
Höxter. Deutschland in den 1920er Jahren: Nach dem verlorenen Krieg geht es endlich aufwärts. Tanzdielen, Theater, Cafés, Kinos und Varietés schießen wie Pilze aus dem Boden. Man liebt, tanzt und feiert. Und das trotz drohender Wirtschaftskrise und chaotischer politischer Verhältnisse.
Kunst und Kultur sind im Aufbruch, Altes wird über Bord geworfen, Strömungen der Avantgarde erobern das Terrain. Moderner Ausdruck der neuen Freiheit werden die Formen der Art Deco, in der sich unterschiedliche Stilrichtungen vereinen. Zwar teilweise noch den ornamentalen Elementen des Jugendstils verwurzelt, schlägt Art Deco immer mehr eine funktionale Richtung ein. Wie sich gerade die Keramik zum Material für viele Zwecke entwickelt, zeigt die neue Ausstellung im Museum des Hütteschen Haus in Höxter.

Unter dem Titel "Art Deco Keramik - Im Spannungsfeld von Bauhaus und Tradition" entdeckt der Besucher Alltagsgegenstände aus vergangenen Zeiten. Mehr als 100 Exponate vom Eierbecher über den Fischtopf bis hin zur Tortenplatte machen in sieben Räumen mit Jahrzehnten bekannt, in denen plötzlich alles möglich scheint und alles irgendwie und irgendwo passt. Ganz gleich, ob es kess, kitschig, exotisch, erotisch oder einfach nur lächerlich ist.
"Aus Keramik wurde weit mehr hergestellt als Geschirr und Dekorationsartikel", sagt Dr. Corinna Wodarz, leidenschaftliche Sammlerin und Kuratorin der Ausstellung. "Die Designer experimentierten gern und oft mit dem frei gestaltbaren Material. Denn die industrielle und damit preiswerte Fertigung machte es möglich." So entstehen auch Blumentöpfe, Vasen, Kerzenleuchter, Wanddekorationen, Uhren, Schreibsets oder Rauchzubehör.

Nicht zarte Pastellfarben dominieren die Zeit der 20er Jahre, sondern geradezu ein Farbenrausch. Dabei wird Schwarz mit Orange kombiniert oder Orange mit Lila, das gilt für großflächige abstrakte Dekore ebenso wie für kleinteilige, die sich vor allem auf Porzellan finden. Manches ist heute allein wegen der gewagten Farbkombinationen gewöhnungsbedürftig, anderes auch wegen der ungewöhnlichen Dekore und Motive.
Wer durch die Ausstellung in Höxter geht, sieht Tiere, Raubkatzen, Hunde. Affen oder exotische Vögel, Frauen als Tänzerinnen, Exotinnen oder Musikerinnen dargestellt. Sportgestählte Frauenkörper stehen neben Jazzsänger als Repräsentanten einer blühenden Barkultur. Große Figuren sind ebenso vorhanden wie kleinere, die in niedrige Vitrinen von Anrichten passen. Manches wirkt geometrisch stilisiert, anderes kontrastreich gestaltet oder von der afrikanischen, fernöstlicher Kunst beeinflusst.
Formen und Gestaltung sind vielfältig: Gerades steht neben Rundem, Schmales neben Breitem oder Senkrechtes trifft auf Waagerechtes oder Diagonales. Zickzackformen oder Strahlenmotive sind beliebt.
Das im Jahre 1919 von Walter Gropius in Weimar gegründete Bauhaus prägt die Keramik zunehmend. Ziel der Künstler des Bauhauses ist es, erstklassige, funktionale Gegenstände des täglichen Lebens so preisgünstig herzustellen, dass sie möglichst für weite Teile der Bevölkerung erschwinglich sind. So werden die Formen einfacher, strenger, die Dekore schlichter. Ohne Ornament entwickelt sich eine schlichte Gesamtform zur geometrischen Komposition. Das ist oft bei Geschirr der Fall. Die Firma Arzberg gibt noch Mitte der 30er Jahre - das Bauhaus ist längst von den Nazis geschlossen - ein Teeservice heraus, dessen Dekor nur aus einem roten Rand besteht.
Der Reiz der Ausstellung besteht darin, dem Geist des Aufbruchs in den 20er Jahren nachspüren zu können. Kreative Köpfe haben sich von technischen, kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklungen jener Zeit inspirieren lassen, was der Keramik anzumerken ist. Corinna Wodarz hat die Schau noch durch einzelne nette Inszenierungen zur damaligen Mode und Wohnkultur sowie durch zahlreiche Plakate komplettiert.
Vieles wirkt vertraut - denn die Formen des Art Deco überleben noch bis weit in die 50er Jahre - einiges wirkt glamourös, allerdings ist manches eindeutig dem Nippes zuzuordnen oder als Beispiele schlechten Geschmacks. Aber, und das ist die große Stärke des Art Deco, die Dekorationsstücke kommen oft beschwingt daher und besitzen etwas Selbstironisches, so dass so manche Scheußlichkeit verziehen wird.