Lesung auf der Naturbühne: Über die Literatur die Welt entdecken

Löhne/Bad Oeynhausen. Wie soll man mit einer Kindheit umgehen, in der das Leben als Pflicht zu Gehorsam und zu korrektem Benehmen aufgefasst wird? Oder mit einer Jugend, in der man im Gefängnis gefoltert wird, weil man Flugblätter gegen einen Diktator verteilt hat? Das Internationale Literaturfest "Poetischen Quellen" auf der Aqua Magica hatte dafür zwei literarische Ansätze im Angebot: Frank Witzels Roman &bdquo;Innerer Schiffbruch" und Abbas Khiders Buch &bdquo;Palast der Miserablen". Der mutige Schritt der Organisatoren, die Gäste kurz nach einem Regenschauer auf die Naturbühne zu bitten, wurde nach anderthalb Stunden belohnt, als sich die Wolken verzogen und den Himmel der Sonne überließen. Flugblätter gegen Saddam Hussein verteilt Ein Blechviertel in Bagdad in den 1990er Jahren, kurz vor Ausbruch des Golfkrieges: Das von den UN verhängte, 13 Jahre dauernde Wirtschaftsembargo setzt der Bevölkerung schwer zu. Sham, ein Jugendlicher aus einer besonders armen Familie, entdeckt über Literatur eine Welt, durch die er seine eigene, harte Wirklichkeit für einige Augenblicke ausblenden kann. Denn er weiß, dass in einer Diktatur ein einziges Wort das Leben kosten kann. Das, was der aus dem Irak stammende Autor Abbas Khider seinen Protagonisten erleben lässt, hat er selbst durchgemacht: Weil er mit Freunden Flugblätter gegen Saddam Hussein verteilt hatte, kam er für zwei Jahre ins Gefängnis und wurde dort gefoltert. Seinen Humor hat der 47-Jährige dadurch nicht eingebüßt. Ganz im Gegenteil. Das wird sofort klar, als der Schriftsteller zum Auftakt über seine vier Jahre dauernde Flucht aus dem Irak nach Deutschland berichtet: &bdquo;Als ich vor 20 Jahren hier ankam, kam ich nicht wirklich an. Denn meine erste Station in Deutschland war Bayern", sagt Abbas Khider. Und sorgt damit für große Heiterkeit im Publikum. Dabei war das purer Zufall. Denn: &bdquo;Eigentlich saß ich im Zug und wollte nach Schweden", so der Autor. Putzjob, um den Deutschkurs zu bezahlen &bdquo;In Ansbach – mitten zwischen blonden Mitreisenden - wollten zwei Polizisten meinen Personalausweis sehen. Und haben mich sofort festgenommen, meine Fingerabdrücke an alle anderen europäischen Länder weitergeleitet und mir gesagt, dass ich jetzt nur noch in Deutschland einen Asylantrag stellen kann". Um nach einem Jahr Berufstätigkeit einen Deutschkurs bezahlt zu bekommen, nahm der junge Asylant eine Putzstelle an, holte dann sein Abitur nach und studierte Literatur und Philosophie. &bdquo;Dabei wollte ich als Jugendlicher eigentlich Imam werden - ein Beruf, den es in unsere Familie noch nicht gab. Im Islam glauben wir an das Wunder, dass Gott den Koran geschrieben hat. Als ich dann das erste Mal ein Buch eines Philosophen gelesen habe, dachte ich, dass der besser schreiben kann als Gott", beschreibt Abbas Khider einen Wendepunkt aus seinem Leben. Über den Wert von Literatur sagt er: &bdquo;Literatur bringt uns Erfahrung. Das ist wie beim Weintrinken. Langsam, ganz langsam. Und irgendwann merkt man, dass der Abend schön wird". Literarische Auseinandersetzung mit der eigenen Kindheit Schön war die Kindheit von Frank Witzel sicher auch nicht. Weil der Schriftsteller, der gerade erneut auf der Longlist des Deutschen Buchhandels steht, sich kürzlich bei einem Fahrradunfall drei Zähne ausgeschlagen hat und deshalb nicht kommen konnte, saß stellvertretend für ihn sein Verleger Andreas Rötzer auf dem Podium. Und las drei Erzählungen aus dem Roman &bdquo;Inniger Schiffbruch" mit autobiografischen Erinnerungen an sein Elternhaus in den 1960er Jahren, in dem das Leben als Pflicht begriffen wurde. Dass die literarische Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit ihn verändert hat, steht für den Verleger fest. "Sein nächstes Buch, an dem er gerade schreibt, wird ganz anders sein", gibt Andreas Rötzer einen Ausblick. Das Buch, in dem sich der Autor neben sich stellt und von außen auf seine Erinnerungen schaut, &bdquo;verführt dazu, in ganz unterschiedliche Richtungen zu denken", sagt Jürgen Keimer. Und mehr noch: &bdquo;Frank Witzel ist einer der größten Schriftsteller unserer Generation". Am Ende hat der Moderator noch einen Wunsch: &bdquo;Ich hoffe, er wird irgendwann darüber schreiben, was er sich als kluger und gebildeter Autor dabei gedacht hat, mit einem Fahrrad einen steilen Abhang hinunterzufahren". Mehr Links zum Thema: Auftakt der Poetischen Quellen Literaturgottesdienst: Ein Buch über Freundschaft

Meistgelesen