
Löhne. Wenn ein Unternehmen seine Rechnungen nicht mehr zahlen kann, muss es Insolvenz anmelden. Das passiert häufiger. Aber auch Freiberufler sind betroffen. Der Augenarzt Dr. Ghassan Iskandar mit seiner Praxis in der Lübbecker Straße 20 hat in der vergangenen Woche Insolvenz angemeldet. Iskandars Anwalt erhebt schwere Vorwürfe gegen das Finanzamt Bünde, das den Arzt in die Insolvenz getrieben haben soll. Die Praxis bleibt weiterhin geöffnet.
Dr. Iskandar ist der einzige Augenarzt in Löhne und hat nach eigenen Angaben einen großen Patientenstamm. Er beschäftigt vier Mitarbeiter in Voll- und Teilzeit. Seine Praxis möchte der 71-Jährige an seine Tochter übergeben. Zu der Insolvenz will er sich nicht äußern, sondern verweist auf seinen Anwalt Kai-Uwe Gellermann. Dieser betont in einer Presseerklärung, dass sein Mandant weder überschuldet noch zahlungsunfähig sei. "Er war gezwungen, einen Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen, weil das Finanzamt Bünde aus unserer Sicht völlig rechtswidrig sämtliche Konten, auch die Praxiskonten unseres Mandaten gesperrt hat."
INFO: Zulassung
Seit Anfang 2009 gibt es keine gesetzliche Altersgrenze für Kassenärzte in Deutschland mehr. Das soll dem Ärztemangel vor allem auf dem Land vorbeugen.Ärzte können solange tätig sein, wie sie möchten.
Laut Christopher Schneider von der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe kümmern sich viele Ärzte aber bereits mit Mitte 60 um eine Nachfolge für die Praxis.
Im Gespräch mit der NW erklärt Gellermann: "Dadurch, dass die Konten gesperrt wurden, konnte Herr Iskandar die Gehälter seiner Mitarbeiter nicht mehr zahlen." Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens seien die Konten nun für den Insolvenzverwalter wieder zugänglich. "Dieser verwaltet jetzt die Finanzen. Die Gehälter werden gezahlt und Herr Iskandar ist so nicht mehr gelähmt." Der Anwalt betont auch, dass der Praxisbetrieb wie bisher weiter laufe.
Auch Insolvenzverwalter Matthias Lehmann bestätigt: "Die Praxis wird aufrecht erhalten, auch langfristig." Dr. Iskandar habe ihm gegenüber signalisiert, dass er weiter praktizieren möchte. Lehmann habe nun die Aufgabe, den Geschäftsbetrieb zu stabilisieren. Er sorge dafür, dass die Rechnungen bezahlt werden. Zu den Gründen für die Insolvenz könne er sich noch nicht äußern, da er zunächst alle Bücher sichten müsse.
Dr. Iskandar befindet sich seit vergangenem August in einem Rechtsstreit mit dem Bünder Finanzamt. Dieses ist nach Überzeugung von Iskandars Anwalt verantwortlich für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Die mündliche Verhandlung steht noch aus. Aus der Presseerklärung seines Anwalts geht hervor, dass dieses seit über zwei Jahren keine Steuerbescheide gegenüber dem Arzt erlassen habe.
Ein Steuerberater schätzt es im Gespräch mit der NW als sehr unwahrscheinlich ein, dass ein Finanzamt tatsächlich keine Steuerbescheide verschickt. Eine solche Erfahrung mache er in seiner Berufspraxis nicht, obwohl er den Einzelfall nicht kennt. Das Bünder Finanzamt nimmt zu den Vorwürfen keine Stellung und beruft sich auf das Steuergeheimnis.
Laut Kassenärztlicher Vereinigung Westfalen-Lippe sind Insolvenzen bei Ärzten selten. "Für ganz Westfalen-Lippe sind das etwa 30 bis 40 im Jahr", sagt Pressesprecher Christopher Schneider. Auch er weist darauf hin, dass eine Insolvenz bei Ärzten nicht unbedingt zur Praxisschließung führt. Die Gründe einer Insolvenz seien verschieden. "Auch Ärzte können Fehlinvestitionen tätigen", sagt Schneider.