Kriegskinder: Vom Krieg entfernt und doch mittendrin

Herford. &bdquo;Bielefelder Mütter! Gebt euch keinen Illusionen hin. Ich fordere euch hiermit auf, eure Kinder in Sicherheit zu bringen. Ihr habt die Stadt zu verlassen. Dieses gilt für alle, die nicht durch Beruf oder durch andere hohe Verpflichtungen zwingend notwendig gebunden sind. (...) Ich erwarte von jedem Quartiergeber im Kreise Bielefeld, Umland und Halle bereitswilligste Aufnahme ohne Bedenken und Einwände. Jeder hat zu helfen und keiner hat zu fordern. Dieses gilt für alle. Jeden Widerstand gegen diese Anordnung werde ich mit Gewalt brechen!" "Meine Mutter packte das Nötigste, dann ging es los" Diesen Aufruf zur Räumung Bielefelds ließ Karl Heidemann, der stellvertretende Kreisleiter der NSDAP-Ortsgruppe, 1943 in der Tagespresse abdrucken. Als eine der Städte, in denen Waffen produziert wurden (Dürkopp-Werke), war Bielefeld im Zweiten Weltkrieg für die Amerikaner und Briten von besonderem Interesse. Für die damals vierjährige Gisela de Pagter, geborene Banck, bedeutete dies, gemeinsam mit ihrer Mutter ihre Heimatstadt schnellstmöglich zu verlassen. &bdquo;Ich wusste gar nicht wie mir geschieht", sagt die heutige Herforderin. &bdquo;Meine Mutter packte das Nötigste, zog mich warm an und dann ging es los. Kinder nehmen die Dinge so, wie sie sind." Ihr Vater Karl Heinz Banck konnte die Familie damals nicht begleiten – er wurde bereits 1941 eingezogen. Familie stand den Nationalsozialisten nahe De Pagter stammt aus einer Familie, die den Nationalsozialisten nahe stand. &bdquo;Ich erinnere mich daran, wie ich bei einem Luftangriff in einem Bunker saß und sagte ,Adolf Hitler macht doch alles wieder gut.’" Heute erschrecke sich die Rentnerin selbst über ihre damalige Denkweise. &bdquo;Meine Eltern haben beide an Hitler geglaubt wie an Gott. Ich habe das damals von den Erwachsenen übernommen", erklärt de Pagter, blickt dabei auf den Boden und schüttelt sachte mit dem Kopf. Auch aus einer Reihe von Briefen, die sich de Pagters Eltern während des Krieges zugesendet haben, gehe eine nationalsozialistische Grundhaltung hervor. Insgesamt seien zwölf Kilogramm Soldatenpost von einer Studentin aus Freiburg dahingehend ausgewertet worden, so die Herforderin. "Für mich war das alles sehr aufregend" Nach dem Aufruf zur Räumung Bielefelds ging es für de Pagter mit ihrer Mutter mit der Dampflokomotive in Richtung Borgholzhausen. &bdquo;Für mich war das alles sehr aufregend. Dass wir unser Haus verlassen mussten, hat für mich damals keine Rolle gespielt", sagt die 79-Jährige heute. In Borgholzhausen angekommen, zogen die gebürtigen Bielefelderinnen auf einen Hof zu einer Bauernfamilie. &bdquo;Für mich war das sogar eine Verbesserung. Dort habe ich schließlich eine kleine Freundin gefunden und mit Tieren spielen können", so de Pagter. Zwar blieb der Bauernhof in Borgholzhausen weitestgehend von den Luftangriffen der Amerikaner und Briten verschont, gänzlich sicher fühlte sich de Pagter als Kind aber nie. &bdquo;Die Tiefflieger sausten immer über den Hof hinweg in Richtung Osnabrück. Die machten einen Lärm. Wir hatten unheimliche Angst davor, dass sie, wenn auch nur aus Versehen, eine Bombe über uns abwerfen", erzählt die Rentnerin. Bei gutem Wetter habe sie vom Hof aus bis nach Osnabrück blicken können. &bdquo;Über der Stadt war der Himmel meist glutrot von den vielen Angriffen." Auch ihr Vater überlebt den Krieg Eines Tages, so erzählt de Pagter, sei ein britischer Soldat bei einem Luftangriff in Not geraten. Er habe seinen Flieger, mit einem Fallschirm ausgerüstet, verlassen müssen – genau über einem Feld des Bauernhofes in Borgholzhausen. &bdquo;Alle gingen auf das Feld. Auch der Volksschullehrer ist dorthin gekommen und hat den Briten verdroschen", sagt de Pagter. &bdquo;Als der Krieg schließlich vorbei war, haben die Engländer den Spieß umgedreht. Der Volksschullehrer wurde eingelocht." Kurz vor dem Ende des Kriegs kehrte auch de Pagters Vater aus der Gefangenschaft zurück. &bdquo;Er hat den Krieg überlebt", sagt die 79-jährige Herforderin. Da sie große Teile ihrer Kindheit aber ohne ihren Vater verbracht hat, sei die Freude über seine plötzliche Rückkehr nicht sonderlich groß gewesen. &bdquo;Für mich war er ein Fremder. Von meiner Mutter erhielt ich nur ein Kommando: ,Freue dich.’" Es habe Jahre gedauert, bis de Pagter Vertrauen zu ihrem Vater gefasst hat. "Über der Stadt war der Himmel glutrot von den Angriffen" Auch auf Nachfrage habe Vater Karl Heinz Banck nie über den Krieg gesprochen. &bdquo;Es war ihm unangenehm. Er hat nichts erzählt", so de Pagter. Sie selbst habe den Zweiten Weltkrieg als Kind in Angst erlebt. &bdquo;Teilweise habe ich geschrien wie am Spieß", sagt die frühere Lehrerin. Flieger habe sie mit der Zeit sogar an ihrem Geräusch erkennen können. &bdquo;Meist war es so, dass die Briten nachts und die Amerikaner tagsüber angriffen", sagt de Pagter. &bdquo;Manchmal lag ich aber im Bett und meinte deutsche Flieger zu hören. Dann habe ich mich umgedreht und weitergeschlafen." Anders war es, wenn die junge de Pagter die angreifenden Flieger sehen konnte: &bdquo;Sie zogen am Himmel ihre Kondensstreifen und teilten die Stadt so in Areale ein. Da war es mit meinem Vertrauen ganz schnell vorbei", erzählt sie.

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