Enger/Spenge. Alt- und Jung-Wohnen, Senioren-Hausgemeinschaften, Senioren-Wohngruppen: "Den kleinen Einheiten gehört die Zukunft", meint Günter Busse, Geschäftsführer des AWO Kreisverbandes Herford. Diese "Heime der vierten Generation" in Quartiersnähe erfreuen sich steigender Beliebtheit. In Spenge beispielsweise in der Wohngemeinschaft am Mühlenweg sowie zukünftig auch an der Marktstraße.
Generell überwiegt jedoch der Wunsch, möglichst lange in den eigenen vier Wänden bleiben zu können und das bei guter Gesundheit. Lisa Tiemann ist eigentlich fit. "Wir haben immer gesagt: wenn wir in Rente sind haben wir keine Langeweile. Mein Mann hatte seinen Garten und ich meine Nähmaschine", erzählt die 78-jährige.
Doch vor einem halben Jahr starb ihr Mann, sie selbst leidet an Augenthrombose und kann kaum noch sehen. "Ich bin oft frustriert, weil ich vieles nicht mehr machen kann und ständig um Hilfe bitten muss." Zum Glück wohnt ihr Sohn mit im eigenen Haus in Enger und auch die Nachbarsfrauen haben Hilfe angeboten. Eine Putzhilfe und Einkaufsdienst sind mittlerweile organisiert. In ein Altenheim zu gehen, kann sich Lisa Tiemann partout nicht vorstellen. "Ich bin gern allein. Mit so vielen Menschen zusammen zu wohnen ist nichts für mich", ist sie sich sicher.
Anneliese Kuhn hat sich anders entschieden. Im letzten Herbst ist die 88-jährige von Bielefeld in die Seniorenresidenz "Mathilde" nach Enger umgesiedelt. Die zentrale Lage und die Nähe zu ihrer Stieftochter, die in Enger lebt, gaben den Ausschlag für diese Wahl. "Ich habe abgewogen, was ich aufgebe und was ich bekomme", erklärt Kuhn. "Ich fühle mich wohl hier und werde gut umsorgt."
Doch man müsse "mitarbeiten", sich unterhalten, zuhören. "Ich bin ein positiver Mensch", sagt sie von sich selbst. Sie legt Wert auf eine gepflegte Erscheinung, liest jeden Tag die Zeitung, interessiert sich für Politik und geht spazieren oder shoppen in der Innenstadt. "Ich erobere mir Enger", sagt sie mit einem Lächeln. Mit einer Begleitung, bei der sie sich unterhaken kann, ist sie manchmal ohne Rollator unterwegs. Bis in die Maiwiese. Ihre Einstellung: "Hier gibt es ein hübsches Zentrum, ein gutes Heim - ich bin gut aufgehoben." Natürlich gebe man ein Stück von sich auf, wenn man sein Leben auf ein Zimmer reduziere und sich von liebgewordenen Figürchen, Büchern, einem Teppich oder dem Kaffeeservice trenne.
Günter Busse erklärt: "Die meisten kommen ohne ihr eigenes Zutun in betreute Einrichtungen. ,Wann ist der richtige Zeitpunkt dafür und wer bestimmt den?`, ist eine dramatische Frage auf die es keine generelle Antwort gibt." Der körperliche und geistige Zustand sei ausschlaggebend.
Ein Ausblick: Wer heute 50 ist, habe andere Ansprüche und Möglichkeiten für den eigenen Ruhestand, besagen die Annahmen eines Forschungsprojektes der Deutschen Forschungsgemeinschaft "Deutsche Städte im demografischen Wandel. Wohnstandorte und Lebenskonzepte der künftigen Seniorinnen und Senioren".
Denn diese "neuen" Älteren seien besser ausgebildet, emanzipiert, in politischen und gesellschaftlichen Fragen weitaus bewusster und verfügten über andere Potenziale. Beispielsweise gebe es viel mehr körper- und fitnessbetonte Menschen, die sich mit dem Alter nicht auseinandersetzten, sowie die alternativen 68er, die sich im Alter auch Wohngemeinschaften vorstellen könnten.
Die Ausdehnung der gesunden und mobilen Altersphase werde dazu führen, dass die vielbeschworene Reurbanisierung der Älteren nicht in Sicht sei. Sie würden eher an ihren bisherigen Wohnstandorten festhalten. "Wir reden über unterschiedliche Phasen des Alters", sagt Günter Busse.
Mit Beginn des Ruhestands zählten Autonomie und Action. Irgendwann komme dann ein Knick: Das eigene Haus zu versorgen werde zur Last, Auto fahren schwierig. Der Bedarf an seniorengerechten oder barrierefreien Wohnungen steige, prognostiziert er.
Zugleich rät er der jüngeren Generation vorzusorgen: "Die Standards werden nicht besser, die Renten werden geringer. Doch bei heutigen Erwerbskarrieren ist eine zusätzliche Vorsorge eher Wunschdenken."