Warburg. Maximilian Meyer steht in den Startlöchern. Am kommenden Sonntag hebt die Maschine am Düsseldorfer Flughafen ab. Rund zweieinhalb Stunden später wird der 25-jährige Warburger in Sofia landen. Bis kurz vor Weihnachten wird der angehende Sozialarbeiter in Bulgarien bleiben. "Dort werden sie mich vermutlich Maxel oder Maxim nennen", lacht Meyer.
Maxel oder Maxim, also. "Es machen wohl viele Österreicher Urlaub in Bulgarien, deshalb dieser Spitzname", hat der Warburger aus Erzählungen erfahren. Ihm ist sein Titel ziemlich schnuppe: "Ist jetzt eh alles Europa", sagt Maximilian. In Europas Osten will der Student jedoch nicht Urlaub machen, sondern arbeiten. "Mit Kindern und Jugendlichen in einem Kinderheim", erzählt Maximilian Meyer im Gespräch mit der Neuen Westfälischen. Das gehört zu seinem Praktikum.
Der Warburger studiert im fünften Semester Soziale Arbeit an der Katholischen Fachhochschule in Paderborn. Jeder der 110 Studenten muss ein Praktikum absolvieren. Neun von ihnen gehen dafür ins Ausland. Einer davon ist Maximilian. England und Bulgarien standen zur Auswahl. Dem Kleinstädter hat die Metropole London schon sehr gut gefallen. Aber England kommt später. Die Insel kann warten. "Die meisten halten mich eh für einen Engländer", sagt Maximilian und grinst verschmitzt. "Das liegt vermutlich an meiner Art und dem Aussehen", spekuliert der Student und deutet auf seine Jacke mit dem markanten schwarz-weißen Karomuster.
Statt Norden wird es also der Osten. Ein spannender Schritt: "Bulgarien ist ein Transformationsland mitten im Findungsprozess", sagt Maximilian Meyer. Im Vorbereitungsseminar haben sie über Kriminalität und Korruption gesprochen. "Klar, da ist schon ein Thema", sagt er. An seinem Praktikumsplatz wird der Student die jüngsten Opfer der Schattenwirtschaft treffen: Kinder und Jugendliche. Viele von ihnen haben Schlimmes erlebt.
Sie werden misshandelt und von Erwachsenen zum Betteln und zur Prostitution gezwungen. Einige von ihnen kommen - mit sehr viel Glück - in Einrichtungen, die von dem deutschen "Verein zur Förderung bulgarischer Kinderheime" unterstützt werden. Die Zustände in den bulgarischen Heimen sind trotz politischer Umbrüche und Wenden katastrophal.
In den vergangenen zehn Jahren sind in bulgarischen Heimen 238 Kinder an Hunger, Gewalt und Vernachlässigung gestorben. Dabei gehört Bulgarien seit 2007 zur Europäischen Union. 35.000 Kinder von insgesamt 7,3 Millionen Bürgern leben laut Statistik in Bulgarien im Heim. "Das ist der traurige Europa-Rekord", sagt Maximilian Meyer und liefert einen Vergleich. "In Deutschland leben rund 65.000 Kinder in Einrichtungen - bei rund 82 Millionen Einwohnern."
Angesichts solcher Zahlen und Schicksale wird die ansonsten überaus ausgeglichene Frohnatur Meyer ganz nachdenklich. "Ich bin ja im Wohlstand groß geworden. Vielleicht ist es jetzt einmal an der Zeit, etwas ab- und weiterzugeben", sinniert der Student. Und sagt dann ganz entschlossen: "Ich habe die Kraft dafür." Kraft wird er auch brauchen - allemal mentale. Nicht nur die kyrillischen Buchstaben sind fremd, auch die Sprache und einige Gesten. "Da", heißt "Ja", das ist noch bekannt - "Ne" wie erwartet "Nein". "Aber ein Nicken bedeutet in Bulgarien ,Nein' und ein Kopfschütteln ,Ja'", erzählt Maximilian. Nach seiner Ankunft wird er in der 330.000-Einwohner-Stadt Plovdiv einen dreiwöchigen Sprachkurs machen.
Danach geht die Reise weiter nach Panagyurishte. Das Kleinstädtchen mit 18.000 Bürgern liegt knapp 100 Kilometer östlich von Sofia. In dem Heim bekommen die Kinder nicht nur Obdach und Essen. "Sie sollen eine Ausbildung erhalten.
In Panagyurishte machen die Mädchen und Jungen eine Ausbildung zur Textilschneidern", erzählt Maximilian. Darüber hinaus werden die oftmals traumatisierten Kinder von einem Psychologen begleitet. Als Praktikant wird Maximilian Meyer in alle Bereiche des Kinderheims reinschnuppern.
Darüber hinaus muss er im Rahmen seines Studiums ein eigenes Projekt durchführen. "Was das sein wird, werde ich vor Ort entscheiden."