Herford. Raimund B. Arzdorf rutscht auf seinem Stuhl hin und her. Ja klar, die HEW seien durch die Antriebe für Kirchenglocken bekannt geworden. Aber die machten nur noch einen gewissen Teil des Umsatzes aus, sagt der Geschäftsführer des inzwischen 120 Jahre alten Unternehmens. Andere Arten von Spezialantrieben seien die Hauptumsatzquelle.
HEW bedeutet Herforder Elektromotorenwerke. Der Name beschreibt kurz und knapp, was das Herforder Familienunternehmen herstellt: Elektromotoren. Mit dem Begriff eröffnet sich aber eine ganze Welt, auch wenn die begrenzt ist. "Wir bauen keine Gleichstrommotoren", sagt Vertriebsleiter Karsten Schleef. Die seien wiederum eine ganz andere Welt. HEW beschränke sich auf ein Ein-Phasen- und Drehstrommotoren.
Auf den ersten Blick ist das eine einfache Sache. Ein Rotor ohne elektrische Verbindung zur Außenwelt dreht sich in einem Stator, der aus stromdurchflossenen Spulen besteht. Drumherum bauen die Herforder ein Gehäuse. Die Drehzahl eines solchen Motors hängt von der Zahl der Spulen und der Frequenz des Stromes ab. Dann hört die Einfachheit auch schon auf.
In den HEW-Computern sind Pläne von 13.000 verschiedenen Modellen dieser Motoren gespeichert. "Wir stellen nur Spezialmotoren her", sagt Vertriebsleiter Schleef. Das bedeutet nicht, dass ein Auftrag nicht auch einmal mehrere tausend Stück umfassen kann. Manchmal ist es auch nur einer. "Im Schnitt bauen wir pro Auftrag 2,7 Motoren", sagt Geschäftsführer Arzdorf. "Bei den Standardmotoren können wir nicht mithalten", sagt Schleef. Die könnten die Chinesen sehr viel billiger herstellen.
Der Anfang der HEW war ein Elektrizitätswerk. "Das Unternehmen hat damals für ein paar wohlhabende Bürger Strom hergestellt", erzählt Arzdorf. Den Generator für ihr Werk bauten die Gründer selbst. Da sich Generatoren von Motoren prinzipiell nicht unterscheiden, war der Schritt zum Motorenbau nicht weit. Den Weg zu den Läutemaschinen für Kirchenglocken, die auch nur Spezialmotoren sind, war auch kurz. In der Verwandtschaft der Gründer befand sich der Pfarrer Eduard Kuhlo, der die Idee zum elektrischen Antrieb von Glocken hatte.
Besonders leise Motoren mit elektromechanischen Bremsen, zum Beispiel für Opernbühnen und Theatervorhänge, hat HEW an das neue Theater in Paderborn, an die Semper Oper in Dresden, die Oper in Moskau und an das Opernhaus in Muskat im arabischen Oman geliefert. Motoren, die explosionsgefährdeten Umgebungen eingesetzt werden, liefert HEW. Und solche die Staub, Flüssigkeiten und hohen Temperaturen ausgesetzt sind und dennoch stundenlang hohe Leistungen bringen müssen – wie die Motoren in Teigknetern von Bäckereien oder in Rührwerken in Biogasanlagen.
Manche Motoren müssen auch unter Wasser funktionieren wie die bei Wasserrutschen in Freizeitparks. Oder bei großer Kälte wie an den Gaspumpstationen in Sibirien. Oder in großer Höhe, wie die für die Verstellung von Rotorköpfen und -blättern von Windkraftanlagen. "Meistens steht aber nicht HEW auf den Motoren", sagt Vertriebsleiter Schleef.
Das Unternehmen lässt in zwei Werken produzieren. Die Wicklungen entstehen aus Kostengründen in Kroatien. "Die Kroaten haben eine lange elektrotechnische Tradition", sagt Vertriebsleiter Schleef. Andere Bauteile entstehen in Ostwestfalen, zum Beispiel fast alle Gussteile. In beiden Werken arbeiten etwa je 100 Menschen.
Dem Unternehmen gehe es gut, sagt Geschäftsführer Arzdorf. In den vergangenen zehn Jahren habe sich der Umsatz verdoppelt. Arzdorf will zum Ende des Jahres ausscheiden und die Geschäftsführung an seine Nichte übergeben. Sein Grund: "Ich bin jetzt 68 Jahre alt."
Auch unter der neuen Geschäftsführerin wird HEW weiter Läutemaschinen herstellen. "Das ist aber kein Zukunftsmarkt mehr", sagt Arzdorf. Eine Zukunft soll HEW haben.