Blomberg. Am All Electric Society Park in Blomberg blinken die LED unentwegt „Frohe Weihnachten wünscht Phoenix Contact“. Das hätte für manche der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beim Elektronik- und Automationsriesen am Flachsmarkt auch wie bitterer Hohn wirken können. Immerhin läuft in diesem Jahr für ein Drittel der Blomberger Belegschaft die gesetzlich befristete Kurzarbeit aus.
Und was dann? Doch die Gewerkschaft IG Metall und die Geschäftsführung haben noch kurz vor dem Weihnachtsfest gemeinsam einen Weg gefunden, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden. Zumindest für ein weiteres halbes Jahr sind die Arbeitsplätze sicher.
Daniel Salewski, erster Bevollmächtigter der IG Metall, kann seinen Stolz und seine Freude kaum verhehlen, dass dieser Coup gelungen ist. „Wir werden die Vier-Tage-Woche einführen“, berichtet er. „Das hat es, soweit ich weiß, in dieser Form noch nicht in anderen Unternehmen gegeben“, betont Salewski. Vor allem, weil die Betroffenen trotzdem Geld bekommen und finanziell sogar besser dastehen als in der Kurzarbeitsphase.
Phoenix Contact: bezahlte Freizeit statt Sonderzahlungen
Doch wie kann das funktionieren? Es ist ein wenig kompliziert. Im Tarifvertrag ist festgelegt, dass die Beschäftigten pro Jahr neben Urlaubs- und Weihnachtsgeld drei Sonderzahlungen erhalten. Die eine davon, das sogenannte tarifliche Zusatzgeld (T-Zug) in Höhe von 27,5 Prozent des jeweiligen Bruttogehaltes, konnten sie bereits in Freizeit umwandeln. Sechs Tage pro Jahr extra, bei pflegenden Angehörigen sogar acht Tage.
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Die anderen beiden Sonderzahlungen überweist der Arbeitgeber laut Tarifvertrag im Laufe des Jahres zu bestimmten Zeitpunkten.
„Ich habe vorgeschlagen, dass es bei Phoenix Contact in diesem Jahr keine dieser drei Sonderzahlungen gibt, sondern dass wir das Geld in bezahlte Freizeit umwandeln. Ein halbes Jahr lang haben die betroffenen Mitarbeiter jeden Freitag frei, und der Arbeitgeber zahlt noch einen Festbetrag, die sogenannte Sozialkomponente, oben drauf.“
Phoenix-Contact-Beschäftigte arbeiten fünf Tage weniger
Das stieß bei der Geschäftsführung auf offene Ohren: Unterm Strich, so rechnet Personalchefin Ines Ludwig vor, haben die Kolleginnen und Kollegen weniger im Portemonnaie, wobei das bei den unteren Gehaltsklassen weniger ins Gewicht fallen wird als bei den oberen. „Aber alle arbeiten 14 Prozent weniger.“
Das heißt, bei diesem brandneuen Modell ist die IG Metall zugunsten eines Sondertarifes von ihrem Tarifwerk abgewichen. „Dafür sind wir sehr dankbar“, betont Ines Ludwig. Der Vorteil für das Unternehmen: „Wir gewinnen vor allem erst mal Zeit. Und weil wir die genannten Sonderzahlungen nun nicht überweisen, weil sie mit Freizeit ausgeglichen werden, sichern wir unsere Liquidität in dem Zeitraum.“
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Das Ganze sei ein solidarischer Weg, den auch der Betriebsrat mitgeht: „Denn die grundsätzliche Umwandlung der Sonderzahlungen in Freizeit betrifft alle 5.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Standort Blomberg. Damit verzichten alle ein Stückchen.“ Das heißt: Alle erhalten im kommenden Jahr 14 Prozent mehr Freizeit.
Phoenix Contact vermutet hohe Akzeptanz der Regelung
„Das hat Folgen für den Betrieb, denn einige Abteilungen haben zurzeit sehr viel zu tun. Das wird nicht einfach sein, weil 13 zusätzliche Urlaubstage ja auch aufgefangen werden müssen. Wir nehmen damit de facto Kapazitäten aus dem Unternehmen“, so Ludwig. Immerhin: In diesen Abteilungen können die Beschäftigten frei wählen, wann sie die Freizeit nehmen möchten.
Insgesamt sei die Akzeptanz vermutlich hoch, das hätten die Erfahrungen der vergangenen Jahre gezeigt: „Der Wert der Freizeit ist immer gestiegen“, das hätten auch die steigenden Zahlen derer, die die Umwandlung bereits von sich aus gewählt hätten, bewiesen.
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Der Sondervertrag mit der IG Metall ist insgesamt auf ein Jahr angelegt, sodass je nach Wirtschaftslage auch die Abteilungen in den Genuss kommen können, deren Kurzarbeitsphase erst im nächsten Jahr ausläuft. Die Regelung greift zunächst nur in Blomberg. Eine Übertragbarkeit auf andere Standorte wird noch geprüft.
Zufriedenheit auf allen Seiten
Am Dienstag sind die Gewerkschaft und die Geschäftsführung gemeinsam vor die Belegschaft getreten, um die Neuigkeiten zu verkünden. „Das musste natürlich erst mal sacken“, sagt Daniel Salewski. Aber dass die Entscheidung richtig ist, darin sieht sich Ines Ludwig nach all den Verhandlungen der vergangenen Wochen bestätigt: „Nachdem wir auch die Spätschicht informiert hatten, kam ein Produktionsleiter zu mir und sagt, die Leute sind dankbar und froh und nehmen die Lösung gern an. Dann haben wir wohl was richtig gemacht.“
Der neue CEO Dirk Görlitzer zeigt sich sehr zufrieden: „Phoenix Contact, Betriebsrat und IG Metall beweisen, wie man bei einem schwierigen Marktumfeld zusammenhält und im Interesse der Mitarbeitenden gemeinsam handelt.” „Das ist gelebte Sozialpartnerschaft, nahe bei den Menschen in einer herausfordernden Zeit“, betont Daniel Salewski. „Diese erste Maßnahme verschafft uns Sozialpartnern Zeit, die wir benötigen, um mittel- und langfristige Schritte miteinander abzustimmen.“
Der Gewerkschaftssekretär ist sehr zufrieden: „Schauen Sie doch mal zu den anderen Betrieben in der Branche, bei denen es um Massenentlassungen oder einen massiven Lohnverzicht oder sogar beides geht. Das haben wir hier anders hinbekommen.“ Und er ist sich ziemlich sicher, dass das Blomberger Beispiel in der Branche Schule machen kann.