Steinheimer Einzelhandel am Abgrund: Läden werden in Schwarz gehüllt

Steinheim. Sie hoffen auf ein Wunder – oder vielmehr auf mehr Kunden: Steinheims kleine, inhabergeführte Geschäfte in der Innenstadt schlagen Alarm, wollen auf ihre schwierige Situation aufmerksam machen – und das mit einer ganz ausdrucksstarken Aktion. Immer mehr Innenstädte sterben aus, doch in der Emmerstadt wollen sich die Einzelhändler und Dienstleister &bdquo;nicht kampflos ergeben“, wie sie sagen. Stattdessen wollen sie allen Leuten ab dem kommenden Freitag mal ganz plakativ zeigen, was Steinheim fehlen würde, wenn sie verschwinden würden. Vorweg: Es wäre leer und trostlos. Vor fast genau 106 Jahren gegründet, nämlich am 10. November 1919, steht die Buchhandlung Wedegärtner in der Marktstraße für eine lange Tradition – ein ständiges Plädoyer für das Lesen, stets mit aktuellen handverlesenen Buchempfehlungen aus den ganz verschiedenen Genres. Für Letztere sorgt ein junges Team, das das Geschäft vor sechs Jahren übernommen hat: &bdquo;Es ist ein riesiges Abenteuer“, sagte Sabrina Eikermann schon damals im Gespräch mit der NW. Schlägt man das Wort &bdquo;Abenteuer“ mal im Wörterbuch nach, so liest man von einer &bdquo;mit einem erregenden Geschehen verbundenen gefahrvollen Situation, die jemand zu bestehen hat“ und von einem &bdquo;riskanten Unternehmen“. Dass die Fortführung einer kleinen Buchhandlung in Zeiten des Online-Handels nicht leicht werden wird, wussten auch die Steinheimer Buchliebhaberinnen von Beginn an: &bdquo;Als wir das ’Team Wedegärtner’ ausgerufen haben, war uns vollkommen klar, dass man mit einer kleinen Buchhandlung nicht reich wird – aber es sollte sich zumindest rechnen“, sagen sie. Lesen Sie auch: Steinheim, die heimliche Modehauptstadt im Kreis Höxter? Steinheimer Läden punkten mit Fachwissen Für das Team sei die Tätigkeit in dem kleinen Geschäft mehr Berufung als Beruf und die Emmerstadt ohne Wedegärtner nicht vorstellbar. Zumal es ja auch schon in Nachbarstädten wie Nieheim keine Buchhandlung mehr gibt. Aktuell sieht es aber nicht rosig aus: &bdquo;Aller Ideen, Aktionen, Sparmaßnahmen und sonstiger zur Verfügung stehender Hebel zum Trotz werden wir es mit unserem Geschäft absehbar nicht schaffen, wenn nicht ein Wunder passiert“, sagen Sabrina Eikermann und Rahel Blum. Die Corona-Pandemie, explodierte Kosten, das veränderte Kaufverhalten der Kunden – das macht auch vor Steinheims Traditionsbuchhandlung bislang nicht halt. Dabei: &bdquo;Wir sind so viel mehr als nur ein Laden“, sagt Anne Fricke. &bdquo;Wir sind die, die Bücher wirklich lesen, und keine Sternchenrezension, kein Algorithmus. Wir können fast jedes Buch gleich zum nächsten Tag bestellen. Wir sind die, die wissen, was ein Kieserklock, ein Doppelschnellhefter oder ein Fächerpinsel ist – und das alles sogar vorrätig haben“, sagen die Frauen selbstbewusst. Manchmal seien die Schreibwaren tatsächlich teurer als bei Aldi und Co.: &bdquo;Weil wir deren Einkaufsvolumen natürlich nicht erreichen“, so Sabrina Eikermann. Aber: &bdquo;Dafür haben wir die Schreibwaren das ganze Jahr über da – schnell ein Bogen Tonkarton oder ein paar Lamy-Patronen am Abend vor dem Referat oder der Klausur – bei uns kein Problem“. Auch interessant: &bdquo;So ein Projekt nur einmal pro Amtszeit“: Steinheims Bürgermeister redet Klartext Steinheimer Einzelhändler brauchen ein Wunder Es sind unglaublich viele Argumente, die das Wedegärtner-Team angibt, um für Unterstützung des Geschäfts zu werben. Auch darunter: &bdquo;Wir sind die, bei denen Grundschulkinder ihren ersten Füller ausprobieren können, damit es auch wirklich passt – ganz ohne Beratungsgebühr, dafür mit viel Zeit und Erfahrung“. Wenn gewünscht, setze das Team auch für exotische Kugelschreiberminen alle Hebel in Bewegung, und halte ganz besondere Grußkarten, beispielsweise für Schützenkönige oder zu Beförderungen, parat. Das Problem: &bdquo;Ohne euch Steinheimer geht es nicht weiter“, appellieren die Frauen mit Blick auf die kommenden Jahre ganz direkt an die Bürger, &bdquo;vielleicht behaltet ihr das im Kopf, bevor ihr den nächsten Klick beim großen Onlinehändler macht oder das nächste vermeintliche Schnäppchen irgendwo bei einer der großen Ketten“. Und weiter: &bdquo;Kauft lokal, kommt einfach mal gucken – lasst uns das Steinheimer Wunder schaffen!“ Andernfalls werde es die Buchhandlung auf Dauer nicht mehr geben. Veränderungen im Steinheimer Einkaufscenter: Neues Eiscafé, Umbau und Abschied 20 Schaufenster in Steinheim werden extra traurig dekoriert Etwas, das Sabrina Eikermann, Rahel Blum, Tanja Lippe und Anne Fricke in der nächsten Woche, ab dem 14. November, ein Mal inszenieren werden: Anlässlich der Aktionswoche &bdquo;Lasst uns nicht im Dunkeln stehen“ werden sie das Schaufenster des Ladens ganz in schwarze Folie hüllen, dazu wird es schwarz-weiß Fotos des Teams vor leeren Bücherregalen zu sehen geben. Eine Warnung vor dem Zugrundegehen weiterer Steinheimer Geschäfte. Denn: &bdquo;Steinheim, wir wollen unbedingt bleiben!“, sagen die Frauen. Von der Bücherei Wedegärtner initiiert, haben sich viele weitere Geschäfte und Dienstleister der Aktionswoche vom 14. bis zum 21. November angeschlossen: So werden in der Innenstadt insgesamt knapp 20 Läden ihre Schaufenster entsprechend trist und trostlos einkleiden – von der Rochus-Apotheke bis zum Modehaus Schwager, vom Friseur Stenner bis zur Raumausstattung Lödige. Das alles, um ganz deutlich zu zeigen, wie die Emmerstadt aussehen würde, gäbe es diese Geschäfte bald nicht mehr: leer. Im Überblick: Diese vier großen Wochenmärkte gibt es im Kreis Höxter zu entdecken Warum Veranstaltungen Fluch und Segen gleichzeitig sind Einige Leerstände hat es rund um den Steinheimer Kump bereits gegeben: Die Stadt hat darauf reagiert, indem einige ehemalige Lokale in Kindergärten oder seniorenfreundliche Wohnungen umgebaut wurden und aktuell auch noch werden. Stichwort &bdquo;Quartier am Kump“. Die verbliebenen Einzelhändler und Dienstleister wünschen sich, bei all diesen Veränderungen nicht übersehen zu werden – und das, was sie für ihre Geschäftswelt brauchen: Parkplätze. &bdquo;Wenn Kunden ihre Bücher nicht online, sondern bei uns bestellen und sie am nächsten Tag flott abholen wollen, dann müssen einfach nahe liegende Parkplätze vorhanden sein“, sagen Anne Fricke und Tanja Lippe. Jedes Event in der Stadt, und sei es &bdquo;nur“ der Markt am Donnerstag, sehen sie mit einem lachenden und einem weinenden Auge: &bdquo;Es bringt Leute und Leben in die Stadt, das ist wunderbar“, sagt das Team, &bdquo;aber jedes Mal ist ’unser’ Bereich der Marktstraße eben auch schon lange davor und noch danach für den Verkehr gesperrt – das ärgert die Kunden“. Gemeinsam mit weiteren Einzelhändlern hoffen die Buchhändlerinnen, dass der Wochenmarkt nach Fertigstellung des Quartiers wieder in den unteren Bereich der Straße umziehen wird. Dorthin, wo der Markt florieren kann, aber keine Parkplätze blockiert. 📲 News direkt aufs Smartphone? Hier gehts zum kostenlosen Whatsapp-Kanal der NW Höxter

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