Ein Borgentreicher berichtet aus Brüssel: „Europa ist keine Selbstverständlichkeit“

Warburg/Borchentreich. Der Borgentreicher lebt den europäischen Gedanken. Nicht nur als bekennender Fan des Eurovision Song Contests. Sebastian Fietkau koordiniert die politische Arbeit von Terry Reintke, der Vorsitzenden der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament. Die &bdquo;NW“ erwischte ihn auf der Fahrt aus dem belgischen Brüssel in die heimatliche ostwestfälische Börde. In Warburg wird er seine alte Schule, das Hüffertgymnasium, besuchen. Und mit den Schülerinnen und Schülern darüber sprechen, wie die EU funktioniert &bdquo;und was ich da eigentlich mache“. In der Kurzfassung ist das schnell beschrieben: Fietkau koordiniert die politische Arbeit seiner Chefin und ist in ihrem Büro Ansprechpartner für externe Anfragen. Er betreut inhaltlich die LGBTIQ-Themen sowie den Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten. Als gebürtiger Südostwestfale vertritt er die NRW-Fraktion im Brüsseler Büro. So weist es die Homepage seiner Chefin aus. Nach dem Abitur in Warburg absolvierte Fietkau ein Freiwilliges Soziales Jahr in Brüssel. Zum Studium der Politik- und Verwaltungswissenschaft ging er nach Konstanz an die Schweizer Grenze und kehrte für ein Praktikum in die belgische Stadt zurück. Zwei Auslandssemester im Bachelor-Studium brachten ihn ins portugiesische Coimbra. In Konstanz betreute im ersten Master-Studienjahr die Austauschstudenten, war Mitglied einer Hochschulgruppe, die die sozialen Kontakte zwischen deutschen und ausländischen Studenten förderte. Dass viele unter sich blieben, wollte er ändern. Später im Studium in Barcelona lebte er in einer Wohngemeinschaft mit einer Katalanin, einem Schotten und einer Engländerin zusammen. Als &bdquo;European Master in Government“ bekam der heute 38-Jährige 2011 von der deutschen und von der spanischen Uni einen Abschluss. Neben Deutsch spricht er sechs Sprachen Neben Englisch und Französisch spricht Fietkau Portugiesisch, Spanisch und Niederländisch. Sein Freundeskreis lebt auf der ganzen Welt. Grenzen nimmt Fietkau, der mit seinem französischen Partner mittlerweile in einem &bdquo;kleinen Häuschen mit Garten“ am Rande Brüssels lebt, in Europa nicht mehr wahr. Nur wenn er aus Europa herauskomme, merke er, &bdquo;dass es noch Grenzen gibt“. Zu Schulzeiten war er freier Mitarbeiter der &bdquo;Neuen Westfälischen“, berichtete von den Friedenscamps des Jugendhauses Hardehausen in Sarajevo. &bdquo;Mein Herz ist immer noch dort“, sagt er. Einladungen zu Cevapcici und Slibowitz in Brüssel schlägt er nicht aus. Damals konnte er sich eine Arbeit im Umfeld der EU-Institutionen vorstellen: &bdquo;Vielleicht bei der Kommission oder im diplomatischen Dienst“. Wie Deutsche über Ausländer denken Doch es kommt anders. Von Barcelona zieht er nach Mannheim und bleibt dort fünf Jahre. Promoviert an der Uni und arbeitet gleichzeitig als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent im Bereich Politikwissenschaft an einem europäischen Forschungszentrum. In seiner Doktorarbeit geht der Sozialwissenschaftler der Frage nach, wie Deutsche über Ausländer denken. &bdquo;Das war weit vor den großen Flüchtlingsbewegungen“, sagt Fietkau. &bdquo;Damals kamen viele junge Menschen aus Spanien und Südeuropa auf der Suche nach Ausbildung und Arbeit.“ Bereits in seiner Warburger Zeit macht er bei den Grünen mit. In Mannheim unterstützt er einen lokalen Bundestagsabgeordneten im Wahlkampf, wird Geschäftsführer der Bündnisgrünen in der Stadt und Mitarbeiter des Parlamentariers. Über den Kontakt ist Fietkau danach für drei Abgeordnete in Berlin tätig. Unter anderem lockt er in dieser Zeit die Grünen-Abgeordnete Maria Heubuch zum Besuch nach Borgentreich. Fietkau ist vor der Europa-Wahl 2019 ihr Pressesprecher. Zurück in den Bundestag: Sein neuer Chef ist Mitglied im Europaausschuss. Aus Berlin bewirbt er sich auf den Job in Brüssel, ist zu Beginn wiederum Pressesprecher, bis Terry Reintke &bdquo;eine professionelle Kollegin von der ARD abwarb“. Es gibt Gefahren für den Zusammenhalt Europas Fietkau arbeitet mit Menschen aus ganz Europa zusammen. Die Corona-Pandemie habe gezeigt, dass es Gefahren für die Demokratie und den europäischen Zusammenhalt gebe. Europa sei keine Selbstverständlichkeit, sagt er. In Krisenmomenten schauten viele Länder nur auf sich in dem Bewusstsein, es am besten zu wissen, wie die Krise zu managen sei. &bdquo;Es ist schon erschreckend, wie schnell die lange Zeit der Vereinigung über den Haufen geworfen wurde“. Trotz aller beschlossenen Pakete, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln, derzeit im Gesundheitsbereich Regeln zu finden und als EU gemeinschaftlich besser auf Pandemien reagieren zu können. LGBTIQ fällt im Team der Grünen-EU-Fraktionsvorsitzenden in seinem Verantwortungsbereich. Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans und Inter, Queer: Reintke kämpfte als Präsidentin im Zusammenschluss aller Fraktionen im EU-Parlament für deren Rechte. Europa müsse ein Raum werden, in der die Menschen so leben und lieben könnten, wie sie möchten, sagt Fietkau. &bdquo;In voller Freiheit.“ Auch von diesem Engagement werde er den Schülerinnen und Schülern in Warburg berichten. &bdquo;Wir fahren zu den Christopher Street Days nicht, um abzufeiern, sondern politisch Flagge zu zeigen, wo es nötig ist.“ In Ungarn, Polen Bulgarien zum Beispiel. In Belgrad fand sich die kleine Brüsseler Gruppe abgetrennt von der Polizei rechten Gegendemostaranten und Hooligans gegenüber wieder. Dem europäischen Gedanken ein Gesicht geben Allzu oft bleibt der Unterricht in der Schule theoretisch, Fietkau möchte dem Einsatz für den europäischen Gedanken ein Gesicht geben. Er und die Jugendlichen werden etwas aus dem Gespräch mitnehmen: Im kommenden Jahr findet im Mai wieder die Wahl zum Europäischen Parlament statt. Dann dürfen in Deutschland erstmals auch Jugendliche ab 16 Jahren ihre Stimme abgeben. Fietkau wirbt darum, von ihrem Wahlrecht auch Gebrauch zu machen. &bdquo;Weil es um ihre Zukunft geht, um das Miteinander, das Klima, die Gesellschaft.“

Meistgelesen