Herford. Leopold, Lorenz und Ludwig - so taufte Annette Maria Cadura vor einem Jahr die drei Putten, die Teil des reichen Stuck-Fassadenschmuckes ihres Gründerzeit-Hauses an der Rennstraße 50 sind. Sie hatte sie ins Herz geschlossen, als sie auf Knien in Handarbeit neun Schichten alter Farbe aus den filigranen Federn kratzte. Doch die frisch geweißten Schutzengel waren wohl überfordert: Als im Frühjahr das benachbarte Geschäftshaus abgerissen wurde, erlitt das 120 Jahre alte, frisch renovierte Haus beträchtliche Schäden.
Der Verein für Herforder Geschichte hat gestern den Eheleuten Annette Maria und Marcus Cadura die Pöppelmann-Medaille für die Sanierung des Hauses verliehen. "Wir haben uns gefragt, ob wir unter diesen Umständen die Auszeichnung schon annehmen können", sagen die Caduras. "Aber wir haben uns sehr, sehr gefreut, dass unsere Arbeit zum Erhalt des Hauses so anerkannt wird."
Die Zahl können sie selbst kaum glauben. Rund 7.000 Stunden eigener Arbeit haben die Caduras in sechs Jahren in die Sanierung des Hauses gesteckt - nach Feierabend, an Wochenenden und im Urlaub. "Gerade die zeitaufwendigen, feinen Sachen haben wir selbst gemacht, sonst wäre es unbezahlbar für uns gewesen." Ohne Handwerker ging es dennoch nicht.
Warum haben sie die Mühe auf sich genommen? "Es ist die Freude am Baudenkmal und ein Faible für Geschichte", sagen die Caduras. "Wir sind selbst in Herford geboren, unsere Familien stammen aber nicht von hier. Über das alte Haus wollen wir uns mehr mit der Herforder Geschichte verbinden."
2006 stand das geschichts- trächtige Handelshaus zum Verkauf. Die Caduras sahen die Adresse fast am Alten Markt als guten Standort für das Optiker-Geschäft von Marcus Cadura an und griffen zu.
Den Vorteil der zentralen Lage hatten Generationen von Kaufleuten vorher zu schätzen gewusst. 1893 eröffnete Paul Haase ein Geschäft für Tapeten und Stuckelemente.
Wohl als beste Werbung für sein Sortiment hatte Haase im typischen gemischten Stil der Gründerzeit allerlei Stuck am sonst rot verklinkerten Haus anbringen lassen. "Die Säulen, Engelchen und Ornamente waren keine Kunstwerke, sondern vorgefertigt zu kaufen", haben die Caduras vom Experten Matthias Polster erfahren. Das Geschäft mit dem Stuck muss dennoch versiegt sein. Haase wurde Kompagnon der "Zuckerwaaren- und Chocoladenfabrik Marmelstein und Haase". Das Tapetengeschäft übernahm Walter Fouquet.

Namen bekommen,die Stadtführerin Jana Budek vorgeschlagen hat. | © FOTO: FRANK-MICHAEL KIEL-STEINKAMP
Von 1920 bis 1930 stellte "Mieze" Kuhlmann in ihrer Putzmacherei im Haus Hüte her. Bis 1939 gab es bei Radio Remmert wohl den Volksempfänger zu kaufen. Es folgte die Buchhandlung Friedrich Kortkamp mit verschiedenen Inhabern. Nach 1995 wurden zehn Jahre lang im Laden Schnäpse und Liköre vom Fass gezapft.
Im Juni 2007 sind die Caduras mit dem Geschäft eingezogen, nachdem sie unter anderem das Erdgeschoss und das hölzerne Treppenhaus renoviert hatten.
Die Fassade musste noch warten. Die wurde im vergangenen Jahr fertig gestellt. Die Krönung war der Einbau der Dachgauben aus Zinkblech , die die spezialisierte Metalldrückerei und Spenglerei Müller aus der Gegend von Leipzig in ihrer Werkstatt vorgefertigt hatte. Viel Arbeit liegt noch vor den Caduras.
Wenn - hoffentlich noch vor dem Winter - nach Klärung von Rechtsfragen der beschädigte Teil des Obergeschosses abgetragen und denkmalgerecht wieder aufgebaut sein wird, haben die Freizeit-Restauratoren vielleicht den Kopf wieder frei, um an den weiteren Ausbau der oberen Stockwerke zu denken.