Patient klettert über den Zaun der Psychiatrischen Klinik Herford

Herford. Die geschlossene Abteilung der Psychiatrischen Klinik des Klinikums Herford ist offenbar weiterhin alles andere als geschlossen. Am vergangenen Freitag floh ein weiterer Patient über den Zaun. Er ist weiterhin nicht zurück, aber nach Aussage von Maren Thäter, Vorständin des Klinikums, weder Fremd- noch Selbstgefährder. +++UPDATE: Entwichener Patient ist wieder in der Psychiatrie+++ Die Station 5 der Psychiatrischen Klinik steht in der Kritik, seit am 26. Januar ein 40-jähriger Patient über den Zaun kletterte und wenig später einen Bekannten mit Messerstichen lebensgefährlich verletzte. Der Täter leidet - das wurde im Juli vor dem Landgericht Bielefeld bekannt - an einer paranoid-halluzinatorischer Schizophrenie. Er hatte seine Tabletten eigenständig abgesetzt und sich in die fixe Idee hineingesteigert, sein Freund wolle ihn vergiften. Das Messer des Täters durchbohrte unter anderem die Lunge des Opfers. Der Verletzte wurde durch eine Notoperation gerettet. Der jetzt Geflohene ist zwischen 30 und 40 Jahren, so Thäter, und habe sich bereits seit einige Wochen in der Psychiatrie befunden. Am Donnerstag hatten eine Richterin, Vertreter der Psychiatrischen Klinik und der Betreuer des Mannes die Verlängerung seines Aufenthalts in der Einrichtung besprochen. Thäter zufolge ist der Patient medikamentös eingestellt, aber noch nicht so weit wieder belastbar, selbstständig leben zu können. Von einem Aufenthalt außerhalb des Geländes kehrte der Mann nicht zurück Je nach Belastbarkeit geben die Psychologen den Patienten Freiräume: Das beginnt mit einem eins zu eins betreuten Aufenthalt im umzäunten Garten der Klinik. Klappt das, darf der Betreffende auch mal allein in den Garten, später zunächst für eine Stunde außerhalb der geschlossenen Einrichtung in die Stadt. "Belastungserprobung" heißt das im Fachjargon. Klappt das nicht, würden Öffnungsschritte zurückgenommen, so Thäter. Noch am Donnerstag, als die Aufenthaltsverlängerung des Mannes in der Klinik beschlossen wurde, erlaubte ihm eine Psychologin einen einstündigen Aufenthalt von 16 bis 17 Uhr außerhalb des Geländes. "Im Vorfeld hatte er die Grenzen eingehalten", sagt Thäter. Dieses Mal kehrte der Mann nicht zurück. "Es ist nicht unüblich, dass Patienten erst nach zwei oder drei Stunden zurückkommen", so die Vorständin des Klinikums. Die Psychiatrische Klinik meldete der Polizei um 19.20 Uhr das Verschwinden des Mannes, wie Polizeisprecherin Simone Lah-Schnier bestätigt. Polizeibeamte trafen ihn nachts bei Verwandten in Osnabrück an und brachten ihn gegen 4.30 Uhr zurück in die Herforder Psychiatrie. Der Patient kletterte vor den Augen des Klinikpersonals über den Zaun Nach dem absprachewidrigen Ausflug wurde ihm bei seinem täglichen, einstündigen Aufenthalt im Garten am Freitag erneut eine Betreuung an die Seite gestellt. Vor deren Augen, so Thäter, nahm der Mann Anlauf und kletterte über den 2,50 Meter hohen Zaun. "Offenbar ist das für einen jüngeren Patienten keine so große Herausforderung." Sein Betreuer habe ihn nicht festhalten oder wieder runterziehen können, weil er sich dadurch hätte verletzen können. In Absprache mit der Polizei hätten sie dann aber von einer erneuten Fahndung abgesehen, weil keine Gefahr der Selbst- oder Fremdverletzung bestehe. "Davon sind wir weiterhin überzeugt", sagt Thäter. Sollten neue Erkenntnisse eine Fahndung nötig machen, würden sie den Mann suchen lassen. Über den neuerlichen Fall einer so genannten Entweichung informierte gestern Rechtsanwalt Christian Thüner das Gesundheitsministerium. Seit Thüner den Täter vertritt, der im Januar einen Mann niedergestochen hat, ist er Anlaufstelle für viele, die Kontakte mit der Psychiatrischen Klinik haben. "Es reicht", sagte Thüner. Er wolle nicht demnächst wieder jemanden in einer Strafsache verteidigen müssen, die vermeidbar wäre. Das Gesundheitsministerium teilte gestern mit, dass es den Fall prüft. Christian Thüner hat das Leid vor Augen, dass die Entflohenen verursachen Der Herforder Anwalt hat unterdessen das Leid vor Augen, das die Täter verursachen. "Da werden Existenzen zerstört." Thüner hat nach eigenen Angaben allein vier Mandanten, die während ihres Aufenthaltes in der geschlossenen Abteilung der Psychiatrischen Klinik Straftaten begangen haben, vorzugsweise Diebstähle im nahe gelegenen Supermarkt. "Sie nennen das 'zum Einkaufen gehen'", sagt Thüner. Für den Leiter des Supermarktes, der einem der Diebe hinterhersprintete, stürzte, sich dabei verletzte und wochenlang nicht mehr arbeiten konnte, sei das alles nicht mehr nachvollziehbar. Und die Psychiatrie tue nichts. Thäter zufolge hat es 2020 eine Häufung von Entweichungen aus der Station 5 der Psychiatrischen Klinik gegeben, die aber mehrheitlich auf einen Patienten zurückzuführen gewesen seien. Im Jahr darauf sei es ruhiger gewesen, bis es Anfang 2022 zu dem "bedauerlichen" Zwischenfall kam, der zu der lebensgefährlichen Verletzung führte. Im zweiten Quartal dieses Jahres floh ein Patient durch ein nicht richtig verschlossenes Fenster, ein anderer, indem er eine elektrische Türverriegelung kurzschloss. Von weiteren Fällen seit April hat die Psychiatrische Klinik Thäter zufolge keine Kenntnisse. Vor Jahren war bereits der Boden unter dem Zaun betoniert worden, damit keine Patienten unter ihm hindurch krabbeln können. Im Frühjahr wurden Stühle und Tische, die Patienten an den Zaun schoben, um ihn leichter überklettern zu können, angeschraubt. Auch die Eins-zu-Eins-Betreuung im Garten führte die Psychiatrische Klinik ein. Das Unternehmen hat die Erhöhung des Zauns für Herbst zugesagt Ohne eine Erhöhung des Zauns gehe es aber offenbar nicht, wie Thäter sagt. Der Auftrag sei bereits vergeben, die Umsetzung für Herbst zugesagt. Der Zaun soll dann auch oben nach innen gewölbt sein, so dass es schwierig wird, ihn zu übersteigen. Weil er statisch sicher sein müsse, habe die Erneuerung eine gewisse Vorlaufzeit gehabt. Thüner zufolge hatte Stephan Blaschke, der Leiter der Psychiatrischen Klinik, das in der Vergangenheit abgelehnt, weil sich eine Kommission dagegen ausgesprochen hatte. Ihr gehören unter anderem eine Vertreterin der Bezirksregierung an, ein juristischer und ein psychologischer Sachverständiger an. Die Kommission habe Stürze der Patienten befürchtet. Blaschke hatte zudem argumentiert, dass die Station keine forensische Psychiatrie sei. Die Art der Unterbringung setze freiheitsentziehenden Maßnahmen rechtliche Grenzen. Thüner warf er demnach vor, in der Bevölkerung Ängste zu schüren, was der Herforder Anwalt aber von sich weist. Blaschke war gestern nicht zu erreichen. Im Juni machten, Thüner zufolge, Vertreter des Gesundheitsministeriums in der Psychiatrischen Klinik einen Überraschungsbesuch - und im Nachgang eine Ansage. Seither wartet der Rechtsanwalt auf einen höheren Zaun.

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