Rettungsdienst verweigert Bad Oeynhausener trotz Herzinfarkt den Transport

Bad Oeynhausen. Der Garten ist sein Paradies im Schatten. Im Sommer bilden die rankenden Weinreben ein Dach vor der gleißenden Sonne. Hier draußen hinterm Haus in Rehme lässt es sich aushalten. Recep Olgun setzt sich auf die Gartenbank unter die Weinblätter und trinkt stilles Wasser. Er kommt gerade aus der Reha, geht viel spazieren. Vor ein paar Monaten ist er dem Tod noch mal von der Schippe gesprungen, weil seine Tochter ihn ins Krankenhaus gefahren hat. Die über Notruf alarmierten Sanitäter wollten ihn nicht fahren. Familie Olgun ist auf den Rettungsdienst deshalb gar nicht gut zu sprechen. Dafür gibt es aber offenbar noch einen weiteren Grund: Angeblich forderten die Sanitäter für den Krankentransport des Rehmers 300 Euro Bargeld. Der Kreis Minden-Lübbecke widerspricht dieser Darstellung auf Nachfrage der NW. Unstrittig aber ist, dass es den Einsatz am frühen Morgen des ersten Weihnachtstages am Wohnhaus in Rehme gegeben hat. Anlass waren &bdquo;unklare Magenschmerzen“. Dass sich dahinter in Wahrheit ein Herzinfarkt versteckte, erkannten die Retter nicht. Das ist tragisch, aber solche Fehlschlüsse können auch erfahrenen Rettungskräften passieren. Wie aus Unterlagen des Herz- und Diabeteszentrums hervorgeht, hatte Recep Olgun einen Hinterwand-Infarkt. Nicht jeder Infarkt kündigt sich jedoch wie im Lehrbuch durch ausstrahlende Schmerzen in den linken Oberarm an. Und nicht jeder Patient sagt auch frei heraus, wie schlecht es ihm wirklich geht. In diesem Fall haben die Retter wohl nicht so genau hingesehen. Und die Kreisleitstelle schickte auch gar keinen Rettungswagen mit entsprechender Herzinfarkt-Ausrüstung wie Defibrillator mit Elektrokardiogramm, Sauerstoff und Medikamenten, sondern einen Krankenwagen – ohne diese Ausrüstung. Die Retter untersuchen den Patienten nicht Merve Olgun kann das nicht fassen. Die Tochter des Patienten ist Polizeibeamtin und hat Erfahrung im Blaulicht-Geschäft. Das Verhalten von Kollegen aus dem Rettungsdienst hat sie so noch nicht erlebt. Die Sanitäter tasteten ihrem Vater nicht einmal den Bauch ab. &bdquo;Sie standen bloß in der Tür“, sagt die Tochter. Zu einer eingehenden Untersuchung bestand nach Darstellung des Kreises Minden-Lübbecke, der den Rettungsdienst verantwortet, offenbar kein Anlass. Nach Angaben von Kreis-Pressesprecherin Sabine Ohnesorge haben die Sanitäter &bdquo;einen Patienten in entspannter Sitzhaltung ohne klinische Anzeichen einer Atemnot vorgefunden“. Für einen akuten Notfall habe es &bdquo;keine Hinweise gegeben“. Bei den geringsten Anzeichen von Atemnot hätten die Sanitäter sofort Notarzt und Rettungswagen dazu gerufen, versichert die Sprecherin. Recep Olgun machte auf die Sanitäter offenbar nicht den Eindruck eines sterbenskranken Herzinfarktpatienten. Er selbst schildert das Monate später aber ganz anders. Die Nacht habe er vor Schmerzen nicht schlafen können und auch schlecht Luft bekommen. Kurz vor dem Besuch der Sanitäter habe er sich noch rasch frisch gemacht und das Gesicht mit kaltem Wasser gewaschen. Die Leitstelle schickt bloß einen Krankenwagen ohne Ausrüstung Als seine Tochter am Weihnachtsmorgen von ihrer Mutter geweckt wurde und ihren Vater leiden sah, wählte sie kurz vor 7 Uhr sofort den Notruf. Doch der Leitstellendisponent schickte keine Hilfe, er leitete den Anruf weiter. Merve Olgun landete in der Warteschleife der Telefonhotline 116 117 des hausärztlichen Notrufs. Ihr Gefühl: Sie wurde abgewimmelt und rief erneut die 112. Im zweiten Anruf schickte die Leitstelle dann den Krankenwagen los. &bdquo;Der Disponent klang ziemlich genervt“, sagt Merve Olgun. &bdquo;Er sagte: ,Sie schon wieder!“ Die Kreisverwaltung bestreitet, dass dieser Satz gefallen ist. Nach Angaben der Pressesprecherin werden die Gespräche der Leitstelle grundsätzlich aufgezeichnet, man habe sich die Telefonate noch einmal angehört: &bdquo;Der Satz: &bdquo;Sie schon wieder“ ist nicht gefallen“, erklärt Sabine Ohnesorge. Der Disponent habe beim zweiten Anruf aber geantwortet &bdquo;Ich weiß“, um zu signalisieren, dass es nicht notwendig sei, den Sachverhalt zu wiederholen. "Ein subakuter Krankentransport" Zeit ist im Rettungsdienst eine knappe Ressource und kann Leben retten. Umso erstaunlicher ist deshalb, dass die Leitstelle bloß einen Krankenwagen (KTW) losschickte. Normalerweise würde ein Rettungswagen (RTW) mit Blaulicht und Martinshorn am schnellsten zum Notfall gelangen. Am Weihnachtsmorgen war ein RTW der Wache Bad Oeynhausen mit einem anderen Notfall beschäftigt. Ein zweiter RTW wäre aber verfügbar gewesen. &bdquo;Alle beteiligten Hilfskräfte, also auch die Besatzung vor Ort, waren aufgrund der Meldung auf dem Stand, dass es sich hier um einen subakuten Krankentransport handelt, bei dem keine initiale Primärversorgung notwendig sein würden – also keine unmittelbaren lebensrettenden Maßnahmen.“ Krankentransporte werden normalerweise in der Leitstelle angemeldet. Die meisten dieser Transporte sind planbar und werden von Altenheimen, Reha-Kliniken oder Arzt-Praxen bestellt, sie kommen nicht von Privathaushalten über den Notruf 112. Im vergangenen Jahr erreichten die Leitstelle im Tagesdurchschnitt 395 Anrufe, darunter 128 Notrufe. Rettungswagen rückten im Schnitt 88 Mal am Tag aus, Krankenwagen 25 Mal. Wie oft die Leitstelle einen Krankenwagen als Ergebnis eines Notruf-Telefonats losschickte, lässt sich nach Angaben der Kreisverwaltung nicht ermitteln. Die Leitstelle trifft eine Vorauswahl am Notfall-Telefon Die Leitstelle hat zudem eine neue Systematik bei der Notruf-Bearbeitung eingeführt, die &bdquo;strukturierte Notrufabfrage“. Dadurch sollen schon am Telefon die schweren Notfälle von den weniger schweren getrennt werden. Der Sinn: Wo ein Krankenwagen reicht, soll auch nur ein Krankenwagen geschickt werden. Und genau danach handelte die Leitstelle offenbar im Fall Olgun. Womöglich haben dann die Sanitäter vor Ort zu sehr auf diese Vorentscheidung am Telefon vertraut. Vielleicht hat auch Recep Olgun einen ganz anderen Eindruck von sich vermittelt, als es wirklich um ihn stand. Die Darstellungen beider Seiten klaffen auseinander. Von dem Gespräch über die 300 Euro hat Recep Olgun selbst gar nichts mitbekommen. Er hat sich auf Geheiß der Sanitäter eine Coronaschutzmaske aufgesetzt und sich auf die Couch gelegt, erzählt er. Die Tochter aber hat die Sanitäter genau so verstanden: &bdquo;Die wollten 300 Euro für den Transport haben.“ 300 für den Transport? Womöglich ein Missverständnis Die Kreisverwaltung dagegen erklärt, diese Darstellung sei &bdquo;nicht korrekt“. Ohnesorge schreibt: &bdquo;Dies scheint ein Missverständnis gewesen zu sein, das sich leicht klären lässt.“ Es handelte sich um &bdquo;eine Zusatzinformation“ der Sanitäter vor Ort. Weil der Rettungsdienst für &bdquo;unklare Magenschmerzen“ womöglich keine Arzt-Unterschrift im Krankenhaus bekommen hätte, wäre wohl auch kein Geld von den Krankenkassen geflossen, deshalb hätten die Sanitäter darauf hingewiesen, dass &bdquo;eventuell eine Privatliquidation in der genannten Höhe zu erwarten sein könnte“. Ohnesorge schreibt jedoch auch: &bdquo;Eine Aufforderung, sofort 300 Euro in bar zu bezahlen, hat es definitiv nicht gegeben. Dafür hätte es auch gar keinen nachvollziehbaren Grund gegeben.“ Der ärztliche Leiter des Rettungsdienstes, Gunter Veit, rät seinen Mitarbeitern grundsätzlich, nicht über Kosten zu sprechen, es sei denn, sie würden ausdrücklich danach gefragt. Die leitenden Mitarbeiter des Rettungsdienstes haben sich die Abläufe noch einmal genau angesehen, aber nach Angaben der Pressesprecherin &bdquo;in der Rückschau keine wesentlichen Ansatzpunkte gefunden, bei denen das Vorgehen der Mitarbeitenden nicht plausibel oder nicht nachvollziehbar gewesen wäre.“ In Zukunft werde man aber in ähnlichen Fällen &bdquo;gegebenenfalls noch genauer nachfragen, ob es vielleicht weitere Hinweise auf eine akute Erkrankung geben könnte“. Im Gespräch mit der NW stellt sich Gunter Veit hinter seine Mitarbeiter und bekräftigt noch einmal: &bdquo;Es gab aus Sicht der Sanitäter keine Hinweise auf eine lebensbedrohliche Situation.“ Herzinfarkt wird im Krankenhaus erkannt Merve Olgun hat ihren Vater Weihnachten selbst in die Notaufnahme gefahren. Die Sanitäter beendeten ihren Einsatz und funkten der Leitstelle &bdquo;Fehlalarm in guter Absicht“ zurück. Im Krankenhaus Bad Oeynhausen erkannten die Ärzte glücklicherweise sofort, dass der Rentner einen Herzinfarkt hatte. Dann bestellten sie einen Rettungswagen, um den Patienten mit Blaulicht und Notarzt etwa 100 Meter weiter zum Herz- und Diabeteszentrum zu fahren. Olgun wurde noch am Weihnachtsmorgen operiert. Ein Krankentransport kostet laut Gebührenordnung der Stadt Bad Oeynhausen 195,69 Euro, zuzüglich 0,60 Euro für jeden gefahrenen Kilometer. Der Notarzt-Transport vom Krankenhaus zum HDZ hat die Krankenkasse laut Gebührenordnung aber 641,45 Euro für den RTW und 772,99 Euro für den Notarzt gekostet.

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