 
        
                    Espelkamp. Wenn Nadine Gehrmann vom 1. Mai letzten Jahres spricht, hat sie ein beständiges Lächeln im Gesicht. Ihr drittes Kind wurde damals geboren. Ohne ihre Hebamme hätte der Tag womöglich kein glückliches Ende genommen (¦ Zweittext). Doch weil die Haftpflichtkosten für Geburtshelferinnen ab dem Sommer stark steigen, wird es bald kaum noch selbstständige Hebammen geben.
Der frühe Abend am Tag der Arbeit 2013 begann entspannt im Haus der Gehrmanns im Espelkamper Ortsteil Isenstedt. Zwar war die 27-jährige Nadine mit ihrem dritten Kind hochschwanger, doch bis etwa 19 Uhr gab es keinerlei Anzeichen für eine bevorstehende Geburt. "Trotzdem habe ich mit Nicole telefoniert und sie gebeten, in der Nähe zu sein", sagt Nadine Gehrmann. Hebamme Nicole Kramer (31) war zu diesem Zeitpunkt in Porta Westfalica und machte sich um 19.30 Uhr auf den Weg.
Trotz starker Blutung kein Notarzt im Einsatz
Als die kleine Nova zu Hause auf die Welt kommt, ist im ersten Moment alles in Ordnung. Kurz darauf hat Nadine Gehrmann jedoch starke Nachblutungen. "Es lief wie aus einem Wasserhahn", sagt Hebamme Nicole Kramer. Nadines Ehemann setzt einen Notruf ab. Beide Frauen hören ihn, als er der Rettungsleitstelle von einer "Geburt" und "starken Nachblutungen" berichtet. Kurz darauf trifft jedoch kein Notarzt, sondern lediglich die Besatzung eines Rettungswagens (RTW) ein. "Ich bat sie, einen Venenzugang zu legen, um das Wehenmittel Oxytocin zu geben", sagt Kramer. Das dürfe nur ein Arzt anordnen, entgegnet die RTW-Besatzung, die dann doch den Zugang legt. Kurz darauf stoppt die Blutung. Auf Anfrage teilt die Rettungsleitstelle mit, dass keine Besonderheiten im Einsatzprotokoll vermerkt seien. (tyl)Es muss der Mutterinstinkt von Nadine Gehrmann gewesen sein, denn nur fünf Minuten nach Eintreffen der Hebamme kam die kleine Nova im Schlafzimmer auf die Welt. "So war das nicht geplant, aber wir hätten es nicht einmal mehr bis nach Lübbecke ins Krankenhaus geschafft", sagt Gehrmann. "Ich hatte eine optimale Betreuung, als es darauf ankam. Meine Hebamme kennt mich am besten, sie hat mich in den Monaten vorher betreut."
So persönlich wird es in Zukunft kaum noch zugehen. Ab Juli wird sich die Prämie für die Hebammen-Haftpflicht auf knapp über 5.000 Euro erhöhen. Schon jetzt zahlt Nicole Kramer 4.600 Euro pro Jahr. Je Geburt erhält die Hebamme einen Pauschalsatz von 288,72 Euro (328,67 Euro in der Nacht) – egal, wie lange die Niederkunft dauert. Mit rund 20 Geburten, die Kramer pro Jahr betreut, könnte sie gerade mal die Haftpflichtprämie bezahlen. "Und den Mitgliedsbeitrag für den Hebammenverband über 250 Euro", sagt Nicole Kramer mit einem bitteren Lächeln. Daher stellt sie ab 1. Juli, dem Stichtag für die Prämienerhöhung, die Geburtshilfe ein.
Als Kramer 2008 als Hebamme begann, kostete ihre Berufshaftplicht 1.500 Euro im Jahr. Woher kommt also der gewaltige Preisanstieg? "Die Schadensfälle werden zwar weniger, aber die Eltern reichen häufiger Klagen ein", sagt Kramer. Das ist eigentlich eine positive Entwicklung, da die Gerichte Kindern, die bei der Geburt beispielsweise durch Sauerstoffmangel Behinderungen erleiden, deutlich mehr Schmerzensgeld zusprechen. Die Summe habe sich in den letzten zehn Jahren vervierfacht, sagt die Versicherungswirtschaft – und will das Risiko naturgemäß minimieren.
Ende vergangener Woche dann die endgültige Hiobsbotschaft: Zum 1. Juli 2015 wird es keine Versicherung mehr geben, die überhaupt noch eine Haftpflicht für freiberufliche Hebammen anbietet. Die Nürnberger Versicherung steigt aus dem Risikogeschäft aus, ein anderer Anbieter ist nicht in Sicht. Hausgeburten oder eine Entbindung in einem Geburtshaus würden dann der Vergangenheit angehören.
In den Niederlanden gibt es Höchstgrenzen, bis zu der Hebammen haften müssen. Derartige Lösungen strebt nun auch der Deutsche Hebammenverband an. Immerhin hatte Kanzlerin Angela Merkel im Wahlkampf versprochen, sich um die Hebammen zu kümmern.
"Der Staat möchte mehr Kinder, unternimmt aber nichts dafür", sagt Nadine Gehrmann. "Im Gegenteil, es wird noch schlimmer."