
Oerlinghausen. Vorfreude, Anspannung, Konzentration und Stolz. Eine Mischung all dieser Faktoren ist es, die im Saal des Bürgerhauses deutlich zu spüren ist. 22 Teilnehmer haben hinter Schachbrettern Platz genommen und warten auf die Züge von Matthias Blübaum. Die Hoffnung, dass jemand ihn besiegen könnte, ist zwar vergleichsweise gering, doch allein die Tatsache, gegen einen Großmeister anzutreten, ist ein besonderes Erlebnis.
Matthias Blübaum, geboren in Lemgo, ist mehrfacher Deutscher Meister im Blitzschach und ehemaliges Mitglied der „Prinzengruppe“ des Deutschen Schachverbandes. Seinen bislang größten Erfolg errang er im April 2022. „Er ist der einzige Deutsche Europameister, den es je gegeben hat“, kann Michael Fritsch, Vorsitzender des Schachclubs Oerlinghausen, nicht ohne Stolz verkünden.
Blübaum ist zudem Deutscher Blitzmeister 2023 und tourt als Schach-Großmeister durch die Welt. „Frankreich, Armenien“, zählt der 27-Jährige seine nächsten Stationen auf. Zuvor aber spielt er simultan in Oerlinghausen. Anlass ist das 50-jährige Bestehen des Schachklubs Tönsberg Oerlinghausen. Gegründet worden ist der am 16. Februar 1974. 20 Lipperreiher Schachfreunde versammelten sich seinerzeit im Pollmannskrug. Wegen der guten Nachwuchsförderung an Hauptschule und Gymnasium verlegte der Schachklub seinen Sitz 1976 nach Oerlinghausen. 1979 erfolgte die Umbenennung.
Richard Mede gab dem Verein den neuen Namen und auch eine Satzung. Entscheidenden Anteil hatte der einstige Pädagoge der Heinz-Sielmann-Schule auch an den Erfolgen. Mede förderte die Nachwuchsarbeit wie kein Zweiter. „In den 1970er Jahren waren wir der drittstärkste Verein in Lippe hinter Lemgo und Detmold“, erinnert sich der heute 85-Jährige. 50 Mitglieder gehörten dem Oerlinghauser Schachklub an. „Eine Seltenheit“, bestätigt Mede und hebt hervor: „Das war eine richtig erfolgreiche Zeit.“ Eine Zeit, die noch lange anhielt.
Die Schüler der von ihm geleiteten Schach-AGs erzielten unzählige Kreismeisterschaften in allen Spielklassen. „Wenn wir antraten“, erinnert sich Richard Mede, der die Gabe hatte, zu motivieren, „dann hatten die anderen gehörigen Respekt.“ Bei der Feier im Bürgerhaus trifft Mede etliche seiner ehemaligen Schüler und andere Weggefährten wieder. Und natürlich schaut er mit großem Interesse zu, wie Matthias Blübaum bei seinen Zügen vorgeht. Im November 2010 ist er schon einmal in Oerlinghausen gewesen, hat hier sein allererstes Simultan-Schachturnier gespielt.
Als Geschenk bekommt der Großmeister einen vergrößerten Zeitungsausschnitt von damals. „Erfolg“, hatte der 27-Jährige, der aus einer schachbegeisterten Familie stammt, bereits zuvor gesagt, „kommt nicht von alleine, man muss viel Zeit investieren“. Logisches Denken und ein gutes Gedächtnis seien aber sehr hilfreich, bestätigt Blübaum, der Mathematik studiert hat, momentan aber ausschließlich aus Schachspieler unterwegs ist.
Ein einziges Remis gelingt einem Spieler aus Ubedissen
Volker Neuhöfer gratuliert dem Schachklub Tönsberg Oerlinghausen, seinen aktuell 29 Mitgliedern, dem Vorsitzenden Michael Fritsch sowie dessen Vorgängern Richard Mede (1979 – 1989), Willi Bracht (1989 – 2007) und Bernhard Kaczmarek (2007 bis 2017), aber auch den langjährigen Spielleitern Gerhard Rehburg und Martin Fenner.
Der stellvertretende Bürgermeister zitiert einen Satz des mehrfachen Weltmeisters Trigan Petorsjan, der aufzeigt, wie vielfältig das Schachspiel sein kann und welche Fähigkeiten es benötigt, um es in Perfektion zu beherrschen: „Schach ist gemessen an seiner Form ein Spiel, gemessen an seinem Inhalt eine Kunst und gemessen an der Mühe, sein eigenes Können zu erweitern, eine Wissenschaft. Das Schachspiel kann genauso viel Glück vermitteln wie ein Buch oder ein Musikstück.“
Hermann Dieckmann, Vorsitzender des Schachverbandes OWL, gibt zu bedenken, dass Schach ein Breitensport ist, denn „aus der Breite erwächst die Spitze“. Vor allem der Schulschach sei „eine Ressourcen-Schmiede für den Nachwuchs“. Matthias Blübaum würde das sicherlich bestätigen. Der Großmeister mit lippischen Wurzeln konzentriert sich da aber bereits auf sein Simultanspiel gegen 22 Gegner. In einer Zeit von drei Stunden hat er 21 von 22 Spieler besiegt, Jaron Sprute vom Schachverein Ubbedissen gelingt ein beinahe sensationelles Remis. Großen Spaß gemacht hat es allen Gegnern und Gästen in jedem Fall.
Dass er im Bürgerhaus ausschließlich gegen Männer antritt und die Frauenquote im Schach auch ansonsten und trotz der Erfolgsserie „Das Damengambit“ äußerst gering ist, kann der Großmeister sich auch nicht so recht erklären. „Das ist nach wie vor ein Problem.“ Zumindest bei den Ferienspielen, die der Oerlinghauser Schachklub anbietet, haben auch etliche Mädchen teilgenommen. Die Kindergruppe von Martin Fenner trainiert aktuell alle 14 Tage dienstags ab 18.00 Uhr, die Erwachsenen ab 19.30 Uhr in der „Knisperkiste“ unterhalb des Freibades am Gustav-Haupt-Weg 1. ?www.schachklub-oer-?
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