Höxter

Die neue Hüterin der alten Rezeptur

Claudia Moshage ist in die Fußstapfen ihres Urgroßvaters Luis Otto getreten

07.11.2012 | 07.11.2012, 00:00
Die alte Rindsledertasche hatte schon der Urgroßvater vor fast 150 Jahren als Musterkoffer benutzt. Claudia Moshage hält bei der Wiederauflage des legendären Braccottos ganz auf Tradition. - © FOTO: BURKHARD BATTRAN
Die alte Rindsledertasche hatte schon der Urgroßvater vor fast 150 Jahren als Musterkoffer benutzt. Claudia Moshage hält bei der Wiederauflage des legendären Braccottos ganz auf Tradition. | © FOTO: BURKHARD BATTRAN

Höxter. Vor eineinhalb Jahren hat die Mutter dem Drängen der Tochter nachgegeben und ihr den Schlüssel zu einer Aktendeckel großen Metallkassette übergeben. Darin liegt das Vermächtnis des Urgroßvaters Luis Otto: die 1868er-Rezepturformel zu dem legendären Braccotto, dem einzigen Original-Boonekamp aus dem Kreis Höxter.

Im Übergang vom 19. ins 20. Jahrhundert gab es in Brakel am Bahndamm eine bekannte Schnapsfabrik. Dort hat der Brakeler Destillateur Luis Otto (1844 bis1899) seinen im ganzen Land bekannten Braccotto-Boonekamp hergestellt.

30 Jahre später übernahm Sohn Ludwig Otto (1878 bis 1961) die Produktion und baute den Vertrieb weiter aus. Zwei Kriege waren dann aber eine zu große Belastung für das Unternehmen. Die Schnapsfabrik wurde nicht neu aufgebaut. Aber das Wissen um das Brakeler Wundergetränk mit der magenberuhigenden Wirkung ging nicht verloren. "Meine Mutter war die Hüterin der Rezeptur und hat auch zu großen Festen und auf besondere Anfrage Braccotto hergestellt. Ich kann mich erinnern, dass ich mir schon als Schülerin auf dem König-Wilhelm-Gymnasium gewünscht hatte, auch einmal Braccotto selbst machen zu können, nicht weil ich scharf auf Alkohol war, sondern weil die Gerüche dieser vielen verschiedenen Zutaten mich so fasziniert haben", erzählt Claudia Moshage (45). Aber es sollten noch viele Jahrzehnte vergehen, bis Tochter Claudia selbst Herrin der Rezeptur werden sollte.

Seit Mai ist Braccotto nun wieder offiziell auf dem Markt. Er ist bereits mit dem Kulturland-Gütesiegel des Kreises Höxter ausgezeichnet worden, aber immer noch ein echtes Geheimprodukt. "Das Kulturland-Regal des Rewe-Marktes an der Schlesischen Straße in Höxter ist bisher meine einzige Vertriebsstelle, aber ich bin ja auch gerade erst gestartet und alles ist noch im Aufbau. Mir geht es zunächst einmal nur darum, dass Braccotto überhaupt wieder da ist und diese besondere Familientradition sich fortsetzt", sagt Claudia Moshage.

In einer Gewerbe-Immobilie in Lüchtringen hat die Höxteranerin eine Küche eingerichtet. "Hier habe ich eine sterile Umgebung, kann die Tür hinter mir zumachen und mich in aller Ruhe der Rezeptur widmen", sagt die gelernte Optikerin und Schauwerbegestalterin.

40 Zutaten gehören in den Braccotto, darunter Anis, Koriander, Zimt und Sternanis. Die meisten Bestandteile sind geheim und noch geheimer ist der Produktionsprozess. "In einem Labor ließen sich alle Inhaltsstoffe analysieren, aber man wird nicht sagen können, wie sie hineingekommen sind" sagt Moshage. Sechs Wochen dauert der Prozess der Mazeration, bei dem die Zutaten in genau festgelegten Abständen und Mengen eingefüllt werden.

"Die Grundlage ist Primasprit, ein 96-prozentiger Neutralalkohol. Meine Großväter haben den Getreidealkohol noch selbst destilliert, das mache ich nicht, den kaufe ich fertig ein", erklärt Moshage. Im nächsten Schritt der Perlokation werden langsam destilliertes Wasser und noch einige abschließende Zutaten beigemengt und dann reift der Braccotto nocheinmal vier Wochen ganz in Ruhe aus, bevor er schließlich von Hand abgefüllt wird.

Im 19. Jahrhundert ist Braccotto vor allem als Magentherapeutikum angepriesen worden. Der medizinische Faktor ist heute nicht mehr das entscheidende Verkaufsargument. "Braccotto ist ein idealer Digestiv nach einem guten Essen und es ist ein regionales Traditionsprodukt, dass ausschließlich aus natürlichen Zutaten hergestellt wird", erklärt Claudia Moshage. Das Traditionsbewusstsein nimmt dabei für Claudia Moshage einen besonders hohen Stellenwert ein: "Wenn ich irgendwo hingehe, um Braccotto vorzustellen, nehme ich genau die alte Rindsledertasche, die schon mein Urgroßvater vor fast 150 Jahren als Musterkoffer benutzt hat."