95-jährige Auschwitz-Überlebende mit Rappern auf der Bühne

Gemeinsam mit der 95 Jahre alten Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano, ihrem Sohn Joram und Kutlu Yurtseven von der Rap-Formation &bdquo;Microphone Mafia" singen mehr als 200 Zuhörer in der Aula der Gesamtschule Friedenstal den Schlager &bdquo;Bel Ami". Zumindest beim Refrain singen alle mit, obwohl das Lied der einen Hälfte im Saal so unbekannt ist, wie der anderen die Hip-Hop-Kultur. Schnulzig oder peinlich wirkt das nie, denn zuvor hatte Bejarano erklärt, wie ihr der Schlager im KZ Auschwitz das Leben gerettet hat. Eine Lesung aus dem Buch "Erinnerungen" eröffnet den Abend Vor Beginn des Konzerts hatte sie aus ihrem Buch &bdquo;Erinnerungen" gelesen. Vom Transport der Deutsch-Jüdin nach Auschwitz, Ankunft, Selektion, harter sinnloser Arbeit fast ohne Essen und schließlich von der Chance, im Mädchenorchester des Lagers bei etwas besseren Bedingungen zu überleben. &bdquo;Bel Ami wurde mir zum Vorspielen auf dem Akkordeon befohlen", sagt Bejarano, die damals zwar Klavier aber nicht Akkordeon spielen konnte: &bdquo;Aber es reichte für die Aufnahme ins Orchester." Später folgten die Anerkennung als Viertelarierin, die Verlegung zur Zwangsarbeit bei Siemens ins KZ Ravensbrück und schließlich die Flucht bei einem der Todesmärsche, mit denen die Häftlinge vor den vorrückenden Russen verlegt wurden. Ein Versprechen an die Freundinnen Freundinnen in Auschwitz gab sie das Versprechen, von den Grausamkeiten, die dort Menschen von Menschen angetan wurden, zu berichten – falls sie überleben würde. Doch es ist nicht nur ein Versprechen an die Toten sondern auch die Sorge um die Lebenden, die sie antreibt. Sie will so lange vor den Nazis warnen, bis es keine Nazis mehr gibt: &bdquo;Es sieht leider so aus, als würde sich Einiges von dem was ich erlebte wiederholen." Kaum zu glauben ist die Verwandlung, die sich auf der Bühne vollzieht. Anfangs muss ihr Sohn Joram, der als Bassist auf der Bühne steht, der zierlichen Person hinauf helfen, dann liest sie konzentriert mit klarer Stimme, und als Sängerin blüht sie richtig auf. Die Hymne der israelischen Friedensbewegung, das jiddische Partisanenlied &bdquo;Sag nie, dass Du den letzten Weg gehst", Brechts Ballade von der Judenhure Marie Sanders, das italienische Arbeiterlied Avanti Popolo und Bella Ciao sind einige der Stücke im Programm, etwas überraschend vielleicht &bdquo;Wann jeit d’r Himmel widder op" von den Höhnern, ein Beitrag des Kölners Kutlu. Der übernimmt die Rap-Partien, also den schnellen Sprechgesang, meist in Deutsch oder Türkisch. Rechte Gewalt prägt weiter Biografien im Land &bdquo;Ich habe keine Migrationsgeschichte, denn ich bin ein Kölsche Jung", sagt Yurtseven, der im Zivilleben Deutschlehrer ist. 1989 gründete er die Microphone Mafia, eine Rap-Formation, zu der bis heute noch der italienischstämmige Rossi Pennino gehört, der an der Musik mitarbeitet, aber nicht auf der Bühne steht. &bdquo;Nach Mauerfall und Wiedervereinigung passierten die rassistischen Ausschreitungen von Hoyerswerda 1991, die Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen 1992 und die Mordanschläge von Mölln 1992 und Solingen 1993", sagt er: &bdquo;Bis Mölln hatten wir geschwiegen, aber Solingen war nur 20 Kilometer weit weg, wir waren wütend. Und wir erkannten, dass wir anders als wir immer gesagt bekommen hatten, für einige Menschen nie dazu gehören werden, obwohl wir hier geboren sind und arbeiten." Nicht nur das – die Opfer seien als vermeintliche &bdquo;Asylbetrüger" zu Tätern gemacht worden, eine Täter-Opfer-Umkehr, die auch die Ermittlungen zu den NSU-Morden und die nach dem Nagelbombenanschlag an der Kölner Keuptsraße 2004 bestimmte, deren Anwohner Yurtseven damals war. Nie wieder schweigen, schwor er sich. &bdquo;Menschen brennen, doch du bist still", heißt es in einem Lied, eine Aufforderung an alle und jeden, sich jederzeit für die Menschlichkeit stark zu machen. &bdquo;Nie wieder schweigen" ist eine Botschaft, die die Bejaranos und den Rapper verbindet, dessen Texte auch das &bdquo;Mittelmeer als größtes Massengrab der Neuzeit" anprangern, in einer Zeit, in der &bdquo;den Europäern 600 Jahre Kolonialgeschichte um die Ohren fliegen". Auch die Frage wofür sie singen, beantwortet das Trio mit einem Lied: &bdquo;Wahres Leben ist da, wo Freiheit ist. Wahres Leben ist Leben da, wo Wahrheit ist!"

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