Medikamenten-Missbrauch im Kreis Herford: Als ein 23-Jähriger für immer einschlief

Kreis Herford. Felix war 16, als ihm - unter dem Blick seiner Eltern - ein kleines Tütchen Haschisch aus der Tasche fiel. Seine Eltern machten sich Sorgen, Mutter Manuela (alle Namen geändert) ging mit ihm zur Drogenberatung. Er habe die Beraterin "platt gelabert", sagt sie. Die Frau habe hinterher zu ihr gesagt: Machen Sie sich keine Sorgen. Haschisch ist keine Einstiegsdroge. "Du denkst, das ist eine Phase", sagt Manuela. Felix schlief in der Nacht zum 31. August 2022 in seinem Elternhaus ein und wachte nie wieder auf. Da war er 23 Jahre alt. Seine Eltern hatten sich in der Woche einige Tage Auszeit gegönnt, als sie an diesem Mittwoch von Felix' Oma die Nachricht erhielten: Kommt nach Hause, Felix ist gestorben. Der junge Mann hatte den Abend mit einem Freund verbracht. Als er ihn kennengelernt hatte, hatte er seiner Mutter noch begeistert von ihm erzählt, dass dies jemand sei, der keine Drogen nehme. Das stimmte nicht. Am Vorabend zu jenem Mittwoch müssen beide etwas genommen haben, Felix schlief dann in einem Sessel im Wohnzimmer ein. Als er später nicht aufzuwecken war, legte sich der Freund in Felix' Zimmer schlafen. Am nächsten Tag wollte er seinen Kumpel wecken, da war es bereits zu spät. Sie hätte ihn gerne noch einmal in dem Sessel im Wohnzimmer sitzen sehen, sagt Manuela. Aber der Bestatter hatte Felix zehn Minuten vor ihrer Rückkehr abgeholt. Felix studierte Soziale Arbeit, und das sehr gern Felix hatte ein ganz normales Leben, sagt Manuela. Er habe bei ihnen, den Eltern, gewohnt, im eigenen Malerbetrieb eine Ausbildung gemacht - und die, obwohl sie ihm nicht lag, mit viel gutem Zureden auch erfolgreich beendet. Mit 22 Jahren begann er ein duales Studium "Sozialer Arbeit". Er hatte Spaß daran, brachte Bestnoten mit nach Hause und arbeitete drei Tage in der Woche in einer Kita. Psychisch ging es ihm jedoch nicht gut. Felix war immer schon sehr sensibel und hilfsbereit, "er hat mehr an seine Freunde gedacht, als an sich selbst", sagt Manuela, er habe aber aber auch viel an sich gezweifelt, war wenig selbstbewusst, verunsichert, ängstlich und sah sich selbst als das schwarze Schaf der Familie. Das sei er nicht gewesen. In Felix' Freundeskreis konsumierten zunächst alle mehr oder weniger häufig Drogen. "Wie oft wir mit ihm gesprochen haben . . .", sagt Manuela. Anfangs habe er gar nicht aufhören wollen, es sei ja nur Haschisch, habe er gesagt. Später, schon älter, änderte sich das: "Mama, mach dir keine Sorgen, ich hab das im Griff und höre jetzt auch auf", sagte er dann. Das schaffte er nicht. Als er Anfang 20 war, fiel sein Tabletten-Konsum auf Einmal war Manuela mit Felix bei einem Kinderpsychologen. Felix habe ihm dann gesagt: "Kann ich mal mit Ihnen alleine sprechen?" Der Kinderpsychologe kam nach dem Gespräch zu Manuela und sagte: "Wir haben keine Chance, ihr Sohn will keine Hilfe." "Vielleicht hätten wir ihn damals, als wir noch Einfluss nehmen konnten, in eine Psychiatrie einweisen müssen." Aber das Verhältnis zu ihrem Sohn sei immer sehr gut gewesen. "Und wenn das Kind vorgibt, es sei alles in Ordnung . . ." Später hätten sie viele Tipps bekommen, immer wieder hieß es: Schmeiß ihn raus, er muss erst ganz tief fallen. "Aber wenn er dabei ums Leben gekommen wäre, hätten wir uns noch mehr Vorwürfe gemacht." Felix war Anfang 20, als Manuela und ihr Mann mitbekamen, dass er Tabletten nahm. Auffällig sei in dieser Zeit gewesen, dass sich die Musik veränderte, die er hörte. Jetzt waren es Deutschrapper, die Drogen verherrlichten. Felix erzählte seinen Eltern: Wenn er die Tabletten nehme, fühle er sich wie in Watte eingepackt. Alles sei einfach, er habe dann keine Probleme, auf Menschen zuzugehen. "Ich denke, durch das ganze Zeug hat mein Sohn nie gelernt, seine Probleme selbst in die Hand zu nehmen und zu lösen." Felix nahm Psychopharmaka und Narkosemittel Felix nahm Benzodiazepine, die eigentlich als Psychopharmaka eingesetzt, aber gerne als Partydroge missbraucht werden. Benzodiazepine wirken angstlösend, beruhigend, muskelentspannend und schlaffördernd. Das Fatale: Sie machen schnell abhängig, und dosisabhängig dämpfen sie die Atmung. Werden sie nur kurzzeitig und ausschließlich genommen, gilt das als unproblematisch. Bei gleichzeitigem Alkoholkonsum oder der Einnahme von Opioiden ergibt sich jedoch ein toxischer Cocktail. Erstickungssymptome treten auf. Das endet nicht selten tödlich. An die Benzodiazepine kämen die jungen Leute viel zu leicht ran, sagt Manuela. Sie fälschten einfach die Rezepte. Erst Anfang August flogen vier Personen bei dem Versuch auf, als sie sich mit gefälschten Rezepten die Partydroge in Apotheken beschaffen wollten, einer in Herford, drei in Melle. Ketamin, ein Narkosemittel, wird ebenfalls gerne als Rauschmittel verwendet - wegen seiner halluzinogenen Wirkung. Es kann jedoch Panikattacken und Psychosen auslösen, denen die jungen Leute dann wiederum mit Benzodiazepinen begegneten, so Manuela. Sind sie hingegen auf Entzug, kann das die Psychosen erst auslösen. Ein Teufelskreis. Es dauerte zu lange, bis er den Therapie-Platz bekam Und auch an Ketamin kommen die Betreffenden ran: Oft reiche es, verschiedenen Ärzten erfundene Krankheitsgeschichten mit Angst- und Schlafstörungen zu erzählen, sagt Manuela. Auch auf der Straße gibt es die Tabletten, dann oft in verunreinigter Form, wodurch sie noch einmal gefährlicher sind. Felix hat noch einen Entzug gemacht. Seine Abhängigkeit war einer Bekannten aufgefallen, die ihm gut zugeredet hatte. "Wenn ich es jetzt nicht schaffe, dann überlebe ich das nicht", hat er damals einer Freundin aus der Klinik geschrieben. Am 31. Mai 2022 wurde Felix aus dem Entzug entlassen. Eine Psychotherapie stand ihm noch bevor. Auf den Tag genau drei Monate danach schlief Felix für immer ein. Es hatte zu lange gedauert, bis ein Therapie-Platz für ihn frei wurde.

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