
Bad Oeynhausen. Mit vielen Gästen wird am Samstag, 14. November, gefeiert: Vor 50 Jahren wurde die Klinik für Diabeteskranke eröffnet. Das Gebäude an der Wielandstraße ist die Keimzelle des Herz- und Diabeteszentrums. „Wir arbeiten mit den Herzspezialisten auf Augenhöhe“, betont Diethelm Tschöpe, Direktor des Diabeteszentrums, im Gespräch mit NW-Redakteurin Heidi Froreich.
Herr Tschöpe, vor 50 Jahren die erste nichtuniversitäre Einrichtung mit einem eigenen Hörsaal. Was macht die Klinik heute einzigartig?Diethelm Tschöpe: Die Diabetesklinik hat sich zu einem Zentrum für Stoffwechselerkrankungen und Gefäßmedizin weiterentwickelt, das gibt es in Deutschland sonst nur noch in Karlsburg. Das Besondere an unserem Haus ist, dass wir nicht nur den Diabetiker, sondern den ganzen Menschen behandeln.
Der Hörsaal diente damals der Patientenschulung. Wie wichtig ist diese Arbeit heute?Tschöpe: Wir wissen ja heute, dass Diabetes eine Systemerkrankung ist, also Auswirkungen auf den ganzen Körper hat. Deshalb ist die Behandlung viel komplexer als früher. Wenn der Patient dabei erfolgreich mitarbeiten soll, muss er diese Zusammenhänge richtig verstehen. Deshalb ist die Schulungsarbeit heute noch wichtiger als damals.
Mal abgesehen von dem ganzheitlichen Aspekt – wie hat sich die spezielle Diabetes-Behandlung verändert?Tschöpe: Vor 50 Jahren hatten alle panische Angst vor zu hohen Blutzuckerwerten, da für wurde oft mit einem hohen Preis der Unterzuckerung bezahlt. Die Krankheit bestimmte das Leben. Heute gibt es Medikamente, die eine maßgeschneiderte Therapie ermöglichen.
Früher mussten Diabetiker eine bestimmte Diät einhalten. Welche Tipps gibt es heute bei der Ernährungsberatung?Tschöpe: Die lassen sich ganz einfach zusammenfassen: Wer Übergewicht verhindert, hat schon viel gewonnen. Diabetes ist eine klassische Bilanzkrankheit; wer mehr isst, als er arbeitstechnisch verbrennt, ist gefährdet. Modifikationen, also der völlige Verzicht auf Zucker und bestimmte Fette, haben sich bei der Behandlung nicht als förderlich erwiesen. Mit einer mediterran ausgerichteten Mischkost ist man auf dem richtigen Weg.
Trotz der Fortschritte steigt die Zahl der Diabeteskranken an. Leben die Menschen heute ungesünder als früher?Tschöpe: Die modernen gesellschaftlichen Bedingungen mit einer hochkalorischen Ernährung und wenig Bewegung erhöhen sicher das Erkrankungsrisiko. Weil es genetische Dispositionen gibt, kann man eine Diabeteserkrankung bei vielen Patienten nicht ganz verhindern, aber mit einem gesunden Lebensstil kann man die Erkrankung um zehn Jahre herauszögern.
Trotz des Wissens um die Auswirkungen von zu viel essen und zu wenig Bewegung fällt es aber vielen Menschen schwer, ihren Lebensstil zu ändern. Warum hat sich das nach 50 Jahren noch nicht geändert?Tschöpe: Vielleicht liegt das auch an falscher Kommunikation. Wenn wir Ärzte solche Empfehlungen geben, geschieht das immer mit erhobenem Zeigefinger; der Patient fühlt sich unter Druck gesetzt. Wir müssen dem Patienten stärker das Gefühl geben, dass Bewegung nicht Belastung, sondern Bereicherung ist. Das klappt immer dann, wenn einem Patienten Sport Spaß macht. Beim Essen ist es so ähnlich, da verzichten wir ja schon auf Verbote, auch Diabetiker dürfen mal naschen.
Diabetes ist nicht nur eine Stoffwechselerkrankung, sondern kann auch zu Herzinfarkt, Gehirnschlag, Gefäßverschlüssen in den Beinen oder zu Blindheit führen. Werden alle Patienten bei Ihnen auf diese Risikofaktoren hin untersucht?Tschöpe: Standardmäßig werden alle Patienten auch gefäßmedizinisch untersucht, also unter anderem mit EKG und Ultraschall. Wir hatten schon häufig Patienten, die sogar im OP gelandet sind, weil diese mit dem Diabetes verbundenen Erkrankungen vorher nicht erkannt worden sind.
Es leiden immer mehr Kinder und Jugendliche am sogenannten Wohlstandsdiabetes. Gibt es eine spezielle Abteilung für diese jungen Patienten? Tschöpe: Eine eigene Station haben wir nicht, aber wir bemühen uns bei der stationären Aufnahme möglichst Jugendliche zusammenzulegen. Natürlich pflegen wir die enge Zusammenarbeit mit den Kollegen im Kinderherzzentrum, da haben einige sich auch auf die Behandlung junger Diabetiker spezialisiert.
Das HDZ ist Teil der Ruhr-Universität Bochum. Deshalb gehören auch Forschung und Lehre zu ihren Aufgaben. Worauf sind Sie besonders stolz? Tschöpe: Wir haben uns unter anderem intensiv damit beschäftigt, wie sich die biochemischen Veränderungen der Diabeteserkrankung auf den Herzmuskel auswirken. Dass wir heute wissen, dass Diabetes eine Herzinsuffizienz verursacht, liegt auch an der Arbeit im HDZ. Und es macht mich auch stolz, dass wir bei der Zahl der wissenschaftlichen Veröffentlichungen bundesweit ganz vorn liegen.
Das Diabeteszentrum ist zwar Keimzelle des heutigen Herz- und Diabeteszentrums, steht aber zumindest namensmäßig immer an zweiter Stelle. Betrübt Sie das?Tschöpe: Nein, entscheidend ist doch nur das „und“. Wir arbeiten heute mit den Herz-Spezialisten auf Augenhöhe – das haben wir allerdings erst in intensiver, gegenseitiger Beschäftigung mit den Kardiologen, aber besonders auch mit den Herzchirurgen, Aber dass wir hier in unserer Heimatstadt auf den offiziellen Straßenschildern ganz vergessen werden, ärgert mich tagtäglich. Da steht fälschlicherweise immer nur Herzzentrum. Wir heißen aber HDZ NRW.UKRUB. Vielleicht schafft es ja der neue Bürgermeister, dass sich das endlich ändert.
INFORMATION
140.000 Patienten behandelt
Im Oktober 1965 wurden die ersten Patienten in der Klinik für Diabeteskranke an der Wielandstraße begrüßt.
Im heutigen Diabeteszentrum unter Leitung von Diethelm Tschöpe werden jährlich rund 2.500 Patienten behandelt.
Neben der Grunderkrankung Diabetes Typ 1- und 2 sowie Adipositas (Fettleibigkeit) umfasst das Leistungsspektrum unter anderem auch Erkrankungen der Schilddrüse, der Nebenniere und Hirnanhangdrüse sowie Wundheilungsstörungen.
Im Verlauf der letzten 50 Jahre wurden rund 140.000 Patienten im Diabeteszentrum behandelt.