Löhne. Das gute Gefühl kommt mit der Post. Es ist auf schwarze Kunstseide gebettet und in einer Plastikhülle stoßsicher verstaut. Wenn der Postbote klingelt, steigt die Stimmung bei der alten Dame, das Herz hüpft. Die Vorfreude gleicht einem Rausch. Doch kaum ist die Schatulle geöffnet, lässt das Gefühl schnell nach. Zum Glück verkaufen sie im Fernsehen schon das nächste Schmuckstück, ein Schnäppchen!
Im Sommer hat eine Rentnerin aus Löhne fast täglich Schmuck bei "Juwelo TV" bestellt. Der Fernsehsender aus Berlin verkauft in Livesendungen Edelsteine, Gold und Silber. Mehrere Moderatoren machen den ganzen Tag auf der Mattscheibe in fremden Wohnzimmern nichts anderes, als Schmuck anzupreisen.
Die alte Dame aus Löhne hat das gerne gesehen. Seit ein paar Tagen kann sie es nicht mehr. Ihre Tochter hat den Sender im Fernseher gelöscht. Außerdem hat sie dessen Telefonnummer gesperrt und fängt die Päckchen aus Berlin direkt an der Haustür ab. Rein juristisch beschneidet die Tochter ihrer Mutter damit wohl Freiheitsrechte. Es ist aber auch der verzweifelte Versuch, die alte Dame vor sich selbst zu schützen, denn die Großmutter ist kaufsüchtig. Davon ist jedenfalls die Tochter überzeugt.
Im Sommer hat ihre Mutter fast täglich Schmuck für etwa 100 Euro bestellt. 1.327,95 Euro stehen auf der Abrechnung allein für Juli. Mitte August sind bereits 1.963 Euro fällig. Die Tochter bekommt Angst: "Das kann sich meine Mutter gar nicht leisten." Sie schreibt an den Sender und bittet um Hilfe, um "Schlimmeres zu verhindern". Weil die Großmutter der Tochter eine Vollmacht ausgestellt hat, kann sie das Konto einsehen.
Die Auszüge liegen auf dem Küchentisch neben dem Modeschmuck. Es sind nigerianische Amethyst-Silberohrringe mit dem dazu passenden Anhänger und Ring - ein Geschenk für die Enkeltochter. Die hat das Päckchen angenommen, um es zurückzuschicken. Das mit Oma etwas nicht stimmt, hat sie schnell gemerkt. "Mama, der Postbote kommt schon wieder", hat sie gerufen. Seitdem sind die beiden Frauen überzeugt, dass die Päckchen Unglück bringen. Die drei wohnen alle unter einem Dach. Sie ahnen: Wenn das Geld auf dem Konto nicht mehr reicht, die Forderungen aus Berlin zu begleichen, steht Omas Haus auf dem Spiel. Und damit die Existenz der Familie.
Die Rentnerin bestellt munter weiter, nur im August ist plötzlich Pause. Die Frauen sind in den Kurzurlaub gefahren, um sich zu erholen und über Omas Kaufverhalten zu sprechen. Die Fahrt ist ein Desaster. Die Großmutter will nicht reden und kann nicht abschalten, wirkt nervös. "Das sind Entzugserscheinungen", glaubt die Tochter. Kaum sind sie zurück, bestellt die Rentnerin Schmuck für 240 Euro. Die Tochter sucht händeringend Hilfe, wendet sich an den sozialpsychiatrischen Dienst, auch mit der Suchtberatung der Diakonie in Herford nimmt sie Kontakt auf. Die Voraussetzung für Hilfe ist aber überall gleich: Die Süchtige muss selbst erkennen, dass sie süchtig ist.
Die alte Dame sieht das nicht. Sie hat sich nach einer Krebserkrankung körperlich wieder halbwegs berappelt, die Seele liegt jedoch darnieder. Die Tochter spricht von einer Depression. Shopping im Fernsehen hilft ihr scheinbar über das schwarze Loch hinweg.
Die Tochter hat sich noch ein zweites Mal an den Sender gewandt und die Vermögensvollmacht geschickt. Der Sender reagierte mit höflicher Ablehnung und forderte stattdessen eine notariell beglaubigte Vollmacht. Ein Bestellen "über ein normales Maß hinaus", wie es die Tochter beschreibt, vermag der Sender laut Antwort des Kundenservices nicht zu erkennen. Stattdessen gibt´s gratis einen Rat: Die beiden Frauen sollten "diese Angelegenheit" selbst im Gespräch lösen.
Gegenüber der NW schweigt sich Juwelo TV zu dem Fall aus und verweist auf den Datenschutz. Eine Sprecherin erklärt nur, dass das Kaufverhalten der Kunden "systematisch nach Wert, Anzahl und Frequenz der Käufe ausgewertet" werde. Kunden, "die ein ungewöhnliches Bestellverhalten an den Tag legen", würden vorerst vom Kauf ausgeschlossen. Ab wie viel Bestellungen das passiert, erklärt der Sender nicht.
Die Tochter sieht das Maß jedoch längst überschritten. "Meine Mutter", sagt sie, "hat mir gesagt, ich soll immer ehrlich mit ihr sein." Weil sie Wort gehalten habe, haben sich die beiden nun zerstritten. Dennoch liebt sie ihre Mutter. Sie will sie beschützen und ihre Würde wahren, deshalb sagt sie: "Ich bin lieber ein böses Mädchen, als meine Mutter zu entmündigen."