Warburger Land. Lautstark macht Andrea auf sich aufmerksam, während Luis zufrieden mit sich und der Welt den Schäfchenwolken am Himmel hinterherschaut und Mona flügelschlagend von einem Bein auf das andere hüpft. Neugierig starten die Greifvögel des Tierpark Sababurg in einen neuen Morgen. Gespannt ist auch Lena Hohmann, die einen Tag lang als Falknerin die Könige der Lüfte begleiten wird.
Liebevoll begrüßt Ronja Keller ihre Schützlinge. Die 20-Jährige absolviert ein Freiwilliges Ökologisches Jahr in der Greifvogelstation des Tierparks. Erwartungsvoll verfolgt Mona, die Wüstenbussard-Dame, jede Bewegung in ihrem Pferdebox großen Nachtquartier. Heute kommt Ronja nicht allein. "Hallo Schätzchen", sagt Lena Hohmann leise und streckt Mona behutsam ihren linken Arm entgegen, der in einem dick wattierten, türkisfarbenen Lederhandschuh steckt. Einen Tag lang wird die gelernte Zoo-Tierpflegerin die Arbeit eines Falkners übernehmen. Und das aus einem ganz besonderen Grund. Seit Wochen bereitet sich die 26-Jährige auf die Abschlussprüfung ihres Falkenscheins vor. Der schnöden Theorie soll der tierische Praxistest folgen.
Mit Leib und Seele ist Lena Tierpflegerin im Duisburger Zoo. Ihr Berufswunsch nach dem bestandenen Abitur: Keine fixe Idee, sondern echte Leidenschaft. Überrascht reagierten ihre Eltern auf das ungewöhnliche berufliche Ziel. "Sie wollte Dolmetscherin werden. Wir waren mehr als erstaunt, als sie uns sagte, dass sie Tierpflegerin im Zoo werden will", erinnert sich Vater Siegfried Hohmann.
Mit sanftem Flügelschlag haben sich die Greifvögel im Laufe der Lehrzeit einen Platz in Lenas Herz erobert. "Die Tiere sind imposant, kraftvoll und anmutig", schwärmt Lena und beobachtet mit Adleraugen jede Bewegung von Schleiereule Lea, die auf ihrem Arm sitzt. Schwungvoll breitet der schneeweiße Vogel plötzlich seine Flügel aus und versucht abzuheben. Klatschend treffen die Schwingen Lenas Arm. Ohne mit der Wimper zu zucken, greift sie nach dem ledernen Band, dass Mensch und Tier verbindet, und zieht Lea zurück.
Futterrationen werden nach Gewicht berechnet
Mit viel Gefühl setzt sie die Eule auf eine schmale Holzstange, die Teil einer speziellen Vogel-Waage ist. "Es ist wichtig zu wissen, wie schwer oder leicht die Tiere sind. Die Futterrationen werden danach berechnet. Wenn die Vögel zu schwer sind, werden sie träge und fliegen nicht", erklärt Ronja (20) der Nachwuchs-Falknerin.
Falken, Bussarde und Adler nehmen nacheinander an diesem Morgen auf Lenas Arm Platz. Jeder Vogel bezieht sein eigenes Quartier. Frisch aufgefüllt hat Lena bereits die Wasserstellen, die gut geschützt unter kleinen Holz-Häuschen stehen. Davor auf Baumstämmen thronen die Greifvögel. Im frisch geharkten Kiesbett blitzt ein eiserner Ring auf. Mit Bussard Luis auf dem Arm tastet Lena nach der Verankerung im Boden und klinkt mit einer flinken Handbewegung das rote Seil ein, das an Luis Fußgelenk baumelt. In den vergangenen Wochen hat sich Lena intensiv auf ihre Falkner-Prüfung vorbereitet. Die theoretischen Grundlagen sitzen - was fehlt, ist der praktische Umgang mit den Vögeln. "Es ist ein tolles Gefühl den Vögeln so nah zu sein. Ich habe nur mit Tier-Präparaten üben können", sagt Lena und schmunzelt beim Gedanken an festgeklebte Vogel-Exponate auf altersschwachen Falkner-Handschuhen.
Sind alle Tiere versorgt, beginnt die tägliche Säuberungsaktion der Vogel-Quartiere. Mit Wasser und Bürste bewaffnet schrubbt Lena Holzstämme und harkt Holzschnitzel zusammen, mit denen die Boxen der Greifvögel ausgelegt sind.
Ihren Eltern hat Lena den ereignisreichen Tag als Falknerin zu verdanken. "Ich hab mich riesig über dieses Geschenk gefreut. Es ist eine ganz tolle Idee", sagt sie, ohne zu wissen, dass die größte Überraschung noch auf sie wartet. "Von Lenas Arm wird heute noch Joker, unsere Weißkopfseeadler-Dame, abheben. Vier Kilo schwer und mit einer Flügelspannweite von 2,20 Metern", flüstert Ronja und lacht zu Lena hinüber, die ratlos mit den Schultern zuckt, den Kopf nachdenklich schräg legt und verträumt zu lächeln beginnt.