Löhne/Yokohama (trau/ulf). Für den Moment kann die Löhnerin Nadine Kaczmarek aufatmen: Sie hat Tokio verlassen und ist in Thailands Hauptstadt Bangkok eingetroffen. Kaczmarek hatte lange vor der Katastrophe einen Urlaub in Thailand gebucht. "Daran ist aber nicht zu denken", sagt die 33-jährige Kaczmarek. "Die Gedanken kreisen ständig um alle Freunde, die Japan nicht verlassen können oder wollen." Sie blickt in eine ungewisse Zukunft. "Ich weiß ja nicht mal, ob es meinen Job am Goetheinstitut in Tokio nach dem Urlaub noch gibt." Das Institut ist derzeit geschlossen. Niemand weiß, bis wann.
Sechs Jahre lang war Tokio Kaczmareks Lebensmittelpunkt. Jetzt hat sie ihre Wohnung im Viertel Roppongi überstürzt verlassen. Ob und wann sie dahin zurückkehrt, ist offen. Der Urlaub dauert zunächst zwei Wochen. "Natürlich will ich zurück", sagt sie und schiebt dann nach: "Aber nicht um jeden Preis."
Der Lebensgefährte der Löhner Japanisch-Dozentin Sigrid Griwer, der pensionierte Kulturjournalist Masaaki Tamura, wohnt in Yokohama, 50 Kilometer südlich von Tokio, verbringt aber jedes Jahr den Sommer in Europa. "Das ist angenehmer als in Tokio", sagt er ganz ruhig im Telefongespräch mit der NW: "Dieses Jahr komme ich etwas früher. Das wäre vielleicht nicht schlecht, habe ich gedacht."
Yokohama sei von dem Erdbeben, dem Tsunami und dem Atom-Unfall kaum betroffen. "Aber so langsam gibt es im Supermarkt nur noch wenig Waren", berichtet Tamura. "Gottseidank habe ich bisher noch keine Stromsperre erlebt." Auch gestern habe es wieder Nachbeben gegeben. "Das hat einigermaßen geschüttelt." Er sei nicht verletzt, beruhigt er sofort. "Aber trotzdem: Wir sind empfindlich geworden."
Der Pensionär folgt angesichts der atomaren Bedrohung den Ratschlägen seiner Lebensgefährtin aus Löhne. "Ich muss nicht nach draußen. Man sagt, es ist dort radioaktiv." So weit er wisse, habe man die Strahlung gemessen: "Im Moment ist keine Gefahr. Trotzdem sollte man lieber zuhause bleiben."
So viel Gelassenheit im Angesicht der dreifachen Katastrophe versucht der Kulturjournalist mit Blick auf die japanische Mentalität zu erklären: "Keine Panik - vielleicht ist das ein charakteristischer Punkt. Wir sind ziemlich gehorsam. Wir haben eine gute Erziehung. Wir Japaner sagen: Schicksal muss man erdulden."
Durch Zeitungen und Fernsehen fühlt er sich gut informiert. "Man berichtet teils kritisch", sagt Tamura. Aber: "Jetzt ist nicht die Zeit für Demonstrationen. Man muss ruhig bleiben und überlegen, was man tun muss."