Dieser Steinheimer ist ein Richter aus dem Volk

Steinheim. Gisbert Günther hätte den jungen Polen wohl nicht so lange hinter Gitter geschickt. Dreieinhalb Jahre hat der Mann bekommen, den die Polizei auf einem Rastplatz der A 33 bei Paderborn mit einer Menge Drogen erwischte. Ein Kurierfahrer. &bdquo;Im Grunde ein kleiner Fisch“, sagt Günter. Aber ein Wiederholungstäter. Er wurde in Polen wegen einer ähnlichen Tat verurteilt und in den Knast gesteckt. &bdquo;Das dürfen wir aber nicht mit einbeziehen, weil die Tat in Polen erst begangen wurde, nachdem er in Deutschland erwischt wurde. Er ist damit kein Wiederholungstäter“, sagt der Steinheimer. Er ist seit drei Jahren Schöffe am Landgericht Paderborn, eine Art Richter aus dem Volk, ohne Jurastudium, dafür mit viel Lebenserfahrung. Er hat sich vor drei Jahren freiwillig gemeldet, als die Schöffenstelle neu besetzt werden sollte und wurde aus sechs Bewerbern ausgewählt. Die Zeit war günstig. Mit Eintritt ins Rentenalter hatte er endlich Zeit für eine Leidenschaft, der er als Familienvater, Finanzbeamter und Kommunalpolitiker nicht nachgehen konnte. Für fünf Jahre wurde er zunächst berufen. &bdquo;Mich hat die Arbeit am Gericht schon immer sehr interessiert“, erzählt der 66-Jährige. Er kennt sie bisher aber nur von der anderen Seite. Als Zeuge bei Steuerhinterziehungsprozessen.Etwas völlig anderes Etwas völlig anderes, als nun ganz vorn am Richtertisch, als einer von drei Entscheidern zu sitzen. Das Wort der beiden Schöffen, die bei bestimmten Verhandlungen einem Berufsrichter zugeordnet sind, hat dabei ein großes Gewicht. Sie können nicht nur selbst Fragen stellen, sondern beim Urteil den studierten Juristen auch überstimmen. In der Praxis hat das Gisbert Günther aber noch nie erlebt – auch wenn die Schöffen, mit denen er zusammenarbeitet, häufig wechseln. Feste Teams gibt es nicht. &bdquo;Im Großen und Ganzen sind wir uns einig“, sagt der Steinheimer. Durchschnittlich einmal im Monat hat er Schöffendienst. Wie viele Fälle an einem Tag verhandelt werden, ist dabei höchst unterschiedlich. Je nach Sachlage und Komplexität der zu verhandelnden Taten. Mal ist er schon am frühen Nachmittag wieder zuhause, mal erst am späteren Abend. Eine Aufwandsentschädigung gibt’s zwar auch, &bdquo;aber wegen der macht man das nicht“, unterstreicht Günther. Ihn interessieren die Menschen, denen eine Straftat zur Last gelegt wird, die Lebensgeschichten, die dahin führten. Das berührt ihn bisweilen schon. Manchmal hat er aber auch wenig Verständnis für die Delinquenten. Meist dann, wenn sie keine Einsicht und Reue zeigen. Vorbereiten auf die Tage am Gericht muss er sich übrigens nicht. Er bekommt vorab keine Akten, braucht keine Paragrafen zu studieren. Günther findet das gut. Denn so geht er völlig unvoreingenommen an die Verhandlung ran. Infos kurz vor Sitzung Erst kurz vor Eröffnung der Sitzung wird er über die wesentlichen Gesichtspunkte informiert. &bdquo;Die zur Last gelegte Tat wird ja noch einmal ausführlich in der Anklageschrift erläutert“, sagt der Schöffe. Der Lebenslauf wird ebenfalls in Grundzügen erörtert. In der Verhandlung selbst macht sich Günther kleine Notizen, um auch scheinbar Nebensächliches nicht zu vergessen, ein gesamtes Bild vom Angeklagten und der Tat zu bekommen. Zuhause oder in Beratungspausen schlägt er auch schon mal einen Paragrafen nach, wenn er zwischen Staatsanwalt und Verteidiger eine Rolle spielte. &bdquo;Dann will ich das auch selbst wissen.“ Zurzeit sind es vor allem Berufungsfälle von größeren Drogendelikten, aber auch Verkehrsstraftaten, mit denen er beschäftigt ist. Gern würde er auch in den Bereich Wirtschaftskriminalität einsteigen. Immerhin ist der Bereich Steuern seit Jahrzehnten sein Spezialgebiet. Ob das klappt, weiß er nicht. Vielleicht findet er bald auch mal Zeit, einfach nur als Zuschauer einen größeren Fall zu begleiten. Ob er die Gerichtsfälle mit nach Hause nimmt? Nein, das versuche er zu trennen, sagt Günther. Zumal er neben Familie, Haus, Garten und Kommunalpolitik auch in der Rolle des Opas für den zweijährigen Enkelsohn gefragt ist.Päckchen in der Unterhose Doch so ganz abschalten geht dann doch nicht immer. Manchmal ärgert er sich dann über manches Gerichtsverfahren, dessen Verfahrenskosten in keinem Verhältnis zu der zur Last gelegten Tat stehen. Manchmal wirken auch die Geschichten der verurteilten Täter nach. Wie die des jungen Polen, der als Drogenkurier erwischt wurde. &bdquo;Er will nichts davon gewusst haben“, erzählt Günther. Dabei hatte die Polizei teilweise die Päckchen in seiner Unterhose gefunden. In erster Instanz war er zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt worden. Zu wenig für die Menge an Stoff und zu wenig, um abschreckend zu wirken, fand die Staatsanwaltschaft und ging in Berufung. Günther berichtet aus dem Lebensweg, von achtjähriger Schule ohne Abschluss, Gelegenheitsjobs, Arbeitslosigkeit und großen Geldsorgen. Von der pflegebedürftigen Mutter, um die er sicht kümmert. Und dass sich der junge Mann erst im Sommer verlobt hat. Seine künftige Frau erwartet ein Kind.Neun Monate mehr Trotz allem plädierte auch der Steinheimer für eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung. &bdquo;Zwei Jahre und neun Monate hätten aus meiner Sicht gereicht“, bilanziert Günther. Es wurden nochmals neun Monate mehr. Eine Strafe, die der junge Pole sicherlich nicht ganz absitzen muss. Die Geburt seines Sohnes wird er aber nicht begleiten können und seine Babyzeit nicht miterleben können. Er wurde noch im Gerichtssaal abgeführt.

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