Herforder Ärzte stufen Grippe gefährlicher als neues Coronavirus ein

Kreis Herford. Eine spezielle Atemmaske über Mund und Nase, eine Haube auf dem Kopf, ein wasserabweisender Kittel um den Oberkörper und Handschuhe an den Händen - der Chefarzt der Medizinischen Klinik I, Thorsten Pohle, demonstriert in einer Schleuse, wie sich seine Mitarbeiter und Besucher des Klinikums Herford vor Ansteckung schützen, wenn sie ein Isolierzimmer betreten. Gegebenenfalls gehört eine Schutzbrille dazu. Das ist auf der Station Routine im Umgang mit hochinfektiösen Patienten und nicht der Aufregung um das neuartige Coronavirus geschuldet, das die Lunge befällt und dessen Verbreitung in China zur Abschottung der Millionenstadt Wuhan geführt hat. Zur Medizinischen Klinik I gehört die Pneumologie, das ist die Lungenheilkunde. "Nach bisherigen Erkenntnissen geht es um eine Lungenerkrankung, die alte und schwer kranke Menschen noch kränker macht und bei einigen Patienten das Fass zum Überlaufen bringt, so dass sie sterben können", sagt Pohle. Bei bis dahin gesunden Menschen sei die Heilungschance sehr hoch. Bisher sollen in China knapp über 100 Menschen gestorben sein. Die echte Grippe fordert in Deutschland jährlich tausende Todesopfer. "Beim Namen Coronavirus werden aber alle ganz nervös" "Beim Namen Coronavirus sind aber alle ganz nervös", weiß der Leiter der Krankenhaus-Hygiene am Klinikum, Johannes Balzer. "Es ist ein Virus aus einer Gruppe, die sehr unangenehme Verläufe produzieren können." Dazu gehören das SARS-Virus, das auch von China ausging und 2002/2003 innerhalb eines halben Jahres an die 800 Menschenleben kostete. Damals musste sich die chinesische Regierung harsche Kritik zu ihrem Umgang mit der Krankheit gefallen lassen. Schwer und oft tödlich endeten auch Infektionen mit dem MERS-Coronavirus, das 2012 auf der arabischen Halbinsel entstand. "Daher verstehe ich, wenn das Thema stark emotional belastet ist", sagt Balzer. Auch die heutzutage schnelle Verbreitung von Krankheiten durch Flugreisende nährt die Ängste der Menschen. "Objektiv ist die Angst im aktuellen Fall nicht gerechtfertigt, aber Emotionen haben nichts mit dem Verstand zu tun", meint der Mediziner. Warum der Chefarzt davon abrät, jetzt nach China zu reisen Ob die aktuelle Reaktion des chinesischen Staates übertrieben ist, mag Thorsten Pohle aus der Ferne nicht beurteilen. Der Staatspräsident müsse aber wohl zeigen, dass er reagiert, um nicht selbst in Bedrängnis zu kommen. In China habe die Staatsmacht ganz andere Möglichkeiten, die Freiheit der Bevölkerung zu begrenzen. Daseinsvorsorge werde dort höher bewertet als Selbstbestimmung. Thorsten Pohle rät davon ab, jetzt nach China zu reisen. "Jede Erkrankung ist unnötig, auch wenn sie nicht lebensbedrohlich ist", sagt der Chefarzt. "Man möchte jetzt dort auch sicher nicht in einem Krankenhaus landen." Auch eine harmlose Erkältung könne womöglich zum Verdacht und zur Isolierung führen. In einer Woche ein Krankenhaus aus dem Boden zu stampfen, wie in China geschehen, sei sicher eine Leistung, die in Deutschland so schnell nicht nachzumachen sei, meint Johannes Balzer. Angesichts der Zahlen hält er es aber für blinden Aktionismus. 7.000 Kranke , das schaffe eine Influenza locker. Balzer wundert sich, dass in Deutschland dennoch so viel über den Sinn einer Grippeimpfung diskutiert werde. "Mir haben schon Patienten vorgehalten, ich gönne ihnen wohl drei Wochen Krankfeiern im Winter nicht." Echte Grippe kann aber lebensbedrohlich sein und ist nicht mit einem grippalen Infekt zu verwechseln. 25 Isolierzimmer mit Schleuse gibt es in der Medizinischen Klinik I Am Klinikum hat es seit dem Ausbruch der Ebola-Erkrankung vor einigen Jahren in Afrika zahlreiche Schulungen gegeben. "Die Sicherheitsmaßnahmen wie damals brauchen wir aber heute nicht", sagt Balzer. Ein Patient mit Verdacht auf Ansteckung mit dem 2019-nCoV, wie das neue Virus heißt, werde behandelt wie jemand mit Influenza oder Offener Tuberkulose. 25 Isolierzimmer mit Schleuse gibt es in der Medizinischen Klinik I für solche Fälle. Während Influenza schon durch Tröpfcheninfektion über die Schleimhaut übertragen werde, müsse das neue Virus sehr tief in die Lunge eindringen, um zu wirken, sagt Balzer. Die Mediziner raten dringend, dass Patienten, die selbst den Verdacht haben, sich an dem neuen Virus angesteckt zu haben, sich beim Hausarzt oder im Klinikum vorab telefonisch melden und nicht direkt in Sprechstunde oder Notfallambulanz gehen. Dann könne vermieden werden, dass sie mit anderen Patienten in Kontakt kommen. Das sei auch im eigenen Interesse, denn wenn sich 2019-nCoV- und Grippe-Erkrankte zusätzlich gegenseitig anstecken, sei damit nicht zu spaßen. Bei Verdacht auf Erkrankung vorher telefonisch anmelden Das Robert-Koch-Institut hat Ärztinnen und Ärzten eine Orientierungshilfe an die Hand gegeben, wie im Verdachtsfall zu verfahren ist. Der tritt ein, wenn jemand bis zu 14 Tage vorher in einem Verdachtsgebiet gewesen ist, womöglich Kontakt zu einem Erkrankten hatte und es Hinweise auf eine Erkrankung der unteren Atemwege gibt. Verdachtsfälle müssen an das Gesundheitsamt gemeldet werden. Ausgeschlossen werden kann die Infektion nur durch Labordiagnostik. Die gefährliche Influenza ist in diesem Winter bisher unauffällig geblieben, sagt Thorsten Pohle. Das führt er auf die Wärme zurück. Bei Kälte sind die Menschen anfälliger für Grippe.

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