Hausbesuch beim Monster von Minden

Bad Oeynhausen. Gute 50 Millionen Jahre Erdgeschichte schafft Thomas Lis in zwei Stunden. Und das auch noch im lockeren Sonntagsspazierschritt, auch wenn's hie und da über Stock und Stein ging. In zwei Gruppen führte der angehende Geowissenschaftler von der Universität Bremen am Sonntag rund 60 Interessierte durch den ehemaligen Steinbruch Störmer in der Wallücke. Den Knaller hatte sich Lis für den Schluss aufgespart. Ganz sanft startet die Reise in die Vergangenheit. Lis berichtete, dass seit dem 18. Jahrhundert Eisenerz im Wiehengebirge abgebaut wurde. Das Erz wurde von 1897 bis 1937 von der Kleinbahn Wallücker Willem aus der Wallücke über Löhne bis nach Kirchlengern verfrachtet. Jahrzehntelang bewirtschaftete die Löhner Familie Störmer danach noch den Steinbruch und bereitete hier Baumaterial auf - vor allem Schotter für den Straßenbau. Inzwischen gehört der Steinbruch der Müller Sand- und Kiesgruben GmbH, die hier Boden und Bauschutt einlagert. Dann folgte ein steiler Anstieg und ein mächtiger Zeitsprung. Lis nahm die Gruppe mit in die Entstehungszeit des Wiehengebirges, das Erdzeitalter des Jura, das vor 200 Millionen Jahren begann und vor etwa 145 Millionen Jahren endete. In dieser Zeit war das, was wir heute als Wiehengebirge kennen, Meeresgrund. Im Laufe der Jahrmillionen zog sich das Wasser dabei immer mal wieder zurück. "Sehen Sie die dicke, dunkle Fuge", erläuterte Lis. "Das ist der Auftauch-Horizont." Das heißt: Diese Ablagerungen entstanden im Übergang zwischen Meer und Land, als der Bereich des Wiehengebirges Küstenregion war. Andere Schichten zeugen von Korallenriffen, die es hier einst gab. Auf dem berühmten Portasandstein, dessen kräftig ockerfarbene Schicht gut erkennbar ist, liegt das Wittekind-Flöz, die eisenerzhaltige Schicht des Wiehengebirges. An den fast senkrechten Steilhängen auf der Nordseite des Steinbruchs lassen sich nicht nur die Schichten bestens ablesen. Die Abbruchkanten zeigen auch, wie verschoben und gebrochen die Erdschichten hier sind. Das sind sie seit der Entstehung des Wiehens. Als in der Kreidezeit, also vor 60 bis 145 Millionen Jahren, die europäische und die afrikanische Kontinentalplatte gegeneinander stießen, wurde der Meeresboden zum Mittelgebirge aufgeschoben, erläuterte Lis. Und die Gesteinsschichten gekippt und geknickt. Aus dem späten Jura und der beginnenden Kreidezeit stammen auch die meisten Fossilienfunde im alten Störmer-Steinbruch. Am Wegesrand des Nordhanges im Steinbruch findet sich ein Stein mit zarten Spuren, die die Besucher wohl kaum wahrgenommen hätten, hätte Thomas Lis nicht darauf hingewiesen. "Das ist der Fußabdruck einer Schildkröte", vermutet der Geowissenschaftler. Die großen, ergiebigen Fundstätten aber liegen im ansonsten weit weniger malerischen Südhang. Lis zählt auf, was man hier schon alles gefunden hat: Zähne von Haien, Reste von bis zu zehn Meter langen Knochenfischen, Teile von drei bis fünf Meter langen Meereskrokodielen. Die Schwestern Alisa und Emilia Huse zeigen an dem von Lis mitgebrachten Maßband, wie groß die Tiere einst waren, von denen versteinerte Überreste heute noch im Wiehgengebirge zu finden sind. Und dann natürlich auch noch: die Dinosaurier. Funde zeugen zum Beispiel vom im Wasser lebenden Plesiosaurus. Die Sensation aber stammt aus dem Nachbarsteinbruch. Nicht in der Wallücke, sondern auf der Lutternschen Egge wurden Ende der 1990 Jahre Fossilien eines Landsauriers entdeckt, der sich als größter in Deutschland je entdeckter Raubsaurier erwies. Thomas Lis hatte drei Fundstücke dazu mitgebracht, nicht im Original, sondern als Repliken. Doch auch die Nachbildung des Wirbelknochens, des Mittelhandknochens und der Schädelfragmente ließen die Besuchergruppe ahnen, was für ein stattlicher Bursche der Saurier war. Acht bis zehn Meter maß er, sagte Lis. "Aber er war wohl noch nicht ausgewachsen." Die 2016 veröffentlichte wissenschaftliche Auswertung ergab, dass es sich um eine bislang unentdeckte Art handelte, die "Wiehenvenator albati" genannt wurde. Im Volksmund aber verbreitete sich rasch ein anderer, griffigerer Name: das Monster von Minden. "Diese bedeutenden Fossilienfunde haben dazu geführt, dass der gesamte Steinbruch Störmer als paläontologisches Bodendenkmal geschützt ist", sagte Lis. Was bedeutet, dass man nur mit Genehmigung nach Fossilien suchen und auf keinen Fall Funde einfach aus dem Steinbruch mitnehmen darf. Eine Regel, an die sich die Exkursionsteilnehmer selbstverständlich hielten.

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