Cannabis: Spenger Kinder- und Jugendärztin hat "Bauchschmerzen bei Legalisierung"

Spenge/Enger. Die Ampel-Koalition hat in der vergangenen Woche im Bundeskabinett den Gesetzesentwurf zur teilweisen Legalisierung von Cannabis auf den Weg gebracht. Im Herbst soll er im Bundestag beraten werden. Der Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis soll demnach künftig straffrei sein. Für Minderjährige soll er nach wie vor verboten bleiben. Zudem bestehen laut Bundesregierung Sonderregelungen für junge Erwachsene – mit geringeren Abgabemengen und reduzierten THC-Gehalten. Die NW hat heimische Experten nach ihrer Meinung gefragt: eine Kinderärztin, einen Sozialarbeiter, einen Richter und einen Drogenberater. Die Spenger Kinder- und Jugendärztin Franziska Sudbrak hat "Bauchschmerzen bei der Legalisierung". Cannabis sei nicht gut für die Gehirnentwicklung", sagt sie. Der Konsum könne zu einer "Hirnatrophie" (Gehirnschwund) bei Kindern und Jugendlichen führen. Da die Hirnreifung bei Jugendlichen noch nicht abgeschlossen sei, könne der frühzeitige und regelmäßige Cannabis-Konsum in dieser Lebensphase zum Teil zu anhaltenden Störungen der Hirnfunktion führen und das Suchtrisiko erhöhen. "Im Grunde ist der Konsum von Nikotin, Alkohol und Cannabis bei Heranwachsenden als gleichermaßen schädlich zu bezeichnen", sagt Sudbrak. Derzeit sei der Konsum von Cannabis unter ihren Patienten "kein Thema: "Es kommt zum Glück nur sehr, sehr selten vor." Das sagt der Suchtberater Diakon und Diplom-Sozialpädagoge Uwe Holdmann ist Ansprechpartner der Suchtberatungsstelle Herford. Der Gesetzentwurf habe Schatten- und Sonnenseiten, sagt er. "Durch das Herauslösen von Cannabis aus dem Schwarzmarkt wird es sicherlich nicht weniger Sucht geben." Zunächst sei vermutlich mit einem Anstieg des Konsums - vor allem durch Probierkonsum - zu rechnen: "Das wird sich einpendeln." Uwe Holdmann weist darauf hin, dass sich für Jugendliche durch das Legalisierungsgesetz erstmal offiziell nichts ändere, denn der Gesetzentwurf sieht den straffreien Kauf und Besitz von maximal 25 Gramm Cannabis ab einem Alter von 18 Jahren vor. Die legale Abgabe böte den Konsumenten eine bessere Produktsicherheit als auf dem Schwarzmarkt und könne die Verwendung von Streckmitteln unterbinden. Diese Sichtweise teilt auch Sozialarbeiter Timo Eilers vom Jugendzentrum Charlottenburg in Spenge: "Stoffe wie Schuhcreme verursachen Kopfschmerzen." Suchtberater Holdmann betont aber auch: "Es gibt keinen gefahrlosen Konsum." Diese Botschaft sei das Hauptthema seiner Arbeit. "Mit der Hinwendung zum Cannabis erleben wir auch die Hinwendung zum Risiko Schul- und Arbeitsunfähigkeit bei Jugendlichen." Holdmann betont, dass man bei diesen Fällen allerdings nicht von der Masse an Jugendlichen spreche. Entlastung der Justiz? Bernd Kahre, Richter und Direktor des Amtsgerichts Herford, teilt auf NW-Nachfrage mit: "Die Verabschiedung des Gesetzentwurfs ist nicht in unserem Sinne. Es ist aus Sicht der überwiegenden Mehrheit der Richterinnen und Richter hier im Hause ein ungünstiges Signal für eine Entwicklung, die wir als Justiz eigentlich haben wollen: den eingedämmten Konsum." Auch sehe man keine Anhaltspunkte für den häufig genannten Aspekt einer "Entlastung der Justiz" durch den straffreien Besitz zum Eigenkonsum: "25 Gramm sind eine ganz schön ordentliche Menge zum Zwecke mehrerer Konsumeinheiten. Leider erleben die Richter in ihrem Arbeitsalltag ja jetzt schon, dass es die Tendenz gibt - auch unter jüngeren Menschen - dass Straftaten unter dem Einfluss von Rauschmitteln zunehmen", sagt Bernd Kahre. Dazu zählten unter anderem viele Körperverletzungs-Delikte. "Wenn der Gesetzgeber den Besitz bestimmter Mengen straffrei ermöglicht, werden womöglich auch Teile der Bevölkerung denken: 'Der Konsum ist doch gar nicht schlimm, das kann doch gar nicht so gesundheitsschädlich sein', und noch mehr konsumieren. Das ist natürlich nicht im Sinne des Gerichts", erklärt Bernd Kahre. Eine hohe Anzahl an Straf- und Betreuungsverfahren stünden im Zusammenhang mit dem Konsum von Cannabis. "Und auch psychische Erkrankungen mit einhergehenden Phasen der Hilfebedürftigkeit." Es sei erschütternd zu sehen, wie die Folgen des Konsums einen oftmals noch jungen Menschen für den Rest seines Lebens begleiteten. Aufklärungsarbeit ausbauen "Wir Richter bezeichnen Cannabis durchaus als 'Einstiegsdroge' und sehen, dass Konsumenten geneigt sind, noch mehr und noch 'härtere' Drogen auszuprobieren und dass die Gefahr besteht, noch weiter in den Strudel hineinzugeraten", führt Bernd Kahre weiter aus. Sozialarbeiter Timo Eilers bestätigt diesen Trend: "Seit Jahren finden wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Charlottenburg auf dem Gelände rund um den ZOB immer wieder Verpackungsmaterial von Tilidin und auch chemischen Drogen wie der weltweit verbreiteten Partydroge MDMA." Holdmann und Eilers sind sich einig, dass die Präventiv- und die Aufklärungsarbeit im Zuge der Legalisierung ausgebaut werden müssen. Kahre meint: "Wir warnen vor den gesundheitlichen Folgen und einer insgesamt unguten Entwicklung."

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