Kampf um Herfords historische Häuser: Aktivisten warfen Politik "Abrisswahn" vor

Herford. Der vom Stadtrat einstimmig beschlossene Abriss des Friedrichs-Gymnasiums an der Brüderstraße brachte 1972 das Fass zum Überlaufen. Herforder Bürger schlossen sich vor 50 Jahren zur "Bürgerinitiative zur Erhaltung des charakteristischen Stadtbildes" zusammen, um dem von ihnen empfundenen "Abrisswahn der Politik" der 1970er und 1980er Jahre etwas entgegenzusetzen. Damals klebten sich die Aktivisten zwar nicht an Häusern fest. Aber sie hatten mit konstruktiven Aktionen an vielen Stellen Erfolg. So im Kampf um die Alte Post am Stephansplatz, das Kantorenhaus am Münster und die alten Fachwerkgebäude an der Komturstraße 9 und 10. Beim Grünkohlessen des Vereins für Herforder Geschichte hat jetzt Mathias Polster in einem Vortrag mit historischen Fotos das Geschehen und seine Vorgeschichte flott nachgezeichnet. Als Gast war Wulf Lakemeier in seiner alten Heimatstadt zu Besuch, Zeitzeuge als einer der Aktiven der damaligen Zeit. Innenstadtring "Am 28. September 1956 beschloss der Rat den Bau einer mehrspurigen Verbindungsstraße, die als Ring die Stadt durchziehen und umschließen sollte", begann Polster seinen Rückblick. 1959 wurde mit dem ersten Bauabschnitt der Berliner Straße von der Hämelinger Straße bis zur Petersilienstraße begonnen. Viele alte Gebäude fielen der Schneise zum Opfer. Die Lübberstraße wurde später durchschnitten, die Fidelenstraße verlegt und die Rosenstraße (heute hinter dem Parkhaus Neustadt) gedreht. Die Bergertormauerstraße ist ganz verschwunden. Lindwurm Der Beirat für Stadtbildpflege habe den Bau der Wohnblocks "Lindwurm" seinerzeit für keine gute Idee befunden, sagte Polster. Der Architekt aber habe betont, der Bau solle wirken wie eine Stadtmauer. Polster: "Das ist ihm auch gelungen." Crüwellhaus Das Crüwellhaus von 1589 an der Lübberstraße 17 (heute Neue Westfälische) und ein klassizistisches Nachbarhaus wurden im August 1957 trotz heftigen Protests des Landeskonservators abgebrochen. Ein Denkmalschutzgesetz gab es im Land noch nicht. Für den Abbruch wurde sogar eine "Gesellschaft zur Förderung der öffentlichen Interessen" gegründet. Bowerre Im April 1960 beschloss der Stadtrat, die Bowerre zuzuschütten - nach Polsters Recherchen, um die Kosten für Brückensanierungen zu sparen. Herford als "Klein-Venedig" war Jahre später Geschichte. Hämelinger Straße 2 1961 ließ die Stadt das Haus Hämelinger Straße 2 abreißen. Die Stadt hatte das Haus mit einem vierfach vorkragenden Fachwerkgiebel und reichem, historischem Inventar nach dem Zweiten Weltkrieg von der Stiftung Friedrich und Elise Menge geschenkt bekommen mit der Maßgabe, es in ein Museum zu verwandeln. Darüber setzte man sich hinweg. Museumsdorf am Münsterkirchplatz 1964 schlug Stadtbaudirektor Walter Fiereck in einem VHS-Vortrag vor, die Schule (heute VHS) am Münsterkirchplatz abzureißen, erhaltenswerte historische Häuser in der Stadt abzubauen und hier in einer "Traditionsgruppe" wieder aufzubauen. Fast hätte es auch die Alte Post am Stephansplatz und das Kantorenhaus erwischt. Es gab Pläne, die Gebäude abzureißen, damit die Busse, die damals noch zwischen Rathaus und Münsterkirche unterwegs waren, nicht unzumutbare Kurven fahren müssten. Hagenhaus 1966 ließ man das Hagenhaus an der Rennstraße 47/Ecke Alter Markt gegen "erbitterten Widerstand" abreißen. Es war damals Herfords ältestes weltliches Haus gewesen. Es entstand ein Neubau in Plattenbau-Optik. "Es gab damals schon ein Bauchgrummeln in der Stadt, dass es so nicht weiter gehen könne", weiß Polster. Friedrichs-Gymnasium Das alte Friedrichs-Gymnasium 1869 war zu klein geworden und die Stadt errichtete einen Neubau in den Werregärten. Es gab Überlegungen, aus dem klassizistischen Bau ein Museum zu machen, doch der Wunsch, mit dem Kaufhof ein modernes Einkaufszentrum zu bekommen, überwog und führte trotz Protesten zum Abriss. Gründung Bürgerinitiative "Da gab es Aufruhr in der Stadt und aus einer emotionalen Bewegung gründete sich eine Bürgerinitiative", sagt Polster. Dazu gehörten angesehene Bürger wie die Unternehmer Jan Ahlers, Cord Huchzermeyer und Dieter Ernstmeier. Gerettet wurde die Alte Post, indem die Aktiven in einer Blitzaktion ein Gerüst aufbauen ließen, selbst die Fassade säuberten und dem architektonischen Schmuckstück wieder Glanz verliehen. So kam es zu einem Umdenken. Ein nach Meinung Polsters anspruchsvolles Projekt war die Wiederherstellung der historischen Fassade des Neustädter Rathauses, für die 250.000 Mark an Spenden zusammengetragen wurden. Fallen sollten zugunsten des noch länger geplanten Lindwurms auch die vermeintlich abgängigen, verputzten Fachwerkhäuser an der Komturstraße 9 und 11. Das Freilegen des Fachwerks 1979 brachte einen Sinneswandel im Rat. Zeitzeuge ließ Taten folgen Wulf Lakemeier war nach dem Studium 1974 zurück nach Herford gegangen und war "erschüttert von der Abbrecherei". Er erinnert sich auch an einen "Leserbrieforkan". "Damals war ich noch jung", sagt der heute 78-Jährige. "Mir war das alles zu theoretisch, was die machten. Da mussten Taten folgen." Er nimmt für sich in Anspruch, die reiferen Herren aufs Baugerüst gebracht zu haben. Er erinnert sich gern, dass die Initiative viel Rückenwind von den Zeitungen bekam. Lakemeier ging 1993 nach Schieflage eines eigenen Betriebes als Bauingenieur nach Karl-Marx-Stadt/Chemnitz und gibt - bärtig wie er ist - noch immer bei Stadtführungen den Autoren des "Kapital". Wenn er heute nach Herford kommt, ist er froh, dass die Häuschen an der Komturstraße noch stehen. Polster und Lakemeier verstehen sich gut. Mathias Polster stammt aus Chemnitz, kam nach der Wende nach Herford und ist hier der wohl bekannteste Stadtführer.

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