Existenzängste bei Beleghebammen im Warburger Land

Warburg/Volkmarsen. Neues Leben ist wertvoll. Und teuer. Für den Spitzenverband Gesetzlicher Krankenkassen offensichtlich zu teuer. Wenn es nach ihm geht, dann sollen Hebammen demnächst nur noch zwei schwangere Frauen gleichzeitig abrechnen dürfen. Jede weitere Frau soll weitergeschickt werden. Oder muss aus eigener Tasche zahlen. Eine Forderung, die die Beleghebammen des St. Elisabeth Klinikum in Volkmarsen sprachlos macht. Beleghebammen arbeiten freiberuflich in Krankenhäusern und Geburtskliniken. Entweder in einem Schichtsystem eines Belegteams oder aber sie nutzen einen Kreißsaal, wenn eine von ihnen betreute Geburt der 1:1-Betreuung ansteht. Für die Abrechnung dieser Leistungen gelten bestimmte Regeln der gesetzlichen Krankenkassen. Schon jetzt ist der Vergütungssatz pro Geburt sehr knapp – jetzt soll aber noch mehr gekürzt werden. »Soll ich mir die Augenzuhalten, wenn ich eine dritte Schwangere sehe?« Im Klinikum in Volkmarsen arbeiten derzeit neun Beleghebammen. Für sie alle ist Hebamme sein mehr als ein Beruf. Mehr als ein Job, den sie täglich ausüben. Sie unterstützen Frauen aus Leidenschaft. &bdquo;Eine Geburt ist doch in der heutigen Welt eine der wenigen Sachen, die noch unplanbar sind – und das ist doch eigentlich etwas Schönes", sagt Hebamme Shanna Glaser. Mittlerweile aber dominiere fast ausschließlich der finanzielle Aspekt. Um die Frauen gehe es schon lange nicht mehr. Nur noch zwei Schwangere gleichzeitig abrechnen zu können – für die Hebammen im St. Elisabeth Klinikum Volkmarsen eine absurde Idee. &bdquo;Was soll ich machen, wenn ich dann eine dritte schwangere Frau auf dem Krankenhausflur sehe? Soll ich mir die Augen zuhalten?", fragt sich Cordula Grünemei. Keine der Hebammen würde eine Frau abweisen wollen – &bdquo;das wäre doch unterlassene Hilfeleistung". Und die Forderungen des Spitzenverbands? Für die Volkmarser Hebammen ein weiterer Schritt, der die Lage der klinischen Geburtshilfe noch mehr verschärft. Mit der Arbeitsrealität der Hebammen hätten die geplanten Vergütungsregeln nichts zu tun, so Hebamme Petra Hecht. Noch mehr Geburtsabteilungen werden schließen müssen Und auch ein Weiterschicken schwangerer Frauen in andere Krankenhäuser ist für die Volkmarser Hebammen keine Option. Die großen Kliniken seien ebenso überlastet. Beachten die Hebammen die geplanten Regeln nicht, können sie ihre Leistungen nicht mehr bei den gesetzlichen Krankenkassen abrechnen. Somit werde es in naher Zukunft wahrscheinlich dazu kommen, dass Hebammen ihre Dienste in Krankenhäusern gar nicht mehr anbieten können, so Hecht. Die langfristige Folge: Noch mehr Geburtsabteilungen werden schließen. Beleghebammen fühlen sich machtlos. Von der Politik im Stich gelassen. Hebamme Sonja Richter fasst zusammen: &bdquo;Uns sind quasi die Hände gebunden. Klar, fragt man sich da, ob dieser Job überhaupt noch Sinn macht." Mit Existenzängsten leben die Hebammen allerdings schon länger. Ständig wechselnde Gesetzeslagen und Vergütungsänderungen stellen die Geburtshelferinnen immer wieder vor neue Herausforderungen. Insbesondere die Versicherungssituation macht es Hebammen immer schwerer. Mittlerweile gibt es in Deutschland nur noch eine Versicherung, die Hebammen aufnimmt. &bdquo;Im Sommer erhöhen sich die Kosten für die Versicherung um 1.000 Euro. Das muss man auch irgendwie bezahlen können", so Grünemei. Das ständige Hin und Her führe dazu, dass die Qualität der Betreuung der Frauen leide, &bdquo;und das ist doch eigentlich das Letzte, was wir wollen". Auch Petra Hecht weiß, dass der Gedanke an die Zukunft wehtut. Trotzdem müsse man sich damit auseinandersetzen, dass es irgendwann keine Hebammen mehr geben werde. Vielleicht laufe es darauf hinaus, dass Väter gecoacht werden, sagt Hecht. &bdquo;Damit sie wissen, was sie bei der Geburt zu tun haben." »Laut Politik sind normale Geburten einfach nicht wirtschaftlich« Existenzängste kennt auch eine weitere Hebamme aus dem Warburger Land (Name der Redaktion bekannt). Seit mehr als 20 Jahren arbeitet die heute 44-Jährige in ihrem Beruf als Hebamme; einige Jahre auch als Geburtshelferin. Mittlerweile hat sie sich selbstständig gemacht und bietet eine Rundum-Betreuung für Schwangere an – allerdings ohne die letztliche Geburtshilfe im Kreißsaal. &bdquo;Man bekommt als Hebamme einfach zu wenig Geld für eine Geburt. Die Politik sagt, eine normale Geburt sei nicht wirtschaftlich – sie lohne sich nicht. Warum lohnt es sich nicht, für neues Leben Geld auszugeben?", fragt sie. Heute macht sie Hausbesuche, Schwangerschaftsvorsorge – ist quasi Tag und Nacht für ihre Frauen da. Nur bei der Geburt ist sie eben nicht dabei. &bdquo;Klar ist das schade, aber ganz ehrlich? Ich bin manchmal fast zwei Jahre mit den Frauen zusammen, vor der Geburt und nach der Geburt. Nur die wenigen Stunden im Kreißsaal nicht – das schadet der Beziehung, die wir aufbauen, nicht." Auch, wenn die Hebamme derzeit in ihrem Job viel zu tun hat, sieht sie langfristig schwarz für sich und ihre Kolleginnen. &bdquo;Wahrscheinlich wird es irgendwann gar keine Kreißsäle mehr geben, weil die Politik sich auf eine Maximalversorgung mit möglichst viel Technik fokussiert – aber eine Geburt ist doch keine technische Sache." Letztendlich sollen Geburten wie am Fließband abgefertigt werden, um möglichst viele Kosten zu sparen: &bdquo;Die Frauen bleiben dabei aber auf der Strecke – und da mache ich nicht mit." Mittlerweile hat sie neben ihrer Arbeit in der Hebammen-Praxis ein Studium aufgenommen, um sich weiterzubilden. Um sich ein zweites Standbein aufzubauen. Für den Notfall. Am 19. Mai entscheidet ein Schiedsstelle Dass bei diesen Rahmenbedingungen der Nachwuchs ausbleibt, liegt auf der Hand. Hebammenschülerin Melissa Rempel hat sich trotzdem für eine Ausbildung zur Geburtshelferin in Marburg entschieden. Zurzeit macht sie im Volkmarser Krankenhaus den praktischen Teil der Ausbildung. &bdquo;Natürlich mache ich mir Gedanken bei diesen Aussichten. Aber das ist der Job, den ich mache möchte. Ich hoffe, dass sich die Lage in den nächsten Monaten entspannt", sagt die 21-Jährige. Am 19. Mai soll eine Schiedsstelle entscheiden, inwieweit die Forderungen des Spitzenverbands in Kraft treten.

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