbrauch von Marktmacht bekämpfen. Und was wir gerade erleben durch die Mineralölkonzerne, das ist ein unverfrorener Missbrauch von Marktmacht. Deshalb habe ich noch einen anderen Vorschlag für Herrn Habeck, der schneller geht als ein Gesetz, für das man Monate braucht. Ich würde noch in den nächsten Tagen die Chefs der Ölkonzerne ins Wirtschaftsministerium einladen und ihnen sagen, dass das so nicht geht. Denn an einer überaus kritischen Berichterstattung über ihr Gebaren haben auch die kein Interesse. Glauben Sie das wirklich? Lachen nicht vielmehr die Öl-Multis über den zahnlosen Tiger Kartellamt? Bisher ja. Aber über das, was Habeck und die Ampel vorhaben, werden sie nicht mehr lachen. Wir müssen das nur machen. Die Mehrheit dafür haben wir. Das heißt Abschöpfen der Übergewinne? Ja, Und dann gibt es das schöne Wort "Entflechtung" im Fall der umfassenden Markt-Beherrschung. Diese Markt-Beherrschung gibt es. Im Klartext heißt das: Öl-Konzerne müssen Teile ihres Firmen-Geflechts verkaufen. Die notwendige Sektor-Analyse muss man machen und das mit Konsequenz. Das Verhalten der Öl-Multis ist ja bekannt. Einer erhöht und die anderen ziehen nach. Das Verhalten der Öl-Multis seit Einführung des Tankrabatts halte ich für asozial." Sie sind in Rahden geboren und in Espelkamp aufgewachsen. Wie beurteilen Sie die Planungen der Mühlenkreiskliniken für ein mögliches neues Klinikum im Lübbecker Land? Die Krankenhaus-Pläne sind mehr als eine wichtige Entscheidung an einem Tag. Sie werden im wahrsten Sinn des Wortes über den Tag hinaus langfristige Auswirkungen für die Bürgerinnen und Bürger in Minden-Lübbecke haben. Deshalb bin ich mir sicher, dass alle kommunalen Entscheidungsträger die Vor- und Nachteile eines solchen großen Projekts sorgfältig abwägen. Gerade bei solch großen Projekten spielt die finanzielle Solidität eine große Rolle. Ich bin erst einmal völlig ergebnisoffen an die Frage herangegangen, was für uns alle am besten ist: eine Modernisierung oder ein Neubau. Aber nachdem die genauen Zahlen bekannt und öffentlich sind, möchte ich keine Lösung, die zu Lasten der Beschäftigten und Patienten oder zu Lasten der Städte und Gemeinden und damit aller Bürgerinnen und Bürger in Minden-Lübbecke geht. Außerdem kann man mit Fug und Recht behaupten, dass das Land NRW mit der in Rede stehenden Zuschuss-Summe seiner Verantwortung nicht gerecht wird. Sie sind in Espelkamp nahe des Waldes aufgewachsen, der nun als Standort-Favorit für ein mögliches neues Klinikum im Lübbecker Land gilt. Ist es nicht eine ökologische Katastrophe, wenn dieser komplette Wald abgeholzt würde? Auch bei möglichen Standorten gilt es stets, Vor- und Nachteile abzuwägen. Von daher habe ich Zweifel, ob das Abholzen eines Waldes eine geeignete Maßnahme ist.

Meistgelesen