Therapeut soll Kinder missbraucht haben: Schwere Vorwürfe gegen Polizei

Bad Oeynhausen. Ein Missbrauchsskandal erschüttert die Kurstadt. Jahrelang soll ein 60-jähriger Physiotherapeut und Heilpraktiker in seiner Praxis Kinder sexuell missbraucht und fotografiert haben. Die Vorwürfe richten sich aber nicht nur gegen den Krankengymnasten, sondern auch gegen die Kreispolizei Minden-Lübbecke. Die soll Berichten der Bild zufolge den Vorwürfen offenbar nicht mit genügend Druck nachgegangen sein. Erst ein Einschreiten des Innenministeriums, dass durch den Missbrauchsfall in Lügde alte Fälle neu bewerten ließ, führte letztendlich zu Durchsuchungen und der Festnahme. Inzwischen hat das Präsidium Dortmund den Fall übernommen und die Besondere Aufgabenorganisation &bdquo;BAO Bali" gegründet. Sie sind mit IT-Spezialisten und Opferschutzbeauftragten vor Ort. Erste Hinweise liefert im November 2017 ein IT-Spezialist Erste Hinweise auf Rainer M. lieferte bereits im November 2017 ein IT-Spezialist, der den Computer des Bad Oeynhauseners gewartet hatte und die Polizei auf Nacktfotos von Kindern am Strand, heimlich mit Teleobjektiv aufgenommen, aufmerksam machte. Er sicherte die Daten und übergab sie der Polizei. Doch monatelang geschah trotz Durchsuchungsbeschlusses der Staatsanwaltschaft Bielefeld nichts. Nach NW-Informationen soll es sich bei den zuerst gefundenen Aufnahmen um Fotos handeln, die keine sexuellen Handlungen an Kindern zeigten, aber durchaus in einer Grauzone anzuordnen seien. Die Mindener Beamten schätzten wohl die Dringlichkeit dieser Vorwürfe falsch ein und erwirkten erst im Februar 2018 einen Durchsuchungsbeschluss. Wiederum dauerte es Monate, bis M. das erste Mal aufgesucht wurde. Weil die Beamten aber niemanden antrafen, rückten sie wieder ab. Wie auch im Sommer 2018 und im Januar 2019. Wieder machte ihnen niemand auf. Erst Anfang März dieses Jahres wurden die Räume des Therapeuten durchsucht und sechs Terabyte an Daten sichergestellt. Seitdem man Kenntnisse von den Dimensionen des Falles gehabt habe, so interne Polizeiinformationen, sei in Minden mit Hochdruck an der Sache gearbeitet und eine sechsköpfige Ermittlungskommission eingesetzt worden. Der Verdächtige sitzt seit dem 28. März aufgrund von Wiederholungsgefahr in Untersuchungshaft. "Ein klarer Fehler" Der Fall lag laut Innenminister Herbert Reul (CDU) seit November 2017 bei der Kripo Minden-Lübbecke. Sein Lügder-Sonderermittler Ingo Wünsch, bewertete das Vorgehen der Mindener Behörde als &bdquo;hochprofessionell": Die Ermittlungen seien umfassend und nachvollziehbar dokumentiert, so Reul. &bdquo;Trotzdem war die Verzögerung war ein klarer Fehler. Gerade vor dem Hintergrund des Berufes des Beschuldigten – er ist Physiotherapeut für Kinder und Jugendliche – hätte die Bearbeitung dieses Falles höher priorisiert werden müssen", sagte Reul gestern im Innenausschuss des Landtags. Dass Privat- und Praxisräume nicht zeitgleich sondern im Abstand von einer Woche durchsucht wurden, sorgt auch bei dem innenpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Hartmut Ganzke für Kopfschütteln: &bdquo;Von November 2017 bis März 2019 wurde ein paar Mal vergeblich an der Wohnungstür des Hauptverdächtigen geklingelt. Das klingt wie Slapstick. Jedenfalls ist es ein verheerendes Signal an die Bevölkerung." Landrat Ralf Niermann, oberster Dienstherr der Kreispolizei, ist nach zwölf Amtsjahren überzeugt, &bdquo;dass wir engagierte und qualifizierte Kolleginnen und Kollegen bei der Kreispolizeibehörde haben, und dafür sprechen auch unsere über Jahre nachweislich guten Arbeitsergebnisse für die Sicherheit" der Bürger im Mühlenkreis. Niermann: &bdquo;Es macht mich traurig, dass wir einen solchen Fall in unserem Kreisgebiet haben. In Gedanken bin ich bei den Familien, die jetzt vor der Frage stehen, ob sie selbst möglicherweise betroffen sein könnten." Der in U-Haft sitzende Rainer M. soll nicht nur Kinderpornos besessen, sondern in seiner Praxis an der Bahnhofstraße, in der er sich laut seines Praxisschildes auf Sporttherapie und die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen spezialisiert hat, nach Angaben der Polizei Dortmund und der Staatsanwaltschaft Bielefeld mindestens zwei Kinder sexuell missbraucht haben. Es müssen rund 1.500 Patientendaten ausgewertet werden Innenminister Reul vermeldet eine höhere Opferzahl: &bdquo;Es gibt bislang eine mittlere einstellige Anzahl an Opfern", sagt er Donnerstag. Es sei nicht auszuschließen, dass es noch weitere Opfer gebe. Laut NW-Recherchen müssen rund 1.500 Patientendaten ausgewertet und Patienten befragt werden. Außerdem hat Rainer M., so die Informationen der NW, an einer Bad Oeynhausener Ballettschule kostenlose körperliche Untersuchungen angeboten. Eine Mutter soll M. in diesem Zusammenhang wegen Belästigung ihres Kindes angezeigt haben. Bereits Anfang der 2000er Jahre war der Bad Oeynhausener für einige Zeit in der Ersthelfer-Ausbildung von Kindern und Jugendlichen bei der Johanniter-Unfall-Hilfe aktiv und dort zudem stellvertretender Regionaljugendleiter. Seine Erste-Hilfe-Kurse bot M. außerdem ehrenamtlich im Rahmen der Verkehrserziehung an vielen Schulen im Kreisgebiet an – unter anderem am Immanuel-Kant-Gymnasium. Ob es auch bei M.s ganzen ehrenamtlichem Engagement zu Übergriffen kam, wird derzeit ermittelt. Dem Beschuldigten wird momentan vorgeworfen, so die Pressesprecherin der Dortmunder Polizei, Cornelia Weigandt, bei mehreren Gelegenheiten in seinen Praxisräumen pornografische Fotos von zwei Kindern im Rahmen der Behandlung angefertigt zu haben. Daneben soll er zahlreiche weitere kinder- und jugendpornografische Bilder besessen haben. Ob über die dem Haftbefehl zugrunde liegenden Geschehnisse weitergehende Vorwürfe gegen den Beschuldigten zu erheben sind, die im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als behandelnder Physiotherapeut von Kindern und Jugendlichen stehen könnten, sei Gegenstand der laufenden Ermittlungen, so die Sprecherin. Die Kreispolizeibehörde Minden-Lübbecke wird laut Innenministerium von rund 80 spezialisierten Ermittler und Opferschutzbeauftragten des Polizeipräsidiums Dortmund unterstützt. In Bielefeld, so heißt es, seien die Kapazitäten durch den Fall Lügde erschöpft. &bdquo;Gerade die Vorfälle der letzten Zeit sensibilisieren und sorgen für einen enormen personellen Einsatz", so der Bielefelder Staatsanwalt Moritz Kutkuhn. Erst Anfang des Jahres hatte der offenbar über Jahre andauernde Missbrauch von Kindern und Jugendlichen auf einem Campingplatz im lippischen Lügde für Entsetzen gesorgt. Auch hier passierten bei der Polizei mehrere Ermittlungspannen. Die Polizei hat Anlaufstellen eingerichtet Mit Bali oder der Bali-Therme hat der Missbrauchs-Falls übrigens nichts zu tun, auch wenn der Name des Polizei-Teams zu solchen Mutmaßungen führen könnte: &bdquo;Wir haben einfach ein prägnantes Wort gesucht, das mit dem Sachverhalt nichts zu tun hat, aber trotzdem ein Schlüsselwort für Bad Oeynhausen ist", erklärt Cornelie Weigandt von der Polizei Dortmund. Und da Kollegen schon in Bad Oeynhausen gekurt hätten, sei dieses Stichwort gefallen. Die Polizei hat Anlaufstellen eingerichtet, an denen sowohl Ermittler als auch Opferschutzbeauftragte zur Verfügung stehen. Bis voraussichtlich einschließlich Samstag, 6. April, sind die Beamten mit mobilen Teams von 10 Uhr bis 20 Uhr in Bad Oeynhausen an der Herforder Straße in Höhe des Bahnhofs präsent. Auch am Mindener Markt ist eine Anlaufstelle für Opfer eingerichtet worden. Mögliche Betroffene und Zeugen können sich zudem an die Polizeidienststellen in Bad Oeynhausen und Minden-Lübbecke wenden. ´ Telefonisch sind die Opferschutzbeauftragten und Ermittler ab sofort unter der Rufnummer der Dortmunder Polizei Tel. (02 31) 1 32 74 44 erreichbar.

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