Mafia-Experte: "Mafia-Spuren in Höxter schon in den 1990ern"

Die Ermittlungen laufen ja noch, es steht also noch nichts fest. Aber die Durchsuchungen in Höxter werden von den Behörden ausdrücklich mit der 'Ndrangheta in Verbindung gebracht. Was ist die 'Ndrangheta eigentlich. Und was unterscheidet sie von der Mafia? Sandro Mattioli: Wir sprechen in Italien von vier bedeutenden Mafia-Organisationen und die 'Ndrangheta ist eine von ihnen. Das, was man gemeinhin Mafia nennt, zumindest im italienischen Verständnis, ist die Cosa Nostra auf Sizilien, die 'Ndrangheta ist in Kalabrien beheimatet und entstanden. Dann gibt es noch die Camorra im Raum Neapel und eine kleinere Organisation, aus Apulien, die in Deutschland keine große Rolle spielt. Sie trägt den Namen Sacra Corona Unita. Wenn wir in Deutschland von Mafia sprechen, haben wir immer ein bisschen das Problem, dass es nicht trennscharf ist. Die wichtigste Organisation, die mächtigste und die umsatzstärkste ist aber die 'Ndrangheta. Was könnte eine Organisation wie die 'Ndrangheta in einer Stadt wie Höxter suchen? Die ersten Spuren der 'Ndrangheta in Höxter finden sich schon sehr lange. Es gibt Polizeiakten, die zeigen, dass schon Mitte der 1990er Jahre da Leute gelebt haben mit entsprechenden Verbindungen. Auch Drogen spielten damals eine Rolle. Insofern scheint es für die 'Ndrangheta interessant in Höxter zu sein, sonst wären nicht wieder Leute aufgeflogen. Was will die 'Ndrangheta in Höxter? Ganz allgemein ist es so, dass sie ihre Leute einfach platziert. Das geht schon sehr weit zurück. Es gab schon 1969 eine Entscheidung der gesamten 'Ndrangheta, es ist ja eine einheitliche Organisation. Sie hatten sich versammelt in einem Wald in Kalabrien, dort wurde beschlossen, dass man künftig verstärkt expandieren will. Und verstärkt von legalen Wirtschaftsaktivitäten profitieren will. Damit war der Grundstein gelegt für eine Ausweitung der 'Ndrangheta-Aktivitäten über Landesgrenzen hinweg. Vorher hatte die 'Ndrangheta vorrangig in lokalen und in regionalen Kontexten gearbeitet. Ab dem Moment nahm die Organisation eine andere Richtung. Sie kam in dem Zuge auch nach Deutschland, wann genau wissen wir nicht. Interessant ist Deutschland aus einer Vielzahl von Gründen. Zum einen ist es nützlich, Territorien erst einmal einfach zu besetzen, egal, ob es eine Großstadt ist, oder ein kleiner Ort. In Baden-Württemberg gab es vor rund zehn Jahren eine Polizei-Operation, bei der festgestellt worden war, dass in kleinsten Dörfern 'Ndrangheta-Niederlassungen sind. Das bedeutet Höxter ist kein Spezialfall, sondern eher der Normalfall. Welche Rolle spielt eine Stadt wie Höxter innerhalb der Organisation? Da fehlt mir ehrlich gesagt der Einblick. Höxter ist aber sicher nicht der Nabel der 'Ndrangheta. Zugleich ist es auch so, dass die Größe eines Ortes keine Aussage über seine Bedeutung für die 'Ndrangheta erlaubt. Höxter halte ich für einen Stützpunkt von vielen. Münster ist natürlich bedeutend, gerade wegen der Brüder, die verhaftet worden sind. Die Person in Höxter hatte offenbar Zugang zu diesen Personen, ist also nicht unwichtig. Aber es ist eher so, dass es viele Höxters in Deutschland gibt und viele Personen, die sich auf diesem Level bewegen dürften. Aber was macht die 'Ndrangheta in den kleinen Städten und Dörfern? In solchen kleineren Strukturen ist es relativ einfach mit Lokalpolitik und mit Unternehmen vor Ort in Kontakt zu kommen, sich festzusetzen und Gelder zu investieren und auf die die Art und Weise zur Expansion beizutragen. Oft geht es auch darum, dass man Leute einfach unterbringt, die etwa in der Küche arbeiten. Ist die soziale Kontrolle in diesen kleineren Strukturen nicht viel größer als etwa in einer Großstadt? Das ist, glaube ich, eine Fehleinschätzung. Ich komme selbst aus einem kleinen Dorf. Dort in der Nähe gibt es auch Mafia-Aktivitäten und es ist eher so, dass es die Leute nicht sonderlich interessiert, ob jemand zur Mafia gehört oder nicht. Man macht vielleicht manchmal sogar Scherze drüber aber nimmt es gar nicht als Bedrohung wahr. Es gibt zwar eine gewisse Form sozialer Kontrolle, aber damit wissen die Leute natürlich umzugehen. Nach außen verhalten sie sich sehr konform. Und fallen häufig sogar als besonders freundliche Zeitgenossen auf? Ja, das habe ich auch schon häufiger bemerkt bei Begegnungen mit Mafiosi und Ex-Mafiosi, dass man da bei Mafia-Mitgliedern durchaus eine Janus-Köpfigkeit sehen kann. Sie präsentieren sich gut nach außen, sind sehr freundlich, können aber eben auch umschalten. Die konkreten Personen in Höxter kenne ich nicht. Aber es ist etwas, das viele Leute, die in der 'Ndrangheta tatsächlich drauf haben: Zwei Gesichter zu zeigen. Das eine ist eben häufig sehr freundlich und lustig und symphytisch, aber die Leute können eben auch umschalten, mit absoluter Härte agieren, sie sind eben Teil einer verbrecherischen Organisation. Wie wichtig ist denn die legale Fassade in Form einer Pizzeria? Ich würde sagen, dass es ein Instrument ist. Wenn Sie, egal wo, ein Restaurant haben, kommt meistens auch die Lokalpolitik vorbei, denn die Deutschen gehen gern italienisch essen. Zurecht, eine tolle Küche! Ich spreche jetzt allgemein, nicht speziell über Höxter, weil ich den Fall nicht im Detail kenne. Jedenfalls hat man dann gute Kontakte, das sorgt dann schon dafür, dass man nicht kritisch beäugt wird. Man ist Teil der Stadtgemeinschaft und ist integriert: Man geht zur Feuerwehr oder ist im Schützenverein, ist Teil des Ganzen. Und das hilft extrem, weil es zum einen ein Schutz ist und zum anderen erfährt man dann von Investitionsmöglichkeiten und wird nicht als fremd und verdächtig wahrgenommen. Sondern als der nette Wirt von nebenan. Es gibt genügend Beispiele, wo die Leute diese Kontakte gezielt nutzen, sei es zur Stadtverwaltung oder zur Polizei. >>> Lesen Sie auch den zweiten Teil des Interviews mit dem Mafia-Experten Sandro Mattioli >>> und den Kommentar zur Ndrangheta-Razzia in Höxter: Wir gegen die Mafia

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