Warburg

Der Familien-Bahnhof

Familie Honsel will ihr ungewöhnliches Wohnhaus in der Warburger Altstadt verkaufen

21.11.2012 | 21.11.2012, 00:00
Ein Bahnhof in der Warburger Altstadt? Die Zeiten sind längst vorbei. Die Strecke von Warburg bis nach Volkmarsen und zurück ist seit dem Jahr 1977 stillgelegt. - © FOTO: JULIA BÖHMER
Ein Bahnhof in der Warburger Altstadt? Die Zeiten sind längst vorbei. Die Strecke von Warburg bis nach Volkmarsen und zurück ist seit dem Jahr 1977 stillgelegt. | © FOTO: JULIA BÖHMER

Warburg. Still ist es im Flur der Honsels. Aber einige Relikte weisen auf eine bewegte Vergangenheit hin: Eine alte Schaffnerkelle hängt an der Wand, antike Baupläne eines Bahnhofes lehnen auf der Truhe, Gerhard Honsel sitzt vor der ehemaligen Fahrscheinausgabe. Er ist der Hausherr dort, wo früher der Altstadt-Bahnhof war. 30 Jahre hat er das Gebäude mit seiner Familie als Wohnhaus genutzt. Jetzt soll das geliebte Haus verkauft werden. Zeit, um zurückzublicken.

"Der Bahnhofskauf war der Lebenstraum meines Mannes", erinnert sich Irmgard Honsel. Die heute 65-Jährige war zum Jahreswechsel 1981/82 mit ihrem Mann nach Warburg gezogen. Beide Sozialpädagogen hatten eine neue Stelle in der Stadt und wohnten übergangsweise mit ihren Kindern in einem Appartement. Bei einer Tour durch die Stadt entdeckte Gerhard Honsel den Altstadt-Bahnhof, der zum Verkauf stand. "Ich erinnere mich noch heute an das Funkeln in seinen Augen, nachdem er das Objekt entdeckt hatte", erzählt die 65-Jährige, die aus dem Kreis Borken stammt.

Es sollte dieses Haus sein - und nur dieses. Also verhandelte Gerhard Honsel mit dem damaligen Besitzer. Erfolgreich. Im Frühjahr 1982 wurde schon gewerkelt, die junge Familie zog in die zweite Etage, denn das Erdgeschoss war noch unbewohnbar. "Das Haus war eine Ruine, wir mussten alles grundsanieren", erzählt Irmgard Honsel heute. Nachbarn und Freunde halfen. Sie brachten sogar ein besonderes Stück Bahnhof zurück: "Ein Bekannter hat uns die alte Außenlampe wieder gebracht, die schon auf dem Müll gelandet war", weiß Gerhard Honsel noch. Sie wurde wieder montiert, das war den Honsels wichtig: "Wir wollten den Bahnhofsstil des Hauses beibehalten", erzählt Irmgard Honsel weiter und lässt den Blick durch die ehemalige Bahnhofsvorhalle schweifen, wo heute der Hausflur ist.

Vor der alten Fahrschein-Ausgabe hat das Ehepaar Honsel eine flauschige Couch positioniert. Ein befreundeter Maler hat den Schriftzug "Fahrscheinausgabe" wieder deutlich sichtbar angebracht, die Drehscheibe für die Münzausgabe funktioniert noch. "Damit spielen unsere Enkel so gerne", sagt Irmgard Honsel, deren vier Kinder früher im Haus für viel Trubel gesorgt haben. "Wir hatten hier so eine Art Familien-Bahnhof", erzählt sie und schmunzelt. Jedes der Kinder durfte ein Tier haben, also kamen zu Hund und Katze auch Schafe und Kaninchen. Morgens trafen sich alle Freunde der Kinder am Honsel-Haus, um von dort gemeinsam zur Schule zu fahren.

Aber auch eine schaurige Erinnerung verbindet Irmgard Honsel mit den Anfangszeiten im Haus: Zwar war der Personenverkehr am Bahnhof schon beim Hauskauf einstellt, aber Güter rollten noch über die Schienen. Die belgische Armee transportierte auf der Bahnstrecke in Richtung Bad Arolsen Materialien. Eines Tages dachte Irmgard Honsel, dass Panzer durch ihren Garten fahren würden. Sie waren allerdings nur festgeschnallt auf offenen Bahnwaggons, die über die damals noch montierten Schienen fuhren. "Ich war damals schwanger, dieser Anblick des Militärgeräts hat mir Angst gemacht", weiß sie noch.

Aber auch, als die Schienen weg und der Garten voll errichtet war, gab es Probleme mit dem Traumhaus: "Wir mussten immer viel renovieren und dafür sparen, groß in den Urlaub gefahren sind wir selten", erklärt Irmgard Honsel. Die Freizeit wurde für die Arbeiten am Heim geopfert, das sei "nicht immer nur schön gewesen". Die Kinder der Honsels sind mittlerweile schon lange aus dem Haus, übernehmen will keiner von ihnen das selbst ernannte "Liebhaberstück" der Eltern. Irmgard und Gerhard Honsel sind beide Pensionäre, sich um insgesamt 300 Quadratmeter Wohnfläche und über 2.000 Quadratmeter Grundstück zu kümmern, das wird beiden zu viel. Schweren Herzens wollen sie ihr Bahnhof-Haus nun verkaufen.

Die Honsels werden ein wenig wehmütig, wenn sie über diese Entscheidung erzählen. "Wir können uns noch an die Montage jedes Heizkörpers hier erinnern", sagt Irmgard Honsel. Aber: Im Wesen des Menschen liege nach ihrer Angabe auch die Neugier. Sie werden in Warburg bleiben, in eine Wohnung ziehen. Ihr Haus an der Diemel werden sie zwar vermissen, aber Irmgard Honsel fasst zusammen: "Die positiven Erinnerungen bleiben."