Interview

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Organspende: „Ich hoffe auf die Widerspruchslösung“

Jan Gummert, Ärztlicher Direktor des Herz- und Diabeteszentrums Bad Oeynhausen, nimmt Stellung zur aktuellen Debatte zur Organspende und zu technischen und tierischen Alternativen

Seit zehn Jahren in Bad Oeynhausen: Jan Gummert wechselte am 1. Februar 2009 von der Universitätsklinik Jena zum Herz- und Diabeteszentrum NRW, dessen Ärztlicher Direktor er ist. Foto: Thorsten Gödecker |

Jörg Stuke
27.01.2019 | 27.01.2019, 18:46

Herr Gummert, Ihr Münchner Kollege, der Herzchirurg Bruno Reichardt, hat einem Pavian ein Schweineherz eingepflanzt und angekündigt, dass er dieses Experiment in drei Jahren auch beim Menschen wagen könne. Plant das HDZ nun schon einen Stallanbau?
Jan Gummert:
(lacht). Tatsächlich haben Herr Professor Reichardt und sein Team jetzt einen enormen Fortschritt bei der Xenotranplantation (der Übertragung von Organen von Tieren auf den Menschen, Anm. d. Red.) erzielt. Seit ich in der Herzchirurgie tätig bin, arbeitet man daran. Einer meiner Lehrer hat damals gesagt, die Xenotranplantation sei ein Traum, werde aber immer ein Traum bleiben. Jetzt ist da ein großer Schritt Richtung klinischer Realität geschafft.

Ernsthaft: Wie realistisch ist der Gedanke, dass Menschen künftig mit den Herzen von Schweinen leben könnten?
Gummert:
Grundsätzlich denke ich, dass das eine realistische Alternative werden könnte. Aber es sind noch viele Hürden zu nehmen. Es sind aber auch schon bahnbrechende Fortschritte gemacht worden. So kann man durch Fortschritte in der Gen-Technik Schweineherzen besser modellieren, so dass sie dem menschlichen Herzen sehr viel ähnlicher und damit die Abstoßungsreaktionen nicht so gravierend sind.

Werden die Menschen diese Option – wenn es denn mal so weit ist – vorbehaltlos annehmen?
Gummert:
Es wird sicherlich Vorbehalte geben. Es wird schon einen gewissen Wettbewerb mit dem Kunstherzen geben. Der wird ganz stark davon abhängen, wie stark man das körpereigene Abwehrsystem schwächen muss, damit so ein Schweineherz im Menschen überlebt. Denn diese Medikamente haben natürlich auch Nebenwirkungen.

Solche Medikamente brauchte ich bei einem menschlichen Spenderorgan oder bei einem Kunstherzen doch aber auch?
Gummert:
Das ist richtig. Aber beim Schweineherzen wird man zu einer höheren Immunschwächung greifen müssen, damit es nicht abgestoßen wird. Das ist zumindest aktueller Stand. Aber auch da können sich natürlich noch weitere Möglichkeiten ergeben.

Gibt es aus Sicht des Mediziners grundsätzliche Gründe, die gegen die Transplantation eines Schweineherzens sprechen?
Gummert:
Ethische Gründe dagegen gibt es, glaube ich, nicht. Das Schwein ist als Nutztier in unserer Gesellschaft etabliert. Und aus medizinischer Sicht wäre nur dann etwas dagegen zu sagen, wenn es zum Beispiel Abstoßungsreaktionen gäbe, die man nicht gut behandeln kann, oder das Schweineherz im Menschen nicht richtig funktionieren würde.

Kommen wir zu den menschlichen Spenderorganen. In Berlin hat im November mit einer Orientierungsdebatte im Bundestag die Diskussion über ein neues Organspendegesetz begonnen. Das Gesetz soll laut Minister Jens Spahn noch in der ersten Hälfte dieses Jahres verabschiedet werden. Ist Ihre Meinung dazu bei Politikern gefragt?
Gummert:
Bei einigen sicherlich. Die Herzchirurgin Claudia Schmidtke, die neue Patientenbeauftragte der Bundesregierung, ist eine ganz wichtige Fürsprecherin für das Thema Organspende. Ich hatte schon gelegentlich Kontakt mit ihr.

Haben Sie andere Politiker schon auf das Thema angesprochen?
Gummert:
Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann, der ja – flapsig ausgedrückt – auch oberster Chef unseres Hauses ist, ist ein ausgesprochener Unterstützer der Organspende. Mit ihm ist es eine Freude, das Thema zu diskutieren.

Welchen Einfluss würden Sie in dieser Debatte gern nehmen?
Gummert:
Ich würde gern versuchen, die Diskussion zu versachlichen. Gerade das Thema Widerspruchslösung stößt ja auf viele Vorbehalte. Da wird vieles auch emotional verzerrt dargestellt.

Ist Jens Spahns Ansatz für eine Widerspruchslösung – die im übrigen ja auch vom SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach geteilt wird – der richtige?
Gummert:
Aus meiner Sicht ganz klar ja, weil es die einfachste Lösung wäre und viele praktische Probleme beseitigen würde. Es wäre dann klarer gesellschaftlicher Konsens, dass meine Organe zum Zweck der Organspende entnommen werden können, wenn ich verstorben bin. Das heißt ja nicht, dass man sich nicht auch dagegen aussprechen kann. Eine Widerspruchslösung würde es den behandelnden Ärzten aber viel leichter machen, mit Angehörigen über eine mögliche Organspende zu sprechen. Man hätte dann eine ganz andere Gesprächsgrundlage.

Die Widerspruchslösung würde ja heißen: Wer nichts gesagt hat, stimmt zu. In der Debatte gibt es auch Positionen, die darin einen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Menschen sehen. Haben Sie Verständnis für diese Haltung?
Gummert:
Ich selber würde das nicht so sehen. Ich respektiere aber, wenn andere das so beurteilen.

Die neuen Zahlen dokumentieren, dass die Zahl der Organspenden 2018 angestiegen sind. Bedeutet dieser positive Trend, dass man die angestrebten Gesetzesänderungen gar nicht mehr mit solchem Nachdruck betreiben müsste?
Gummert:
Es ist nach wie vor wichtig, dass wir das Thema Widerspruchslösung auf der Tagesordnung behalten. Denn man weiß ja nicht, wie es 2019 sein wird. Es kann ja durchaus auch wieder weniger Organspenden geben – was ich natürlich nicht hoffe. Der zweitbeste Ansatz, von dem ich gehört habe, ist, dass man zum Beispiel beim Ausstellen eines Reisepasses oder Personalausweises gefragt wird, ob man sich zur Organspende äußern möchte und dass das dann in einem zentralen Register aufgezeichnet wird.

Das wäre für sie ein tragbarer Kompromiss?
Gummert:
Das wäre auf jeden Fall besser als nichts.

Und was glauben Sie, welche Lösung am Ende beschlossen wird?
Gummert:
Ich versuche, optimistisch zu bleiben, und hoffe, dass man sich zur Widerspruchslösung durchringen wird.

Wie zuversichtlich sind Sie denn, dass es – wie von Herrn Spahn angestrebt – noch im ersten Halbjahr 2019 eine Lösung geben wird?
Gummert:
Schwierig, schwierig. Die Problematik ist sehr komplex. Aber das wäre ein tolles Signal aus der Politik. Das würde auch die Handlungsfähigkeit der Politik deutlich unterstreichen.

Was muss außer einer gesetzlichen Neuregelung noch geschehen, damit die Zahl der Organspenden in Deutschland wächst?
Gummert:
Ich glaube, viel mehr kann man jetzt gar nicht machen. Wir haben die Aufklärung der Bevölkerung. Wir haben die Verbesserung der Struktur in den Krankenhäusern – wenn denn das entsprechende Gesetz verabschiedet und vor allem auch zeitnah umgesetzt wird. Wir hätten dann eine Verbesserung der Bezahlung der Krankenhäuser. Wir hätten eine Stärkung der Organspendenbeauftragten. Das alles ist unstrittig und im Verfahren weiter als die Widerspruchslösung. Diese Fragen abzukoppeln und schnell auf den Weg zu bringen und sich mit der Widerspruchslösung etwas mehr Zeit zu lassen, war richtig. Den Spatzen in der Hand zu haben ist besser, als der Taube hinter her zu rennen.

Wie sieht es mit künstlichem Ersatz aus? Ist mein Eindruck richtig, dass es um das Thema Kunstherz recht still geworden ist?
Gummert:
Ja, leider Gottes ist das so. Das zeigt, wie komplex es ist, so ein wunderbares Organ wie das Herz komplett nachzubilden. Es gibt jetzt aus Frankreich das ’Carmat’, das in einigen Ländern außerhalb Frankreichs auch schon eingesetzt wurde. Aber das ist nach wie vor ein experimentelles Verfahren. Und das ist ein großes Kunstherz, das auch nur für sehr größere Menschen geeignet ist.

In anderen Bereichen scheint der technische Fortschritt deutlich schneller voran zu gegen. Wird an diesem Thema nicht so intensiv geforscht?
Gummert:
Doch, es werden Millionen in diese Forschung investiert. Aber es ist eben auch sehr kompliziert. Auch die regulatorischen Anforderungen sind sehr viel höher geworden. Das hat dazu geführt, dass die Firmen auch sehr vorsichtig sein müssen, bevor sie ein Kunstherz auf den Markt bringen. Es muss ja zu 100 Prozent ausfallsicher funktionieren. Sonst gerät der Patient in Lebensgefahr.

Ihr Vorgänger hier im HDZ, Reiner Körfer, forscht nach wie vor an seinem Kunstherz ’Reinheart’. Haben Sie Kontakt zu Herrn Körfer?
Gummert:
Nach wie vor ist ein Mitarbeiter von mir in das Projekt eingebunden. Ich erinnere mich noch, dass es 2009, als ich hier in Bad Oeynhausen anfing, hieß, das Reinheart stehe kurz vor der Einführung. Doch noch ist es nicht auf dem Markt. Auch das zeigt, wie schwierig Prognosen bei diesem Thema sind.

Aktuell stehen 141 Patienten des HDZ auf der Warteliste für ein neues Herz, davon 16 in der höchsten Dringlichkeitsstufe. Wenn die Transplantation von Schweineherzen und Kunstherzen möglich ist und es auch noch mehr menschliche Spenderorgane gibt, werden Sie dann irgendwann sagen können: Wir können alle Patienten, die ein neues Herz brauchen, auch mit einem solchen versorgen?
Gummert:
Das wäre natürlich ein Traum. Aber Prognosen sind in diesem Bereich wie gesagt sehr schwer.

Aber Sie sind doch Optimist. Glauben Sie, dass Sie das in Ihrer Dienstzeit noch erleben werden?
Gummert:
Das hängt ganz stark davon ab, wie lange ich noch arbeiten darf.