Sohn stößt Lemgoerin (99) die Treppe herunter – warum das Gericht vom Mordvorwurf abrückte

Detmold/Lemgo. Vier Jahre und neun Monate Haft wegen schwerer Körperverletzung: So lautet das Urteil des Landgerichtes Detmold für einen 72-jährigen Mann aus Fellbach in Baden Württemberg, der im vergangenen Sommer seine in Lemgo lebende 99-jährige, im Rollstuhl sitzende Mutter die Treppe heruntergestoßen hatte. Das Gericht unter Vorsitz von Karsten Niemeyer wertete die Tat nicht als versuchten Mord, sondern als unbeendeten Versuch. Die Frage, warum der Sohn die Mutter ums Leben hatte bringen wollen, blieb unbeantwortet. Auch der psychiatrische Gutachter konnte nichts zur Klärung beitragen, der Täter hatte sich nicht untersuchen lassen. Wie berichtet, hatte der Mann an einem Augustabend bei seiner Mutter geklingelt, nachdem er jahrelang so gut wie keinen Kontakt zu ihr gehabt hatte. Er war extra aus Süddeutschland angereist, hatte sich einen Ganzkörper-Schutzanzug (wie Spurensicherer ihn tragen) angezogen und eine Lügengeschichte zurechtgelegt: Er komme wegen einer Corona-Sache vom Pflegedienst. Tatsächlich hatte ihn die eigene Mutter nicht erkannt. Kaum im Haus, schubste er seine Mutter in zwei Etappen die Treppe herunter und suchte das Weite; die Seniorin schaffte es, via Rufsystem den Pflegedienst zu alarmieren, ein Krankenwagen traf wenig später ein. &bdquo;Heimtückischer Plan“ Diesen Plan des Sohnes wertete die Kammer eindeutig als heimtückisch, er habe seine wehr- und arglose Mutter töten wollen – mithin war das Mordmerkmal erfüllt. Von dem Vorhaben sei der Sohn jedoch zurückgetreten, habe er doch die um Hilfe rufende Mutter verlassen und sei nach Hause gefahren, statt seinen Plan endgültig umzusetzen. In Fellbach hatte er sich dann wenig später wegen unterlassener Hilfeleistung selber angezeigt und die &bdquo;Räuberpistole“ (so Staatsanwalt Alexander Görlitz) erzählt, seine Mutter habe sich erschrocken und sei gestürzt. Eine Geschichte, die sich schnell als konstruiert herausstellte, zum Prozessauftakt vor 14 Tagen hatte der Sohn die Tat gestanden. Dieses Geständnis wertete das Gericht als strafmildernd, ebenso das bis dahin &bdquo;unbescholtene Leben“ des 72-jährigen Zahnarztes. Dessen Anwälte hatten eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren gefordert, ihr Mandant sei &bdquo;vom schlechten Gewissen geplagt“ zur Polizei gegangen, habe später alles gestanden. Das Gericht dürfe keine Schlüsse daraus ziehen, dass es das Motiv nicht ergründet habe, sagte Henning Schuhmann. Er war zufrieden mit dem Urteil: &bdquo;Wir sind froh, dass der Vorwurf des versuchten Mordes vom Tisch ist, das ist auch psychologisch für unseren Mandanten wichtig.“ Schumanns Kollege Jens Rabe ergänzte: &bdquo;Unser Mandant hat es nicht geschafft, sich zu öffnen, und schämt sich in höchstem Maße.“ Staatsanwalt fordert acht Jahre Görlitz hatte acht Jahre Haft gefordert und kündigte an, eine Revision zu überprüfen. Er sah keinen Rücktritt vom Mordversuch. Für ihn war klar: &bdquo;Der Täter konnte nicht erkennen, dass seine Mutter nicht lebensgefährlich verletzt war.“ Er habe geglaubt, seinen gezielten Plan umgesetzt zu haben, als er Lemgo verlassen habe. Die Anwältin der Mutter, Rechtsanwältin Silke Streit aus Lemgo, berichtete vom Leid ihrer Mandantin, die traumatisiert sei. &bdquo;Sie haben Ihre Mutter nicht getötet, aber ihr Leben zerstört. Sie müssen ihr erklären, warum Sie das gemacht haben, das hat sie verdient“, forderte sie vom Angeklagten. Diese Erklärung gab es vor Gericht zumindest nicht. Das letzte Wort gehörte dann dem Angeklagten – &bdquo;ihm tue das alles furchtbar leid“, schluchzte er.

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