Der Wunsch nach Live-Übertragung im Internet weckt Ängste

Herford. Wichtige Themen haben Herfords Bau- und Umweltpolitiker jetzt beraten. Themen, die in den nächsten Jahren die Stadt verändern werden. Live dabei sein konnten nur wenige: Die Sitzung wurde nicht im Internet übertragen. Das scheint auch die Richtung für die Zukunft zu sein. Dabei würde Bürgermeister Tim Kähler gerne streamen. Allerdings nur, wenn alle Ratsmitglieder einverstanden seien. Das ist vor allem in Teilen der CDU und der SPD nicht der Fall. Und von Personen, die ihr Veto einlegen, darf weder Bild noch Ton ins Internet übertragen werden. Damit sei die gesamte Übertragung sinnlos, meint Kähler. Wortbeiträge nachfolgender Redner, die sich auf ausgeblendeten Politiker bezögen, wären unverständlich. Zudem würden die Zuschauer zeitweise vor schwarzen Bildschirmen sitzen. Einige Jüngere, Frauen und Kenner der Sozialen Medien wollen kein Streaming Für den Fall, dass alle Ratsmitglieder mit dem Streaming einverstanden wären, hätte Kähler sogar weitergehende Vorschläge: Live übertragene Sitzungen sollen - der Barrierefreiheit wegen - für Gehörlose simultan übersetzt, eine Rednerliste eingeblendet und das Abstimmungsverhalten jedes Einzelnen öffentlich gemacht werden. Bei der CDU scheinen vor allem die Jüngeren, Frauen und Kenner der Sozialen Medien gegen die Internet-Übertragung zu sein. Das will die Fraktion respektieren. "Wir brauchen den politischen Nachwuchs", sagt CDU-Fraktionsvorsitzender Thomas Helmerking. Denn schließlich gehe es um Ehrenamtliche, die im eher kleinen Herford nicht in der Annahme angetreten seien, sich der Kritik anonymer Internetnutzer weltweit und - anders als Berufspolitiker - ungeschult aussetzen zu müssen. Thomas Besler, SPD-Fraktionsvorsitzender, formuliert es so: "Viele schrecken vor bösartigen Kommentaren im Internet zurück." Helmerking kreiert hingegen ein Bild von Zuschauern, die sich zur besten Stadtrat-Sendezeit Chips kauend aufs Sofa lümmeln und danach in den Sozialen Medien über die Herforder Politiker hetzen. Die Bedenken hinter der augenzwinkernd beschriebenen Szene sind nicht unbegründet. In der SPD und in der CDU haben einige Angst vor Hetze - nicht unbegründet Wegen ihrer politischen Positionen bedroht zu werden, das kennen viele Politiker. Von der AfD und anderen rechten Gruppierungen ist zudem bekannt, dass sie in den Sozialen Medien manipulativ vorgehen und dadurch versuchen, bei Unbedarften den Eindruck zu erwecken, die - oft völkischen oder ausländerfeindlichen - Ansichten seien gesellschaftsfähig. Dem müssten sie auf anderer Weise begegnen, entgegnet Herbert Even (Grüne), zumal die AfD sowieso das Internet für diese Zwecke nutze. Für ihn stehen die Transparenz der Entscheidungsprozesse und die erweiterte Möglichkeit der Partizipation im Vordergrund. "Die Kritik an der Politik wird umso fundierter, je mehr Menschen wissen, was in den Sitzungen läuft", sagt er. Helmerking befürchtet allerdings für die Ratspolitiker familienunfreundlich lange Redebeiträge: Sei kein Bürger im Saal, könnten sie auch mal eine Ansicht, die eigentlich Widerspruch verlange, unkommentiert stehen lassen. Bei einer Live-Übertragung sei das nicht mehr möglich. Justizia steht auf der Seite des Einzelnen und seines Persönlichkeitsrechts Even hält es für fraglich, ob gewählte Politiker eines öffentlich tagenden Gremiums das Streaming für ihre Person ausschließen können. Kähler zufolge ist das Thema aber bereits geprüft: Justitia gibt dem Persönlichkeitsrecht des Einzelnen das größere Gewicht. Die Internet-Übertragung vergleicht Even zudem mit der Anwesenheit der Presse in politischen Sitzungen: Wenn Gremien öffentlich tagen, könnten die Politiker die mitschreibenden Medienvertreter ja auch nicht daran hindern, ihre Redebeiträge wiederzugeben. Ein Vergleich, der Helmerkings Ansicht nach hinkt: Medienvertretern hätten die Sitzungsunterlagen gelesen und Hintergrundwissen; sie könnten Wortbeiträge einordnen. Zu einzelnen Themen seien auch die Bürger gut informiert, räumt er ein und erinnert an die Beratung über gestaffelte Kita-Beträgen, zu der vor Jahren viele Eltern den Weg ins Rathaus auf sich nahmen. Das findet er allerdings auch richtig so: "Ein bisschen Engagement muss schon sein." Streaming ist nicht billig, und das Interesse scheint im Laufe der Zeit abzunehmen Zumal die Resonanz auf die Live-Übertragungen im Laufe der Zeit abnehme, in der Großstadt Düsseldorf zum Beispiel auf 150 Teilnehmer, sagt Helmerking. In Herford loggten sich bei der ersten Ratssitzung 1.500 Personen ein, bei der zweiten waren es 600 (0,9 Prozent der Bevölkerung). Das würde auch in Herford langfristig vielleicht weniger werden, sagt Besler. Dem stehen jährliche Kosten gegenüber, die sich nach NW-Informationen auf 20.000 Euro belaufen. Dem Stadtrat liegt am Freitag, 26. März, ein FDP-Antrag zum Thema vor. "Auch nach der Coronakrise sollen die Bürger online an den Sitzungen teilnehmen können", sagt Fraktionsvorsitzender Günther Klempnauer. Die Sitzung wird ausnahmsweise gestreamt - mit dem Einverständnis aller Fraktionen. Und darin werden auch noch einmal Themen aus dem Bau- und Umweltausschuss beraten.

Meistgelesen