Welda. Daumen rausstrecken war gestern. Heute trampt man anders. Heute klappt man einfach ein Schild raus. Und unbeholfen am Straßenrand muss man auch nicht mehr rumstehen. Dafür gibt es eine Bank. Zumindest in Welda ist das so. Dort gibt es jetzt eine Mitfahrbank. Die Dorfgemeinschaft hat die im vergangenen Monat aufgestellt, um die Mobilität zu verbessern. Ob das funktioniert?
Am Anfang bin ich noch skeptisch. Es ist zwölf Uhr und am Ortsausgang von Welda ist außer Vogelgezwitscher und Kuhfladenduft nicht viel los. Dass ich hier jemals wegkomme, kann ich mir noch nicht wirklich vorstellen. Erst mal das Schild rausklappen, damit die Leute überhaupt wissen, dass ich nach Warburg will. Alles klar: Ziel ist deutlich. Ab jetzt heißts warten. Geduld ist bei dieser Art zu Trampen auf jeden Fall gefragt.
Einige Autos kommen vorbei. Vielleicht alle zwei, drei Minuten mal eins. Die ersten zwanzig Minuten kommen mir allerdings vor wie ein halber Tag. Jeder Autofahrer schaut zu mir rüber, wie ich da auf der Holzbank unter dem Warburg-Schild sitze. Ein bisschen komme ich mir vor, wie bestellt und nicht abgeholt. Immerhin scheint die Sonne. Sonst hat man hier auch verloren. Unterstellen geht nicht, vor Wind schützen auch nicht.
»Du bist echt die Erste, die ich hier auf der Bank überhaupt sitzen sehe«
Plötzlich rollt ein Auto heran. Langsamer als die anderen. Das Fenster geht runter und eine blonde Frau steckt ihren Kopf durchs Fenster. „Willst du nach Warburg?", ruft sie. Als ich nicke, winkt sie mich mit einem Lachen zu sich. „Das ist lustig, du bist echt die Erste, die ich hier auf der Bank überhaupt sitzen sehe."
Zwar komme sie nicht ganz so oft an der Bank vorbei, aber bisher sei ihr nie jemand aufgefallen. Die Idee findet Jasmin Kornelius (26) aber super. „Eine Zeit lang habe ich öfter eine ältere Dame aus dem Dorf mitgenommen. Sie musste ins Krankenhaus nach Warburg. Aber sie saß immer an der Bushaltestelle – da ist diese Bank tatsächlich besser sichtbar", so die Weldaerin.
Ganz Welda fährt an dieser Bank vorbei
Gut, Jasmin Kornelius hätte mich also mitgenommen. Ich bleibe aber noch ein bisschen auf der Bank sitzen. Mal gucken, was noch so geht. Es scheint, als würden mehr Autos in den Ort hineinfahren, als raus. Zu meinem Leidwesen. Ich möchte ja nun nach Warburg. So richtig frisch ist Luft auch immer noch nicht. Es riecht nach Kuh. Nach wie vor. Aber die Sonne scheint noch. Schon nach einigen Minuten wird wieder ein Auto langsamer. Jetzt geht es voran, ist noch mein Gedanke. Ich gucke hoch. Ein Fahrschulauto. Fehlalarm also. Ich warte weiter.
Der Nächste, der nach einer knappen Stunde hält, ist Marcus. Auch er hat vor mir noch nie jemanden auf der Bank sitzen sehen. „Ich komme aber auch zu unmöglichen Zeiten hier lang", gesteht er ein. Vielleicht läge es daran, denn die Idee findet auch er „richtig gut". Vor allem, weil an der Bank das ganze Dorf vorbeifahre. Über den Rückweg habe er sich noch nie richtig Gedanken gemacht. „Ich glaube, zurück aus Warburg kommt man immer. Und für ältere Menschen mit wenig Rente ist es doch trotzdem gut. Sie bezahlen dann halt nur ein halbes Busticket", sagt der 30-Jährige.
»Auf dem Land würde ich jemanden mitnehmen. In der Großstadt nicht«
Eigentlich ist er auf dem Weg zur nahe gelegenen Kita, um seinen Sohn zu holen. „Aber Warburg wäre ja jetzt auch kein Umweg", sagt er und zuckt mit den Schultern. Ich lasse aber auch Marcus weiterfahren. Es scheint ja jetzt anzulaufen mit meinen Mitfahrgelegenheiten.
Kaum fünf Minuten später hält schon wieder ein Auto. Na also. Mich Wauters (53) streckt ihren Kopf hinaus und ist schon dabei, ihren Beifahrersitz freizuräumen. „Hier auf dem Land würde ich sofort jemanden mitnehmen. In der Großstadt wahrscheinlich nicht. Rein vom Gefühl her", sagt die gebürtige Belgierin. Besser könne man doch gar keine Kontakte knüpfen.
Das sieht die Weldaerin Marlies Vogler genau so. Die 47-Jährige ist auf dem Weg zur Arbeit nach Warburg. Auch bei ihr könnte ich direkt mitfahren. „Ich bin doch alleine unterwegs, da ist noch genug Platz", sagt sie und lacht. Erst sei sie vorbeigefahren. Aber aus den Augenwinkeln habe sie mich noch gesehen. Zack, den Rückwärtsgangeingelegt und zurück.
»Ich würde auch die Flüchtlingsjungs mitnehmen«
Normalerweise kenne sie hier im Dorf jeden, mich nicht. Trotzdem habe sie gehalten. Selbstverständlich. „Ich bin in Welda aufgewachsen, da kennt man sich. Aber ich würde jeden mitnehmen. Auch die Flüchtlingsjungs." Dass bei der Mitfahrbank aber Geduld gefragt ist, glaubt Vogler sofort. „Klar, das ist wahrscheinlich auch eher was für Ältere, denen es nicht auf eine Minute ankommt."
In der nächsten halbe Stunde kommen noch etliche Autos an meiner Bank vorbei. Die meisten schauen wieder nur. Manche ungläubig, manche fast irritiert. Viele nehmen mich gar nicht wahr. Nach zwei Stunden reichts mir. Ein Mann in einem silbernen Auto hält an. Das Fenster geht runter: „Nach Warburg?", fragt er mit einem Lächeln. Ich stehe auf. Ja, einmal nach Warburg, bitte.