Wenn Berliner Luft zur Nordseebrise wird: Detmolder spielt in Verfilmung seiner Krimis mit

Detmold. Die Hitzewelle dauert seit Tagen an. Berlin röstet in der Sonne, schon an diesem frühen Morgen, als wir mit dem Taxi vom Ku’ Damm durch die Außenbezirke fahren, um dann mitten im Nirgendwo zu stoppen. Und hier sind wir richtig? Denn meine Tochter Jil und ich spielen heute als Komparsen in einem Film mit. Er heißt &bdquo;Dünentod – Ein Nordseekrimi: Falsches Spiel“ und basiert auf dem Thriller &bdquo;Dünenfeuer“ und wird von der Produktionsgesellschaft MadeFor Film für RTL hergestellt. Die Roman-Serie hat Sven Koch, Redakteur der &bdquo;Lippischen Landes-Zeitung“ aus Detmold, geschrieben. Das bin ich. Ein kleines Cameo, so wie früher Hitchcock in seinen Krimis durchs Bild lief– so hatte ich mir das aus Spaß gedacht. Tatsächlich finden Jil und ich heraus: Filme machen ist harte Arbeit. Nicht, dass ich das nicht schon gewusst oder mir gedacht hätte. Doch der Tag am Set auf der einsamen, schattenlosen Landstraße verändert die Sichtweise noch einmal. Es wird ein zehn Stunden Tag mit mindestens zehn Litern Wasser bei wolkenlosen 37 Grad werden. Die Szene dauert im TV am Ende zwei Minuten. Eine Mischung aus Zirkus und Camping Beim Eintreffen im Basislager wirkt alles wie im Zirkus oder wie beim Camping. Die MadeFor hat eine komplette Wohnstraße belegt. Trailer steht an Trailer. Darin befinden sich einerseits Rückzugsräume für die Schauspieler in den Drehpausen, wovon es sehr viele gibt, und andererseits die Kostüme. Jil und ich werden hier eingekleidet: Sie bekommt einen faserfreien Overall, in dem ihr im Verlauf des Tages noch sehr, sehr warm werden wird. Ich werde in eine niedersächsische Polizeiuniform gesteckt und bekomme eine Plastikpistole. Die muss ich beim späteren Transport zum Set wieder abgeben wie meine Abzeichen: Damit darf man nicht in der Öffentlichkeit herumlaufen. Ein Paar Stiefel erhalte ich ebenfalls und eine Mütze, und im Verlauf des Tages wird mein Respekt vor den echten Polizisten wachsen, die in heißen Sommern in einem solchen Aufzug gebacken werden. Unter einem mobilen Baldachin gibt es Frühstück, und es wird erklärt: Am Set gibt es ein weiteres Camp mit Catering. Wir treffen weitere Komparsen, weitere Polizisten und außerdem eine Handvoll Komparsen in der Rolle von Lokalreportern. Denn die Szene, die heute auf dem Drehplan steht, verlangt danach: Es gab einen Unfall mit drei Toten, und die Ermittler Femke Folkmer und Tjark Wolf werden den Unfallort in Augenschein nehmen, denn da stimmt etwas nicht. Logisch ist die Presse auch vor Ort, und nach mehr als dreißig Jahren als Journalist weiß ich ja, wie das läuft. Später werde ich vom Set beeindruckt sein, das wirklich genau aussieht wie ein echter Unfallort. &bdquo;Was macht denn ein echter Reporter?“ Aber jetzt freue ich mich zunächst über die &bdquo;Kollegen“, die die Gunst der Stunden nutzen und mich fragen: &bdquo;Wie sehen denn echte Lokalreporter so aus und wie benehmen die sich?“ Ich erwidere: &bdquo;Sowie ich ohne Uniform.“ Außerdem amüsiere ich mich, denn die Produktion hat ausgerechnet mir die Aufgabe zugedacht, die lästigen Lokalreporter vom Unfallort zu verscheuchen, weil sie stören. Wieder so ein Spaß vom Produzenten Mirko Schulz, der schon in dem ersten &bdquo;Dünen“-Film gemogelt hatte, dass die Eltern des Mörders aus Detmold stammen. Jedenfalls stehen wir da beim Frühstück. Menschen verlassen mit Autos die Einfahrten von Einfamilienhäusern. Der Rasen in Vorgärten wird gemäht. Niemand wundert sich. Der normale Wahnsinn, denn - wie ein Regieassistent uns erzählt- werden ein paar hundert Meter weiter an der menschenleeren Straße, die im Nichts endet, oft Filme gedreht. Sie eignet sich perfekt. Das Hobby der Komparserie Die übrigen Komparsen sind echte Profis. Jil und ich lernen: Das ist ein Hobby. Manche sind bei Agenturen, haben schon in reichlich Produktionen mitgespielt. Einer erzählt: &bdquo;Im November habe ich mir bei ,Babylon Berlin in Hilterjungen-Shorts den Hintern abgefroren.“ Eine andere berichtet: &bdquo;Ich habe in Hollywod-Produktionen in Babelsberg mitgewirkt, und Tom Cruise ist wirklich sehr nett.“ Sie ist Rentnerin, macht aus Spaß auf Komparsin und kann gar nicht mehr zählen, in welchen Filmen sie schon überall mitgespielt hat. Ein anderer nickt. Er hat auch schon alles Mögliche gemacht und sagt, Keanu Reeves sei auch sehr freundlich. Überhaupt sei das so: Je Star desto nett. Jil und ich treffen &bdquo;unsere“ Stars Hendrik Duryn und Pia-Micaela Barucki wenig später am Set. Links und rechts sehen wir Felder und riesige Windräder. Haltende Autos haben allesamt ein WHV-Kennzeichen für Wilhelmshaven bekommen. Man könnte wirklich denken, man sei an der Küste und nicht kurz vor Brandenburg. Auf der abgesperrten Straße liegt ein LKW im Graben. Ein Kombi ist unter das Heck gerast. Stuntmen haben das am Vortag erledigt, um alles authentisch wirken zu lassen und außerdem Bremsspuren auf den Asphalt zu bekommen. Ein Feuerwehrwagen steht da. Alles ist abgesperrt. Drei mit Dummys gefüllte Leichensäcke liegen auf der Straße. Dazwischen steht endlos viel Technik herum, Kameras, Leuchten, Stative, und mindestens genauso viele Menschen – sicher sind 50 Personen heute am Dreh beschäftigt. Drei Leichensäcke auf der Straße Nicht ungewöhnlich für eine deutsche TV-Produktion, eher Standard. Ein 90-Minüter hat etwa 30 Drehtage. Sieht man diesen Aufwand und rechnet das hoch, ist es kaum verwunderlich, warum Filme so teuer sind. Und die Logistik ist immens. Und damit jeder Bescheid weiß, gibt es am Vorabend von der Produktion für jeden Drehtag dezidierte Einsatzpläne für alles und Jeden mit jedem noch so kleinen Detail. Trotzdem wirkt alles wie ein hoch organisierter Ameisenhaufen und als ob nur wenige Durchblick haben (was nicht stimmt). Zum Beispiel Regisseur Dominic Müller – Cap, Short, Shirt, Sneakers, Kopfhörer -, der schon einige Tatorte und Wilsberg-Folgen gemacht hat. &bdquo;Ich hätte mir beim Lesen von deinem Buch ja gewünscht“, sagt er, &bdquo;dass ich ein größeres Budget hätte, aber ...“ Ich antworte, dass das Kopfkino weitaus preiswerter ist als das echte. Man kann in einer Minute in einem Satz schreiben, dass ein Terrorist einen Passagierjet mit einer Rakete abschießt, der dann in die Frankfurter Innenstadt stürzt und den Messeturm abrasiert. Und im Film: Zack, Kohle weg. &bdquo;90 Prozent ist Warten“ Nach ewigem Nichtstun – Produzent Mirko Schulze: &bdquo;Das Drehen besteht zu 90 Prozent aus Warten“ - geht es dann endlich ans Filmen. Jil und zwei weitere Komparsen in Spurensicherungs-Overalls müssen immer wieder an den Unfallort kommen, was aus unterschiedlichen Perspektiven gefilmt wird. Gefühlt dreißig Mal muss ich Reporter verscheuchen – und unterdrücke jedes Mal den Gedanken: Wenn uns in echt wer von einem Unfallort verscheuchen würde, dann gäbe es aber Ärger mit der LZ – Pressefreiheit und so. Pro forma sage ich es nur einmal und bin dann zu Gunsten der Kunstfreiheit still. Jil muss immer und immer wieder ihren Alu-Koffer schleppen. Fortwährend retten wir uns in den Schatten. Jil hockt meist mit ihrer Spurensicherungs-Crew hinter dem Feuerwehrwagen. Einer war vorher Polizist und berät das Team vor Ort. Die Feuerwehrleute sind ebenfalls echt: Es sind Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr, die immer wieder mal an TV-Drehs teilnehmen und für Authentizität sorgen. Alles Material hingegen ist geliehen: Es gibt Unternehmen, bei denen man alles für Filme chartern kann, vom Polizeiwagen bis zum Hubschrauber und zum SEK-Komparsenteam mit originaler Ausrüstung und echtem SEK-Background. Rund um die Uhr wird am Set Wasser verteilt, Eis, Coolpacks, denn die Sonne glüht. Hendrik Duryn und Pia Barucki haben kleine Spielzeug-Ventilatoren fürs Gesicht. Bringen die was? &bdquo;Probier mal“, sagt Pia und gibt mir ihren. Ich spüre kaum etwas. &bdquo;Besser als nix“, erwidert sie und schnappt ihn sich sofort wieder. Dabei sollte sie die Hitze doch gut abkönnen, denn sie hat gerade eine weitere Staffel von &bdquo;Der König von Palma“ abgedreht. Ist aber nicht so. Die Hitze setzt ihr zu, und sie muss trotzdem eine Jacke tragen, Hendrik Duryn ebenfalls. Hardcore. Die Stars müssen auf Knopfdruck präsent sein Pia Barucki, Hendrik Duryn und die weiteren Schauspieler müssen wie wir alles zigfach wiederholen. Auf den Punkt genau. Immer wieder dasselbe. Exakt gleich und wie auf Knopfdruck. Da kann man verstehen, warum manche Schauspieler im Film oft wochenlang im Mindset für ihre Figur bleiben, denn zwischendurch gibt es immer wieder endlose Drehpausen. Fahrer chauffieren die Darsteller zu ihren Trailern, karren sie nach dem Einrichten der nächsten Szene wieder heran, &bdquo;Wir filmen!“, Ton, Klappe, Action, Emotion von Null auf Hundert – Respekt. Die Takes müssen zudem immer wieder unterbrochen werden. Mal fliegt ein Hubschrauber über das Set, mal kommen - trotz Absperrung - Radler, dann wieder ein Cateringwagen – und einmal wird gerufen: &bdquo;Achtung! Strähne!“ Sofort wird alles abgebrochen. Eine Maskenbildnerin sprintet mit ihrem Einsatzgürtel los. &bdquo;Pia“ steht darauf geschrieben. Der Beutel ist mit Bürsten und Sprays gefüllt. Ich frage Kostümbildnerin Inga neben mir, die meiner Tochter Jil gerade den Nacken mit Eiswürfeln kühlt, und ihre Kollegin, die auf einem Mineralwasserkasten sitzt: &bdquo;Rotalarm?“ Die beiden Expertinnen nicken und erklären: &bdquo;Eine Haarsträhne klebt im Gesicht. Die muss weg.“ Zwei scharfe Blicke Überhaupt wird extrem auf Details geachtet. Das war schon vorher so, als die Kostümbildnerinnen über die Abzeichen an meinen Schulterklappen diskutierten. Darf ich mit diesem Rang einem anderen Komparsen mit einem anderen Rang Anweisungen geben, oder sollte man sie besser tauschen? Ich sagte: &bdquo;Das sieht doch eh keiner, oder?“ Zwei scharfe Blicke sind mir Antwort genug. Abends um Sieben ist der Drehtag dann beendet. Morgens um Sieben hatten wir das Hotel verlassen. Dazwischen gab es auch offizielle Pausen, denn natürlich muss sich eine Filmcrew an gewerkschaftlich vorgegebene Ruhe- und Arbeitszeiten für die unterschiedlichen Gewerke halten. Als wir an den Kudamm zurückkehren, sind wir durchgegart und erledigt. Wir überlegen: &bdquo;Meine Güte – und jetzt morgen wieder, und danach noch zig weitere Tage?“ Aber wie heißt es so schön: &bdquo;The show must go on.“ Zwar ohne uns. Aber das ist, ganz ehrlich, auch gut so ...

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