SCHWEICHELN-BERMBECK

Heim-Familie auf Zeit

Wie Ramona von einem vernachlässigten Kind zu einer selbstbewussten Frau wurde

Daniela Marzinczak, hier mit ihrem Sohn Alexander, wird in ihrer Arbeit mit fremden Kindern in ihrer eigenen Familie von Petra Bernhardt, Wolfgang Berg und Dirk Preßler (v. l.) den Koordinatoren für die ausgelagerten Heimplätze, unterstützt. | © FOTO: KIEL-STEINKAMP

24.12.2011 | 24.12.2011, 00:00

Schweicheln-Bermbeck. Es ist ein bisschen wie die Weihnachtsgeschichte: Ein Kind kommt in eine Familie, wächst dort auf. Früh muss es die Familie verlassen, weil es jemand so will. Dieser Jemand ist ein Jugendamt, das Kind ist heute eine junge Frau: Ramona.

Vor zehn Jahren kam sie in die Familie Marzinczak. Sie war damals 10 Jahre alt. Ihre leibliche Mutter in Aachen konnte nach Ansicht des Jugendamtes nicht so für sie sorgen, wie es hätte sein müssen. Damals berichtete Daniela Marzinczak, dass Ramona introvertiert, schüchtern und besonders Männern gegenüber ängstlich gewesen sei. Das habe sich aber bald gewandelt.

Zehn Jahre später ist aus dem Mädchen eine angehende Köchin geworden. Sie ist nun 20 Jahre alt und gerade dabei auszuziehen – nicht freiwillig. "Wenn es nach ihr ginge, würde sie gern noch länger bei uns bleiben", sagt Daniela Marzinczak. Das aber kostet die öffentliche Hand Geld. Denn Ramonas Leben in der Familie Marzinczak ist eines, das wie ein Heimplatz finanziert wird. "Ausgelagerte Heimplätze" heißt das Konzept, dass der Mitarbeiter der evangelischen Jugendhilfe Schweicheln Wolfgang Berg vor etwa 20 Jahren entwickelt hat.

Ziel ist es, Kinder und Jugendliche, die eigentlich in ein Heim eingewiesen werden müssten, in einer Familie aufwachsen zu lassen. "Die Familien sind keine Pflege-Familien", betont Berg. Daniela Marzinczak ist ausgebildete Erzieherin und bei der Evangelischen Jugendhilfe Schweicheln angestellt. "Wenigstens ein Elternteil der aufnehmenden Familie muss pädagogisch ausgebildet sein", sagt Berg, denn die Kinder, die in diesen Familien aufwachsen, müssen pädagogisch-professionell mit den Eigenheiten der oft sehr auffälligen Kinder umgehen können. "Wenn ein Kind beleidigt, muss eine solche Person das einordnen und nicht gleich zusammenbrechen", sagt Berg.

Den Eltern steht ein Netz von Hilfen zur Verfügung. Die drei Koordinatoren der "ausgelagerten Heimplätze" sind für Kind und Eltern rund um die Uhr erreichbar. Es gibt Freizeiten und Wochenenden für die Kinder und Jugendlichen und wenigstens einmal im Monat ein Treffen mit der pädagogischen Fachkraft in der Familie und den Koordinatoren der Evangelischen Jugendhilfe und einem dort angestellten Psychotherapeuten. Die Kinder und Jugendlichen sind mindestens einmal im Monat ein Wochenende in Schweicheln. So sollen die Familien entlastet werden.

Ramona hat die Freizeiten und Treffen mitgemacht. Sie hat sich so in die Familie integriert, dass sie sich am Telefon mit dem Familienname meldet. Neben Ramona und einem weiteren Kind in einem ausgelagerten Heimplatz hat Daniela Marzinczak drei leibliche Kinder: zwei Töchter, 15 und 18 Jahre und einen Sohn 11 Monate.

Die beiden Töchter haben über die Aufnahme der Kinder mitentschieden. Eltern, Töchter, Koordinatoren haben sich die Akten angeschaut, sich geprüft, ob die Kinder in diese Familie oder besser in eine andere passen. Es darf und muss eine emotionale Beziehung da sein und entstehen. "Alle müssen sich aber im Klaren sein, das die Aufnahme eines Kindes eine Beziehung auf Zeit ist", sagt Wolfgang Berg.

Professionell muss Daniela Marzinczak mit dem Auszug Ramonas umgehen. Ihr ist im Gespräch kaum etwas anzumerken, dass Ramona sich verstoßen fühlt, zumal die leiblichen Töchter Marzinczaks da bleiben dürfen. "Ich habe ihr gesagt, sie muss hinaus", sagt die Erzieherin. Marzinczak und Berg sind sich sicher, das die junge Frau mit der Familie in Verbindung bleiben wird. "Ich habe noch Kontakt zu vielen Jugendlichen, die vor 20 Jahren schon in den Familien waren", sagt Berg.