Bad Oeynhausen. Für Andreas Geszczak (69) kam die Rettung dank der Gewebebank im Herz- und Diabeteszentrum (HDZ) NRW gerade noch rechtzeitig. Dort werden menschliche Gewebetransplantate bei minus 180 Grad Celsius für Herz- und Gefäß-Operationen bereitgehalten.
Als Geszczak als Notfall im HDZ aufgenommen wird, ist sein Zustand akut lebensbedrohlich. Bakterien an seiner Kunststoff-Prothese, die die beiden wichtigen Leistenarterien verbindet, hatten eine schwere Entzündung der Bauchdecken und Leisten ausgelöst. Er fiebert, blutet in beiden Leisten, zudem hat sich Flüssigkeit zwischen Lunge und Rippen angesammelt, ein sogenannter Pleuraerguss gebildet. Der ehemalige Lagerist aus Kirchlengern leidet unter Atemnot und Brustschmerzen, sein rechtes Bein ist kalt, weil sich der Bypass verschlossen hat.
„Grundsätzlich kann jede Infektion zu einer Sepsis führen“, sagt Ernest Danch, Leiter der Gefäßchirurgie. „Das ist immer ein medizinischer Notfall. Viel Zeit bleibt dann nicht.“ Der diensthabende Chirurg Agron Ibishi platziert eine Drainage zwischen Lunge und Brustwand. Die Gefäßchirurgen aus der neuen Abteilung von Danch werden hinzugezogen.
Zum Thema: Mehr Gewebespenden im vergangenen Jahr
Gewebe-Transplantation hat geringeres Infektionsrisiko
Der leitende Oberarzt Stefan Heisel und Danch kümmern sich anschließend um die eigentliche Ursache des Übels. Es ist die infizierte Kunststoffprothese, die ihr Patient einst in einer anderen Einrichtung aufgrund einer arteriellen Verschlusskrankheit („Raucherbein“) erhalten hat, um die Durchblutung zu überbrücken. „Die musste jetzt schnellstmöglich entfernt und ersetzt werden.“
Gesucht wurde ein neuer Bypass. Ist eine implantierte Kunststoff-Gefäßprothese einmal infiziert, sollte sie nicht durch eine neue künstliche Prothese ersetzt werden. Für die Gefäßspezialisten kommt nur noch eine Transplantation von menschlichem Gewebe infrage.
Ein Gefäß eines verstorbenen menschlichen Spenders, ein sogenannter „Homograft“, soll dem Patienten als sogenannter Cross-Over-Bypass dienen, um den Blutfluss über die Leistenarterien wiederherzustellen. „Gegenüber künstlichen Gefäßprothesen ist das Infektionsrisiko deutlich niedriger“, sagt Danch. „Dank entsprechender Vorbehandlung besteht bei Homografts auch keine Gefahr, dass der Körper das fremde Gefäß abstößt.“
📱News direkt aufs Smartphone: Kostenloser WhatsApp-Kanal der NW Kreis Minden-Lübbecke
500 Gewebespenden pro Jahr in Deutschland benötigt
Nun sind nicht nur Spenderorgane, sondern auch Gewebespenden jeglicher Art ein knappes Gut. Gut 500 Präparate jährlich werden in Deutschland benötigt. „Wenn wir einen Wunsch frei hätten, dann wäre das ein stattliches Reservoir an Oberschenkel- und Beckenarterien oder Hauptschlagadern, um Notfallpatienten durchgehend gut und sicher helfen zu können“, sagen die Gefäßchirurgen.
Ihr Patient hat Glück. Denn als Heisel zur Gewebebank eilt, hat er ein Gefäß im Sinn, das er nur wenige Tage zuvor dort gesehen hat. Hier lagert ein 25 Zentimeter langer Aortenbogen mit absteigendem Ast (Aorta descendens), der zu Geszczak passt.
Eine Stunde etwa dauert es im OP-Saal, bis die verunreinigte künstliche Prothese entfernt ist, eine weitere halbe Stunde, bis die Leisten des Patienten vorbereitet und gesäubert sind. Innerhalb von 30 Minuten wird der Aortenbogen als neue biologische Gefäßprothese in mehreren Schritten aufgetaut. Zwei Stunden insgesamt verbringen Danch und Heisel im OP, dann ist ihr Patient gerettet. Andreas Geszczak bleibt noch einige Tage auf der Intensivstation, weitere 14 Tage auf der Normalstation.
Wäre der Notfall vermeidbar gewesen? „Es ist wichtig, Symptome frühzeitig ernst zu nehmen“, sagt Danch. „Insbesondere bei einem bestehenden Infekt sind ein rapider sinkender Blutdruck, Blutungen und Schmerzen immer Warnsignale, bei denen man nicht zögern darf, ärztlichen Rat einzuholen.“
Lesen Sie auch: Zu wenige Organspenden und keine Lösung - Herzzentrum kritisiert neue Bundesregierung