Corona: Wie es Herforder Markthändlern und ihren Kunden damit geht

Herford. Samstagvormittag in der Herforder Markthalle, die nach der Neueröffnung vor gut einem Jahr eine Mischung aus Gastronomie und Wochenmarkt unter Dach bietet. "Wir wollten bei Schnarre ein schönes Brot kaufen und bei Laffontiens einen Kaffee trinken", berichten Regine Schrupp und Erika Kolkmann. Die Damen um die 80 sind seit 50 Jahren Freundinnen und entschließen sich spontan, es nicht beim Heißgetränk zu belassen. Sie genießen einen Flammkuchen mit Hokkaido-Kürbis. "Schmeckt sehr gut", sind sie sich einig. Die Kürbispyramide erinnert schon am Eingang der Halle daran, dass heute Kürbistag ist. Doch das beliebte Kürbisschnitzen für Kinder muss ausfallen: Corona. Corona - die Gefahr nehmen die Damen einerseits "locker" und "lassen sich nicht verrückt machen". Sie halten sich andererseits an alle Hygienevorschriften, die angeraten sind. Den Weg zu Fuß vom Parkhaus bei Klingenthal haben sie schon vorschriftsgemäß mit Maske absolviert: "Wir sind ja sportlich." Regine Schrupp räumt ein, dass es mit Corona ja doch manchmal "ein doofes Gefühl" ist. Laffontiens Getränkeinsel Solch ein "doofes Gefühl" mag dafür gesorgt haben, dass mancher Kunde am Samstag doch den Weg zum Wochenmarkt gescheut hat und es nicht ganz so voll ist, wie an anderen Samstagen der letzten Monate. Markthallen-Gastronomin Silke Laffontien von der Getränkeinsel findet aber immer noch, dass es unter dem Strich "erfrischend gut" läuft: "Die Stammkunden halten uns die Treue. Und sie halten sich an die Regeln, als wäre es das Normalste von der Welt. Es ist schön, dass es vernünftige Leute gibt, die ihr Leben coronagemäß gestalten und dabei Freude haben." Gut entwickelt habe sich auch der neu eingeführte Abendmarkt am Freitag mit Live-Musik: "Das ist eine schöne Atmosphäre." In der Markthalle heißt der Marx nicht Karl sondern Jannis, ist auch kein Kapitalismuskritiker sondern Koch. So freut er sich, dass die Austern schon am Mittag ausverkauft sind. "Jannis lässt sich viel einfallen und die Leute staunen, was es hier zu essen gibt", sagt Silke Laffontien. Marx achtet darauf, dass beim Pressefoto der richtige Wein im Bild ist, denn darauf achten seine Kunden. Wo Silke Laffontien Corona deutlich spürt, das sind die sonst in der Markthalle möglichen privaten Veranstaltungen wie runde Geburtstage, die jetzt reihenweise abgesagt werden. Sie hofft, dass die Infektionszahlen bald wieder sinken. Lebenshilfe Gruppenleiterin Susanne Niewöhner aus einer Werkstatt der Lebenshilfe verkauft Dekoration für die Wohnung und Blumensträuße aus eigener Produktion. Die Lebenshilfe war bisher gut zufrieden mit dem Umsatz. Das ist wichtig, weil noch nicht klar ist, ob der beliebte Weihnachtsbasar in diesem Jahr stattfinden kann. Das gesellige Keksebacken mit den behinderten Beschäftigten für den Verkauf kann jedenfalls nicht unter den aktuellen Bedingungen stattfinden. Gemüse aus Italien "Ja es ist ruhiger als sonst", sagt Mario Orto. "Aber wir halten durch. Es ist eben nicht alle Tage Sonntag." Der knapp 75-Jährige Sizilianer verkauft mit seiner Frau Concetta italienisches Obst, Gemüse und Olivenöl aus eigener Produktion. Die direkt importieren Orangen hat er erst mit der Frühsorte Naveline Anfang Dezember im Angebot. Angst vor Ansteckung hat er nicht: "Was passiert, passiert." Zuhause bleiben statt Gemüse verkaufen - das ist nicht die Alternative. "Da wird er schneller alt", meint Concetta. Neue Bundesländer Birgit Meyer bietet seit 20 Jahren zu 99 Prozent Lebensmittel aus ostdeutscher Produktion an. "Ich beziehe direkt von kleinen Manufakturen", sagt sie. Dazu gehören Leinöl aus der Ölmühle Spreewald, Thüringer Wurstwaren, natürlich Halberstädter Würstchen und eingelegtes Gemüse aus dem Spreewald. Thekla Broschk ist der Gesundheit halber Stammkundin für eingelegte Knoblauchzehen, die gut schmecken, aber keinen Mundgeruch verursachen. "Fünf Stück zum Abendbrot" sind ihr Rezept. Die ältere Dame von der Mindener Straße merkt, dass man unter der Maske schwitzt, doch eine Stunde Spaziergang am Tag mit dem Rollator hält sie fit. "Wir merken Corona schon", sagt Birgit Meyer, aber die Kundschaft bleibt uns treu." Bio-Zeit Nicole Beckmann ist Inhaberin der Bio-Zeit mit einer großen Fleisch- und Käsetheke. "Nach dem Shutdown ist der Zuspruch langsam immer mehr wieder angestiegen", sagt sie. "Die Kunden trauten sich wieder." Vor allem der neue After-Work-Freitag bringe gute Umsätze. An diesem Wochenende war aber auch der Freitag ruhig. Als der Bioladen in der Radewig geschlossen wurde, hatte sich die Verkäuferin mit Eröffnung der Markthalle mutig selbstständig gemacht. Sie sagt heute: "Ich will nichts anderes mehr machen." Leos mit Vogelfutter Lena Frensemeyer (28) und Maximilian Hlawna (28) von Leo Herford, dem jüngeren Partnerverein des Lions-Clubs, verkaufen am Aktionsstand selbst gemachte Futterglocken zugunsten der Erneuerung der "Spürnasenpfade" in der Natur. Schon ein Drittel der 50 mit Vogelfutter und Talg gefüllten Blumentöpfe zum Aufhängen haben sie mittags verkauft. Auch sie beobachten, dass sich die Leute gut an die Vorschriften halten. Außenmarkt Geflügelhändler und Markthändlersprecher Nils Thenhaus steht mit seinem Wagen auf dem Platz und hatte manches Problem der Händler in der Halle nicht. "Der Außenmarkt läuft unter freiem Himmel gewohnt gut", sagt er. "Nach dem Tönnies-Skandal kaufen die Leute wieder lieber regionale Produkte. Sie kochen auch mehr zuhause, weil sie seltener ins Restaurant gehen oder im Homeoffice arbeiten." An seinem Wagen sei es heute ruhiger als sonst, sagt er. Dafür kaufen die Kunden, die kommen, zehn statt zwei Hähnchenschenkel. Ob der in diesem Jahr seine großen Puten zu Weihnachten verkaufen kann, weiß er noch nicht. Denn wie bei ihm zu Hause wird auch bei vielen anderen Familien wohl das Fest in kleinerem Kreis gefeiert. "Es macht Angst zu sehen, was in der Welt um uns geschieht", sagt der Hiddenhauser Familienvater. Er selbst kauft seit Corona noch lokaler im Einzelhandel. Denn er weiß, dass ohne lebendige Innenstadt auch der Markt keine Zukunft hat. "Man weiß nicht was, bei uns noch kommt. Aber jeder wird satt", ist er sich sicher.

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