Atomkraftwerk Grohnde schaltet ab: Sigurd Elert kämpfte dafür schon mit 15

Beverungen/Kreis Höxter. Am 31. Dezember um kurz vor null Uhr ist Schluss. Das Kernkraftwerk Grohnde wird dann vom Stromnetz abgeschnitten. Vorher bereits wird &bdquo;die Leistung des Kraftwerks schrittweise abgesenkt“, sagt Almut Zyweck, Sprecherin der Preussen-Elektra GmbH, die sich dann um den Rückbau des Kernkraftwerks und der Kraftwerks-Infrastruktur in Grohnde kümmern wird. Das Ende eine Epoche. Gegen die Kernkraft an der Weser hat kaum jemand so intensiv und mit Herzblut gekämpft wie der Wehrdener Sigurd Elert. Ein paar Wochen, nachdem Grohnde abgeschaltet wurde, wird auch der 59-Jährige seine Zelte an der Weser abbauen – anderswo gibt es auch viel zu tun. Ein Rück- und Ausblick. Er war 15 Jahre alt, als die Schlacht um Grohnde geführt wurde: mit Wurfankern und Stahlhelmen auf der einen und mit Schlagstöcken und Tränengas auf der anderen Seite. Sigurd Elert stand auf der Seite der Demonstranten. Als die Bürgerinitiative Weserbergland öffentlich zu einer Großkundgebung am Bauplatz des KKW Grohnde für den 19. März 1977 aufrief, ließ sich der Jugendliche, der damals in Herford lebte und zur Schule ging, nicht zweimal bitten. &bdquo;Ich ging auf das Ravensberger Gymnasium. Ich war damals Vorsitzender der Schülerinitiative für Umwelt und Naturschutz“, blickt der Aktivist zurück. &bdquo;Ich begann damals, mich für die Umwelt zu interessieren. Wir hatten Uhus ausgewildert. Da war irgendwann auch die Atomkraft ein Thema.“ Dem Schüler war rasch klar, dass er was unternehmen wollte.Die Pressestelle der Preussen-Elektra hält an ihrer Einschätzung der Kernkraft als positivem Energieträger fest. Auf Nachfrage der NW erklärt Sprecherin Zyweck, mit der Abschaltung gehe dem Übertragungsnetzbetreiber Tennet, der für die Versorgungssicherheit im hiesigen Netzgebiet zuständig ist, &bdquo;ein regelbares, hoch verfügbares und der Umwelt ein klimafreundliches Großkraftwerk verloren“. Wurfanker, Helme und Regensachen Als Grohnde gebaut werden sollte, entbrannte um den vorgesehenen Bauplatz eine Art Bürgerkrieg zwischen Aktivisten und der Polizei, der in der Schlacht um Grohnde gipfelte. Im Dorf Kichohsen plante die Polizei, den Protestzug, an dem sich mindestens 10.000 Menschen beteiligten, aufzuhalten. &bdquo;Da standen viele Polizisten, aufseiten der Protestler hatten sich besonders die Hannoveraner und Bielefelder sehr intensiv vorbereitet.“ Die Männer und Frauen hatten, berichtet Elert, Wurfanker dabei, trugen Helme und Regensachen. Die Sperren, die die Polizei aufgebaut habe, konnten in &bdquo;sehr kurzer Zeit“ von den Demonstranten aus dem Weg geräumt werden. Die Polizei hielt zunächst mit Wasserwerfern dagegen. &bdquo;Das war für mich als 15-Jähriger schon sehr ungewöhnlich“, sagt Elert trocken.&bdquo;Als ich damals gefordert habe, dass man auf Erneuerbare Energien umstellen soll, hat man mir den Vogel gezeigt“, sagt Elert. Beim Vogelzeigen ist es damals zumindest bei der Schlacht um Grohnde nicht geblieben. Aber auch die Demonstranten nutzten körperliche Gewalt, um ihrer Position Nachdruck zu verleihen. Mit Wurfankern befestigten sie Seile an den Absperrungen, Hunderte zogen daran und rissen die Zäune ein. Was folgte: &bdquo;Die Polizei schoss mit Tränengas und Feuerwehrlöschpulver.“ Damit, so Ehlert, habe man die Gasmasken verstopfen wollen, mit denen die Atomkraftgegner sich vor dem Tränengas haben schützen wollen.Die jetzt mit dem Rückbau der Anlagen betraute Preussen-Elektra vermeldet auf ihrer Internetseite, das Kernkraftwerk sei &bdquo;insgesamt achtmal Weltmeister in der Jahresstromerzeugung“ gewesen und habe dabei zweimal einen Weltrekord aufgestellt. Einen weiteren Rekord halte Grohnde bis heute: Es gebe weltweit keinen einzigen Kraftwerksblock, der mehr Strom erzeugt habe. Irgendwann macht die Polizei den Ausfall Irgendwann, erinnert sich Elert, haben die Polizeikräfte einen Ausfall gemacht: Aus der Lücke, die die Demonstranten gerissen haben, stießen massive &bdquo;Fußtruppen begleitet von Tränengas und Wasserwerfern“ vor und hätte die Demonstranten weit zurückgedrängt. Zeitgleich sei von der anderen Seite eine massive Reiterstaffel vorgeprescht und habe mit Knüppeln auf die Demonstranten eingeschlagen. &bdquo;Ich habe keine schweren Verletzungen davongetragen, ich trug einen alten Wehrmachtshelm“, erinnert sich der Atomkraft-Gegner.Dass die Abschaltung in irgendeiner Form zu Netz-Problemen führt, glaubt die KKW-Sprecherin nicht, betont aber, dass das auch in das Zuständigkeitsgebiet des Netzbetreibers fällt. &bdquo;Wir gehen davon aus, dass der zuständige Übertragungsnetzbetreiber entsprechende Vorsorge getroffen hat. Etwa wurde nach Angaben der Bundesnetzagentur der Block 4 des Kohlekraftwerks Heyden als systemrelevant eingestuft und wird bis September 2022 als Reservekraftwerk eingesetzt.“ Elert sagt mit Blick auf die Schlacht von Grohnde, dass er damals eine Menge über Protestformen und öffentlichkeitswirksame Auftritte gelernt habe. Später dann hat er es umgesetzt: In Gorleben, dort wo ein Atommüllendlager geplant war, baute er 1980 einen Holzturm im Camp der Initiative &bdquo;Freies Wendland“. Der Abriss des Turms, später durch die Polizei durchgesetzt, war öffentlichkeitswirksam und machte weltweit auf das Thema aufmerksam. 18 Jahre war Elert damals, während des Turmbaus zu Gorleben war er nicht in der Schule. Der Mathelehrer rechnete ihm, sagt er, den Bau aber als Projektarbeit an, weil er den Turm mathematisch völlig korrekt geplant habe. Elert setzte weiter auf solche klugen Protestformen. 1986 sind er und fünf weitere Aktivisten aus Herford und einer aus dem Kreis Höxter auf die Plattform des damals größten Kühlturms der Welt am Kernkraftwerk Hamm-Uentrop geklettert – haben ihn besetzt und so auf ihr Anliegen aufmerksam gemacht. &bdquo;Damals, nach Tschernobyl, war uns klar, wir müssen was machen.“ Im Prozess nach der Kletteraktion wird das Verfahren gegen den Aktivisten eingestellt – gegen die Auflage einer Zahlung an den Naturschutzverein Bund. Staunen über neue Positionen Er würde sich jederzeit wieder engagieren, findet aber gut, dass viele seiner Positionen, die damals als radikal galten, heute von der breiten Öffentlichkeit geteilt werden. &bdquo;Alles, was wir argumentiert haben, ist heute übernommen worden. Da staune ich oft drüber“, sagt der 59-Jährige. In rund drei Monaten wird Elert seine Zelte an der Weser abbrechen. Und an die Elbe nach Gorleben ziehen. &bdquo;Ich lebe gern am Fluss.“ Und er liebt es, Leute fürs Paddeln auf dem Fluss zu begeistern. Weil es in Gorleben an der Elbe noch keinen Kanuverleih gibt, hat er eine Aufgabe – und demnächst bestimmt alle Hände voll zu tun. Vor vier Jahren hatte Elert das Buch &bdquo;40 Jahre ’Schlacht um Grohnde’ 1977-2017“ von Bernhard Gelderblom ausgeliefert, das im Verlag Jörg Mitzkat-Verlag (ISBN 978-3-95954-038-4) erschienen ist. Vorbestellt hatten das reich bebilderte Geschichtsbuch damals Veteranen der Schlacht – sowohl Polizisten als auch Aktivisten. &bdquo;An die Auseinandersetzung erinnern sich alle noch sehr intensiv. Das bleibt für alle, die dabei waren, ein Thema“, sagt Elert.

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