Beim Jugendlandtag das Leben eines Abgeordneten führen

Natingen/Düsseldorf. Die Dackel-Krawatten eines Alexander Gaulands in den Reihen der jugendlichen AfD-Abgeordneten fand er befremdlich. Diejenige, die Niklas Kleinjohann bei seiner Rede beim im Jugendlandtag im Düsseldorfer Parlament trug, hatte den 18-Jährigen die Woche zuvor bereits beim Abiball geziert. "Die hat gut gepasst", meint er. Zusammen mit 198 weiteren jungen Vertretern der Landtagsabgeordneten diskutierte und entschied der junge Natinger Ende Juni über aktuelle Anträge. Ihre Beschlüsse werden jetzt dem "echten" Landtag vorgelegt. Für die Jungparlamentarier ein straffer Zeitplan (9.30 bis 20 Uhr, geschlafen wird in der Jugendherberge vis-a-vis des Landtags auf der anderen Rheinseite) bis zur Sitzung am dritten Tag im Plenarsaal, wo drei Stunden lang die Debatten lebendig geführt wurden. "Das Bild krieg' ich nicht mehr aus dem Kopf", kommt Niklas nochmals auf das Outfit der jungen AfDler zurück. Gar einen preußischen Kaiser-Wilhelm-Bart habe er gesehen. "Deren Positionen fand ich schon krass", sagt Niklas. Die Nachwuchspolitiker am rechten Rand seien eben besonders aufgetreten, hätten sich besonders behandeln lassen. Sein Gefühl: "Das schauen die sich bei den Großen ab." Politik habe ihn immer schon interessiert, sagt Niklas. "Die Freude daran, sich politisch zu engagieren", konkretisiert er. Das ungewöhnliche Angebot, für drei Tage den heimischen CDU-Abgeordneten Matthias Goeken im Landtag zu vertreten, habe gereizt. Goeken hatte dafür die Zeit, außerhalb des Plenarsaales, der Fraktions- und Ausschussräume Termine wahrzunehmen. Nur am ersten Tag habe er Niklas begleitet, sagt Goeken. Sein Büro in Düsseldorf und das Landtagsgebäude gezeigt, in dem man sich schon einmal verlaufen könne. »Anders als im Bundestag haben wir feste Plätze« Sitzplatz 88, dritte Reihe: Der Stuhl, dessen Messingschild den Platz Goekens im Block der CDU (neben der AfD ganz rechts, den Parteilosen und der FDP) ausweist, besetzt nun Niklas. "Anders als im Bundestag haben wir im Sitzungssaal feste Plätze", bemerkt Goeken und zählt dazu auch seine Aufgaben als ordentliches Mitglied in den Ausschüssen Wirtschaft, Energie- und Landesentwicklung sowie im Verkehrsausschuss auf. Neben den Fraktionssitzungen, in denen die Jugendlichen die Digitalisierung von Schulen und ein mögliches Azubi-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr ausführlich beraten, finden Expertenanhörungen mit Fachleuten und Ausschusssitzungen, in denen Vertreter aller Fraktionen aufeinandertreffen, um ihre Standpunkte darzulegen, statt. Einen Konsens unter allen Parteien zu anstehenden Themen zu finden sei für die Profi-Politiker schwierig, sagt Goeken und bittet um Nachsicht. Niklas wirbt für das Ausbildungsticket. In der Fraktionssitzung der jungen Christdemokraten hat er sich für einen Redebeitrag vor den Jugendlandtag gemeldet. "Fünf Minuten", sagt er. "Komplett grenzenlos und in der Freizeit nutzbar", nennt Niklas seine Forderung, den ÖPNV alternativer zu gestalten. "Wir sollten attraktive Konditionen für ein Azubi-Ticket ähnlich dem Semesterticket der Studierenden schaffen", fordert Niklas. Durch die größere Anzahl verkaufter Fahrscheine sei die Idee finanzierbar, bleibt er pragmatisch. "Man arbeite gerade daran", sagt Goeken in Richtung seines jungen Vertreters. Doch drei große Verkehrsverbünde im Land machten mit unterschiedlichen Voraussetzungen die Sache diffizil. "Wir drängen auf eine Lösung", verspricht der Christdemokrat. Seit einem Jahr ist Niklas Mitglied der Jungen Union im Kreis Höxter. Der ehemalige Schüler der Brede in Brakel nutzt die Chance, Politikseminare der Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) zu besuchen. Beworben hatte sich Niklas um das Jugendparlamentsmandat, von dem er in den Social-Media-Bereichen des Internets erfahren hatte, in Goekens Büro. "Sieben Jungs und drei Mädchen hatten sich beworben", sagt Goeken. Niklas sei der schnellste gewesen. Doch er betont, sich mit allen bei einem Frühstücksgespräch getroffen zu haben. Der Kontakt sei ihm wichtig gewesen. Drei der Jugendlichen würden nun ein Praktikum in seinem Landtagsbüro absolvieren, hält der Abgeordnete aus Bad Driburg fest. Die Tage in der großen Landespolitik: "Sehr abwechslungsreich", sagt Niklas. Dazu gehörten Niederlagen und Erfolge. "Wenn du etwas durchgesetzt bekommen willst, ist das sehr spannend." Die Beziehungen zwischen der CDU- und FDP-Fraktion sei bei den jungen Leuten nicht so gut gewesen wie im reellen Geschehen, sagt Goeken. "Alles lief professionell ab", blickt Niklas in Richtung des Abgeordneten. Er habe immer das Gefühl von Respekt, Ernsthaftigkeit und Seriosität gehabt. Der Jugendlandtag sei keine Gute-Laune-Veranstaltung seitens der Politik. "Die Tage haben mir gezeigt, wie faszinierend Politik ist. Sie haben mich darin bestärkt, mich näher mit Politik zu befassen, zu schauen, wie Politik geschieht", hält der junge Natinger fest. "Insgesamt eine positive Erfahrung", bewertet er. Weil unter zeitlichen Druck gemeinsam nach Lösungen gesucht worden sei. "Das dauert bei uns länger", sagt Goeken. Vieles werde zunächst zur Diskussion an die Ausschüsse verwiesen. "In zweieinhalb Tagen gestellte Anträge auch zu verabschieden ist schon ambitioniert", bemerkt der CDU-Politiker durchaus skeptisch. "Eine beschleunigte Politik." Die Jugendlichen in der Partei diskutierten lösungsorientierter, seien unkonventioneller in ihrer Herangehensweise, sagt Goeken. Er habe begeisterte Jugendliche, "die mit Herzblut bei der Sache sind", erlebt. Um der Zukunft mehr gerecht zu werden, könnten solche Aktionen wie der Jugendlandtag helfen, sagt Goeken. Das Vorurteil, ältere konservative Politiker seien in ihren Ansichten starr und langsam, möchte Niklas allerdings so nicht stehen lassen. "Im Düsseldorfer Landtag sitzen in der Mannschaft der CDU relativ viele junge Leute", sagt Goeken. Fast 70 Prozent der christdemokratischen Mandatsträger seien neu im Parlament, "darunter die Hälfte unter 40 Jahren", zählt er auf. Es sei wichtig, dass junge Leute sich zu aktuellen Themen äußern, ihre Meinung darlegen. Ältere müssten verstehen lernen, "die Jugend hat auch andere Themen, setzen andere Prioritäten". Landtagspräsident: »Für repräsentative Demokratie werben« Man spreche nicht jeden Tag vor 200 Menschen, sagt Niklas. Respekt vor der Aufgabe habe er schon gespürt. Bis spät in die Nacht hatte der Nachwuchsabgeordnete an seiner Plenarsaal-Rede gefeilt. "Nicht schlimm", sagt Niklas, es habe ja Spaß gemacht und bei der Abstimmung den Erfolg pro Azubi-Ticket gebracht. Dafür habe es "bodenständige Argumente" gebraucht. "Jetzt darf man gespannt sein, was die Abgeordneten aus unseren Anträgen machen." Die erwachsenen Pendants werden in Ausschüssen darüber diskutieren. 38 Kilometer sind es von Natingen bis Schieder-Schwalenberg, wo Niklas fünf Tage die Woche morgens um 6.30 Uhr am Werkstor von Phoenix Contact stehen muss. "Da fährt noch keine Bahn und kein Bus", sagt er. Eine duale Ausbildung zum Mechatroniker und nach dem Studium zum Wirtschaftsingenieur. Im neuen Jahr wird er vier Tage an der Fachhochschule OWL in Lemgo büffeln, einen Tag im Unternehmen arbeiten. Landtagspräsident André Kuper sieht im Jugendlandtag ein wichtiges Zeichen. "Aktuelle Entwicklungen in der Welt führen uns vor Augen, dass die Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist", sagt der CDU-Politiker. Mit dem Jugendlandtag könne für die repräsentative Demokratie geworben werden. Das möchte auch Parteifreund Matthias Goeken und lädt Schulklassen gern zu einem Parlamentsbesuch in die Landeshauptstadt nach Düsseldorf ein. "Politik aus einer anderer Perspektive", wirbt er im Gespräch. Da kann Niklas nur zustimmend nicken.

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