Leise glitzert der Schnee

Hiddenhausen/Herford. Nur ganz kurz ärgere ich mich: Wieso will es mir nicht gelingen, dieses Glitzern mit der Kamera so einzufangen, wie ich es selbst gerade sehe? Überall auf der großen weißen Fläche vor mir blinkt und funkelt es. Als sei ein Engel in der Nacht über das verschneite Feld geflogen und hätte mit beiden Händen großzügig Sternenstaub verteilt. Auf dem Bild ist davon nichts zu sehen. Aber zum Ärgern ist mir dieser Morgen zu schade – das Foto sieht bestimmt auch ohne Glitzern schön aus. Ein paar Tage nach dem großen Schneesturm steht mein Bulli immer noch zugeschneit auf unserem Hof. Also mache ich mich zu Fuß auf den Weg ins Füllenbruch. In den Siedlungen herrscht eine eigenartig heitere Stimmung. In den Einfahrten schippen die Anwohner Schnee, andere bahnen sich mit ihren Hunden einen Weg durch die Verwehungen, Autos fahren im Schritttempo vorüber. Die Sonne lacht vom Himmel. Und auch die meisten Menschen lachen und grüßen freundlicher als sonst. Das ist zumindest mein Eindruck. &bdquo;Wahrscheinlich sind alle dankbar, dass sie sich mal mit etwas anderem als mit Corona befassen dürfen“, geht es mir durch den Kopf. Mir selbst geht’s ja ähnlich. Ich stapfe durch den Schnee am Vogelholz. Der Düsedieksbach ist von einer Eisschicht überzogen, darunter ist noch ein leises Gluckern zu vernehmen. Wo im Frühling die Rohrweihe brütet, ruht das Schilfmeer nun gänzlich still und starr. Jeder einzelne Halm trägt ein hübsches weißes Häubchen auf seinem Haupte. Hinter mir in den großen Bäumen trommeln zwei Buntspechte, Kohl- und Blaumeisen zwitschern in den Büschen, in einer Weide piept ganz schüchtern ein Gimpelpärchen vor sich hin. In einer Baumkrone sitzt ein Trupp Erlenzeisige Der schmale Weg durch die schneebedeckten Bäume – an Frühlingsabenden erfreue ich mich an dieser Stelle immer am Duft der Schlehen – verströmt nun einen Hauch von winterlichem Märchenwald. Hinter den Bäumen liegt der zugefrorene Tümpel. Wasservögel haben’s jetzt schwer hier. Auch der Eisvogel hat sich zur Nahrungssuche sicherlich schon an die noch offenen Fließgewässer der Umgebung begeben. Andere gefiederte Vertreter sind noch vor Ort und geben sich mit Tiefkühlkost zufrieden: Eine Amsel pickt in einer Wildrose an einer Hagebutte. Erstaunlich zutrauliche Rotkehlchen und Zaunkönige turnen durch das verschneite Dickicht am Wegesrand und suchen nach Samen, ebenso die Heckenbraunelle. In einer Baumkrone sitzt ein Trupp Erlenzeisige. Wo nur wenige Bäume und Büsche den Weg säumen, liegt der Schnee am höchsten. Aber die vielen Spaziergänger haben auch hier schon eine Art Loipe in den Schnee gefräst. Hier und da sind ein paar Feldhasen entlanggehoppelt und haben ihre charakteristisch angeordneten Fußstapfen hinterlassen. In meinem Bart hängen ein paar kleine Eiszapfen Unter meinen Schuhen knirscht der Schnee. Das schönste Knirschen der Welt. Dort, wo vorher Wasser gestanden hatte, klingt’s ein bisschen hohl, manchmal knackt es auch ganz leise. Auf der Füllenbruchstraße sind nur ganz wenige Autos unterwegs. Ich atme tief ein und schaue über das weite Feld in Richtung Heimstättenweg. Alles weiß. In meinem Bart hängen ein paar kleine Eiszapfen. Aber meine Hände sind ganz warm – obwohl ich keine Handschuhe trage. Plötzlich halt ein lautes und ziemlich derbes Fluchen durch die klare Winterluft – eine Frau in Neonjacke rennt übers Feld hinter mir und versucht, ihren großen Hund einzufangen. Ohne Leine. Mitten im Naturschutzgebiet. Und wieder ärgere ich mich ein bisschen. Aber wieder nur ganz kurz. Für mehr ist mir dieser Morgen einfach zu schade.

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