Herford

Scheiterhaufen für die Literatur

Lesecollage in Erinnerung an die Bücherverbrennung vom 80 Jahren im Zellentrakt

Elisabeth Dohmen hat 17 Gedichte Else Lasker-Schülers vertont, fünf davon trug sie während der Lesecollage anlässlich des 80. Jahrestages der Bücherverbrennung im Zellentrakt vor, anschließend las Renée Claudine Bredt (l.) die Texte vor. | © FOTO: RALF BITTNER

13.05.2013 | 13.05.2013, 02:00

Herford. "Kurt Tucholsky, Bert Brecht oder Erich Kästner - in vielen Medienberichten über die Bücherverbrennung vor 80 Jahren tauchen nur wenige immer gleiche Namen prominenter Autoren ale verbrannte Dichter auf", sagte Helga Kohne, die moderierend durch die Lesung "Aus dem Feuer geholt" führte. Damit erinnerte das Kuratorium Erinnern Forschen Gedenken an die Bücherverbrennung. Im Zentrum drei Autoren, die selten in diesem Zusammenhang genannt werden: Else Lasker-Schüler, Erich Mühsam und Oskar Maria Graf.

Am 10. Mai 1933 wurden Bücher von 250 Autoren in 50 Städten von den Nationalsozialisten in die Flammen geworfen, allein in Berlin brannten im Beisein von Joseph Goebbels 25.000 Bücher. Dieser Angriff galt nicht nur Literaten, sondern auch Malern, Bildhauern, Musikern, Wissenschaftlern oder Journalisten. Viele von ihnen standen auf schwarzen Listen, konnten nicht mehr arbeiten, viele gingen ins Exil oder nahmen sich das Leben. Wer 1945 nach Deutschland zurückkehrte, fand ein Land vor, dass mit ihnen als nichts mehr anzufangen wusste. Der künstlerische Neu- oder Wiederanfang gelang oft nicht, viele Künstler sind bis heute kaum noch bekannt.

Information

Die Ausstellung

Die Ausstellung "Herford gehört(e) dem Führer? Die Nazifizierung des Alltags im Raum Herford 1933 - 1939" ist bis zum 15. Dezember in der Gedenkstätte Zellentrakt, Rathausplatz 1, zu sehen.

Sie ist samstags und sonntags von 14 bis 16 Uhr und nach Vereinbarung geöffnet.

Führungen für Gruppen oder Schulklassen können unter Tel. (0 52 21)18 92 57 oder per Email an info@zellentrakt.de vereinbart werden.

Weitere Infos im Internet auf www.zellentrakt.de

Eine dieser Künstlerinnen ist die Lyrikerin Else Lasker-Schüler. Die Bielefelder Komponisten und Sängerin Elisabeth Dohmen trug fünf von ihr vertonte Gedichte Lasker-Schülers vor, im Anschluss von Renée Claudine Bredt noch einmal als Text vorgetragen. "Alle mein Bleumenwege führen auf dunkle Gewässer", heißt es im Gedicht "Aus meinem Leben" aus dem Jahre 1920. Eine schwermütige Wehmut durchzieht Texte und den Vortrag Dohmens. Lasker-Schüler zählte zu den einflussreichsten deutschen Autorinnen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. "Unsere Töchter wird man verbrennen auf Scheiterhaufen nach mittelalterlichem Vorbild", heißt es in ihrem Stück Artur Anonym, in dem sie 1933 die Judenverfolgung vorwegnahm: "Der Hexenglaube ist auferstanden aus dem Schutt der Jahrhunderte. Die Flamme wird unsere unschuldigen jüdischen Schwestern verzehren." Natürlich setzten die Nationalsozialisten das Stück noch vor seiner Uraufführung 1933 ab.

Friedel Böhse stellte dann die Biografie eines anderen Verfemten vor: Erich Mühsam, Anarchist, Sozialist und Pazifist, bereits 1934 inhaftiert und ermordet. Früh hatte sich sein literarisches Talent gezeigt, schon als Kind schrieb er Fabeln, kurz vor dem Abitur wurde er 1896 wegen sozialdemokratischer Umtriebe von der Schule verwiesen. 1901 zog er nach Berlin, wo er begann, über die Jahre für viele anarchistische Zeitschriften zu arbeiten oder diese sogar herauszugeben. Während des Ersten Weltkrieges wandte er sich an die Soldaten, um sie von der Sinnlosigkeit ihres Tuns zu überzeugen. Ende 1918 gehörte er während der November-Revolution dem Münchener Revolutionären Arbeiterrat an. Nach dessen Niederschlagung folgten ab 1920 Jahre der Haft während der er aber weiter schrieb. So heißt eines seiner Gedichte passend "In der Zelle". Das endet überraschend optimistisch: "Verlern das Warten nicht. Bleib immer Du! Bleib Du!" Er blickte aber auch gern in die frivolen Abgründe der bürgerlichen Gesellschaft mit Texten wie "Folg mir in mein Domizil."

Zwischen den drei den Autoren gewidmeten Blöcken wurden die Namen weiterer Autoren aufgezählt, deren Arbeiten verbrannt wurden. Allein die schiere Zahl macht deutlich, wie total der Krieg der Nazis gegen den "undeutschen Geist" und für den "engstirnigen Nationalismus", wie Oskar Maria Graf das in seinem Brief "Verbrennt mich!" nannte, war. Darin verwahrte er sich dagegen, bei der Bücherverbrennung vergessen worden zu sein. Grafs Protest hatte Erfolg: seine Bücher wurden nachträglich verbrannt.

Mehr als 60 Zuhörer, fast mehr als die Gedenkstätte Zellentrakt fassen, erlebten einen eindrucksvollen Abend, der daran erinnerte, dass das Dritte Reich am 8. Mai militärisch besiegt worden sein mag. Doch viele geistige Traditionen wurden zerrissen und zerstört, und sind bis heute nicht wieder hergestellt, eben nicht unbeschadet "Aus dem Feuer geholt".